Ich komme gerade aus dem IFC Center – einem der leider wenig geworden Programmkinos in New York – zurück, wo ich mir den neuen Dokumentarfilm von Werner Herzog über die Höhle der vergessenen Träume (gemeint ist die Chauvet-Höhle im französischen Ardèche-Tal) angesehen habe. Und obwohl ich am Ende mit sehr gemischten Gefühlen das Kino verließ – dazu gleich mehr – bin ich doch zutiefst dankbar dafür, dass Herzog diesen Film gedreht hat. Und ich bin sogar dankbar dafür, dass er ihn in 3D gedreht hat – obwohl ich diese Filmtechnik (noch) für einen ziemlich überflüssigen Gimmick halte. Was sie auch in Herzogs Film die meiste Zeit ist (und noch häufiger eine Qual – vor allem bei Schwenks und wenn er zu nah an Objekte und Personen rangeht, zeigen sich die Grenzen der 3D-Qualität) – aber um die für die Öffentlichkeit unzugänglichen Höhlezeichnungen zu dokumentieren und einem einen möglichst authentischen Eindruck zu vermitteln, gibt es wohl keinen besseren Weg.
Doch die gemischten Gefühle waren nicht nur physisch – eine Art von Seekrankheit als Folge längerer wackeliger, weil aus der Hand (?) geschossener Sequenzen, kombiniert mit einem Anflug von Kopfschmerz und leichter Genickstarre, sowie einer Ermüdung der Augen (alles eine Folge der simulierten Dreidimensionalität). Sondern, wie oft bei Herzogs Filmen, kommt bei mir ein echtes Element der Verwirrung hinzu: Wieviel davon meint er so ernst, wie er es vorträgt, und wo – wenn überhaupt – beginnt die Ironie? Dass Herzog den Film selbst aus dem “off” spricht, wobei sein bayerischer Akzent gelegentlich mit der amerikanisch-englischen Diktion kollidiert (was vermutlich zum ironisierenden Effekt unfreiwillig beiträgt), sorgt zumindest in einem New Yorker Kino gelegentlich für unbeabsichtigte, aber doch nicht weniger herzliche Lacher.
Aber ich muss gestehen: Für einen Dokumentarfilm über eine Tropfsteinhöhle ist der Film unerwartet emotionsstark. Nicht die Emotionen, die ein Film über Katastrophen oder Verbrechen auslösen würde, sondern eine tiefgreifende Verwirrung, die auch die im Film zu Wort kommenden Archäologen, Anthropologen und sonstigen -logen befällt. Und dafür habe ich nur eine Erklärung anzubieten: Die Zeichnungen selbst, in ihrer künstlerischen Ausdrucksstärke, wären als zeitgenössische Kunstwerke schon enorm beeindruckend – selbst ein Picasso hätte allen Grund gehabt, neidisch zu sein auf den fast zwei Meter langen, offenbar in einem Zug geschwungenen Kohlestrich, mit dem die erstaunlich lebensnahe Kontur eines Höhlenlöwen
an die weiße Kalkwand gezeichnet wurde. Aber zu wissen, dass diese Bilder von Nashörnern, Pferden, Höhenlöwen und -Bären, Auerochsen und Wisenten, die übereinander gelegt sind wie in einem Skizzenblock eines Disney-Animators und eindeutig den – oft gelungenen – Versuch erkennen lassen, Bewegung einzufangen – dass diese Zeichnungen vor rund 30.000 Jahren und über einen Zeitraum von 5000 Jahren (!) hinweg entstanden sind, verursacht mir ein Vertigo wie ein Blick in die Tiefe Schlucht der Ardèche selbst.
Aber eigentlich sind die Interviews, die nicht immer gelungenen inneren Tiefenbetrachtungen Herzogs oder seiner Gesprächspartner sowieso entbehrlich. Der Reiz des Films liegt ganz allein darin, die Höhlenzeichungen in ihrer Fülle und ihrer Plastizität – die sie dadurch gewinnen, dass sie nicht auf gerade Wände aufgetragen wurden, sondern in ausgewaschenen Nischen und beinahe blasigen Hohlräumen – betrachten zu können. Und die sind selbst Kopfschmerz und Seekrankheit wert.
Ob die Zeichnungen nun eine spirituelle Bedeutung hatten (was ja ein beliebter Tropus der Anthropologie ist) oder – wie ich vermuten würde – etwa wie heutige Kunstwerke vor allem einem kreativen Bedürfnis entsprangen, darüber ließe sich vermutlich länger streiten, als die Bilder alt sind. Wer weiß, vielleicht hatten die Cro-Magnon-Künster im Ardèche-Tal mehr mit den Graffitikünstlern der Moderne gemeinsam, die sich ja auch von Tunnelwänden und Unterführungen scheinbar unwiderstehlich angezogen fühlen? Aber ich denke, niemand kann sie ansehen, ohne sich über die zeitliche Distanz von 30.000 Jahren irgendwie mit ihren Urhebern verbunden zu fühlen. In unseren Emotionen und Ausdrucksformen sind wir nicht moderner als unsere spätpleistozänen Vorfahren. Aber darüber hatte ich ja hier schon geschrieben …
Fotos: HTO [Public domain] via Wikimedia Commons
Zeichnung aus Grotte Chauvet Archaeologically Dated
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