Nein, nicht Homer Simpson (ich fürchte mal, dass einige Leser zuallererst an den gelben Glatzkopf gedacht haben), sondern jener – vielleicht selbst völlig fiktive – griechische Bronzezeitpoet, dem wir die Epen der Ilias und der Odyssee verdanken. Dass Heinrich Schliemann sich, mit der Ilias in der Hand, auf die Suche nach Troja machte und auf dem Hügel Hisarlık tatsächlich eine festungsartige, mehrfach zerstörte Anlage fand, ist inzwischen Folklore geworden. Aber auch Geographen werden von Homers Versen vor Rätsel gestellt, die sie mit modernen Methoden zu beantworten versuchen. Zum Beispiel: Wo lag die Heimat des Odysseus?
Blöde Frage, hätte ich bis vor wenigen Stunden selbst geantwortet: Ithaka ist auf jeder besseren Griechenlandkarte zu finden. Aber so vertraut war ich mit den Versen Homers nun auch wieder nicht, um diesen (scheinbaren?) Widerspruch zu entdecken, auf den ich jetzt durch einen Artikel (naja, den Abstract – mein Budget reicht nicht zum Kauf des Papers selbst, sorry!) in Nature Geoscience hingewiesen wurde:
Ithakas sonnige Höhn sind meine Heimat; in dieser
Türmet sich Neritons Haupt mit rauschenden Wipfeln; und ringsum
Dicht aneinander gesät, sind viele bevölkerte Inseln,
Same, Dulichion und die waldbewachsne Zakynthos.
Ithaka liegt in der See am höchsten hinauf an die Feste,
Gegen den Nord; die andern sind östlich und südlich entfernet.
(Neunter Gesang, 21-26; Übersetzung nach J.H.Voß, bearbeitet von E.Gottwein)
Und diese Beschreibung deckt sich, wie offenbar schon um den Beginn unserer Zeitrechnung herum gelebt dem griechischen Geographen Strabon aufgefallen war, nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten der Lage Ithakas: Sie erwähnt mehr Inseln, als es tatsächlich gibt. Aber wohin sollen die verschwunden sein? Wie ich der Einleitung zum Nature-Geoscience-Paper entnehme, passt die Ortsangabe besser zur Halbinsel Paliki, die heute ein Teil der Insel Kefalonia ist; diese Theorie hatte der britische Amateurforscher Robert Bittlestone in seinem Buch “Odysseus Unbound” popularisiert. Und mit Unterstützung der britischen Geological Society sind Forscher vor Ort in der Tat damit beschäftigt, diese These zu prüfen. Stratigraphische Analysen sollen belegen, dass zu Homers Zeiten (?) Paliki eine selbständige Insel war, und dass der trennende Kanal erst im Lauf der Zeit durch Erdrutsche verfüllt wurde.
Als Geograph finde ich die Idee ja faszinierend, dass man anhand eines bronzezeitlichen und über Jahrhunderte nur mündlich überlieferten Heldengedichts eine längst verschüttete Geomorphologie rekonstruierend könnte. Aber faszinierend heißt nicht überzeugend – und darum werfe ich nur so viel ein: Selbst wenn man beweisen kann, dass Paliki einst eine Insel für sich war, dann beweist das nur … dass Paliki eine Insel für sich war. Ich kann noch so oft auf die Karte Griechenlands starren: Ein zwingender Widerspruch, warum das heutige Ithaka nicht das klassische Ithaka sein kann, eröffnet sich mir doch nicht. Die Odysse als bronzezeitliches GPS – das ist vielleicht doch zuviel erwartet von einem zwar spannenden, aber nie als akkuratem Bericht konzipierten Epos eines blinden Sängers aus der Bronzezeit. Und wer weiß, vielleicht war’s ja sowieso Lummerland?
Abbildung: Google Maps; Wikimedia Commons
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