Dies ist ein Gastbeitrag von Marcus Frenkel, Informatiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fernuni Hagen.
Strom kommt nicht aus der Steckdose und Nahrungsmitteln wachsen nicht im Regal. Diese einfachen Dinge dürften sich mittlerweile weitläufig herumgesprochen haben, vor allem auch, weil wir täglich mit ihnen zu tun haben und sie – dank starker Bearbeitung durch die Medien – praktisch dauerhaft im Hippocampus präsent sind. Etwas anders sieht es bei Themen aus, die unser Leben höchstens peripher tangieren, über die etwas zu wissen aber vielen unnütz erscheint. Warum sich auch mit Dingen herumschlagen, die offenkundig keinen Wert haben, warum Zeit vergeuden für etwas, dass weder Freude noch Entspannung, weder Vorteil noch Geld bringt?
Wenn das derart verschmähten Wissen wenigstens Bereiche betreffen würde, die weder dem Leben noch dem Fortschritt nutzen, etwa das überaus beliebte, der Sucht nach Glamour entsprungene Wer-mit-wem-und-warum der Pseudo-Wichtigen, dessen jüngster Auswuchs – die Hochzeit zweier für das Weltgeschehen eher (vorsichtig ausgedrückt) unwichtiger Zeitgenossen halb Deutschland beschäftigte; oder die Frage danach, welcher Fußballverein welche Liga anführt und welcher Musiker in welchen Charts welchen Platz belegt und welches akustische Schwerverbrechen ihn dahin gebracht hat. Aber nein! Sportranglisten und Chartplatzierungen sind en vogue, Astronomie, Mathematik, Technik, Chemie und Biologie dagegen out, „freakig” und überhaupt nur etwas für seltsame Leute.
Besonders unbeliebt sind hierbei auch Themen, mit denen wir zwar täglich zu tun haben, die aber ob ihrer scheinbaren Komplexität oft gleich in die Kategorie “Versteh’ ich sowieso nicht” eingeordnet werden. Prominentestes Beispiel hierfür: der Computer. Wie oft hört man nicht den Spruch “davon verstehe ich nichts, das macht mein Sohn/Enkel/Freund des Freundes.” Jetzt ist an dieser Aussage prinzipiell nichts auszusetzen; in der Tat ist es höchst legitim, bei Schwierigkeiten mit einem Gerät auf den Fachmann zurückzugreifen; auch kann nicht jeder Computerfachmann, respektive -frau, sein und perfekt in den Untiefen der digitalen Welt navigieren. Tragisch ist dagegen der Umstand, dass die Mehrheit dieser selbsternannten Nicht-Versteher gar nicht erst den Versuch unternimmt, wenigstens die seichten Gewässer der Computerwelt zu erforschen, um wenigstens eine ungefähre Ahnung davon zu haben, was für ein Gerät sie da jeden Tag bedienen. Und dabei sei noch nicht einmal die zugrunde liegende Technik und Funktionsweise eines Computers gemeint. Die Beschäftigung mit diesem piepsenden Ding an sich, mit dem Betriebssystem und der Software (und mit Beschäftigung ist hier nicht gemeint, so lange zu klicken, bis gar nichts mehr funktioniert) würde so manch einem erstaunliche Erkenntnisse über das bringen, was er ansonsten nur ohne weiteres Nachdenken genutzt hat.
Mittlerweile ist es schon kaum mehr möglich, mit Wissen abseits des Mainstreams auf Geburtstagsfeiern die Leute zu begeistern (positive Ausnahmen natürlich ausgenommen). Das Wissen um die Funktionsweise einer Batterie, den Unterschied zwischen magnetischem und geographischem Pol (und warum der magnetische Nordpol eigentlich magnetischer Südpol heißen sollte) oder die Ordnungszahl von Sauerstoff rufen nur ein müdes Lächeln hervor, Kenntnisse über den Mechanismus der Sternentstehung, die Evolution oder über die Signalverarbeitung im Gehirn bescheren dem derart Bewanderten höchstens den Titel „Freak”.
In der Tat scheint die Aussage “Hauptsache es macht, was es soll” gesellschaftsfähig zu sein. Nicht nur, dass dieses Desinteresse zur intellektuellen Verarmung beiträgt, nein, es ist auch Nährboden für all den Unfug, den wir mit Beginn des modernen Zeitalters eigentlich überwunden zu haben gehofft hatten. Wie sonst lässt sich erklären, dass Ungeheuerlichkeiten wie Homöopathie, Astrologie oder Spiritismus wieder verstärkt Einzug in die Köpfe der Menschen halten und vollkommen unreflektiert akzeptiert werden? Einzig und allein damit, dass fehlendes Wissen Tür und Tor für Ideen öffnen, die im besten Fall harm- und nutzlos, im schlimmsten Fall aber gefährlich sind.
Wo ist die Neugier geblieben, die uns in unseren Kindheitstagen dazu getrieben hat, die wildesten Experimente durchzuführen, die gewagtesten Vermutungen anzustellen und noch den letzten Winkel des Unbekannten zu erforschen? Eben diese Neugier war es, die uns das in den frühen Tagen das meiste über das Leben gelehrt hat, denn durch den Drang nach Wissen lernt es sich bekanntermaßen am besten. Nicht zu vergessen die vielen großartigen Entdeckungen, die im Laufe der Jahrhunderte gemacht wurden und als deren Motor die Neugier anzunehmen in vielen Fällen gerechtfertigt sein dürfte. Immer dann, wenn sich ein großer Geist über die Denkregeln seiner Zeit hinwegsetzte, wenn er nicht akzeptierte, was als Erklärung für die Welt zur Verfügung stand, immer dann entstand etwas Bedeutendes. Neugier ist der Motor der Zivilisation, ohne den wir in der geistigen Stagnation enden werden, ohne den unser Intellekt verkümmert und uns empfänglich macht für die falschen Versprechungen und einfachen Weltbilder der Astrologen, Homöopathen, Betrüger und Radikalen.
Erst die Neugier wird uns zu der Erkenntnis führen, dass es keine Magie ist, die in der Welt wirkt und sie erklären kann, sondern die Wissenschaft. Und die ist weitaus magischer als alles, was sich das menschliche Hirn ausdenken kann. Wir sollten uns glücklich schätzen, in einer Zeit zu leben, in welcher über die Geheimnisse der Natur nicht nur spekuliert werden muss, sondern in welcher sie erklär- und nachvollziehbar werden. Und dabei stehen wir erst am Anfang – mit genügend Neugier erwarten uns noch viele tausend Erkenntnisse, von denen jede einzelne die Welt ein Stück … magischer macht.
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