Macht zwar eine gute Schlagzeile, zugegeben, etwa im Stil von “Mann beißt Hund”, die ja auch davon profitiert, dass sie bekannte Zusammenhänge auf den Kopf stellt. Und beruht zudem auf einem peer-reviewten Artikel in einem der anerkanntesten Medizin-Publikationen schlechthin, dem Journal of the American Medical Association. Also muss doch etwas an der darin beschriebenen belgischen Studie dran sein, dass Männer, die eine sehr salzarme Kost zu sich nehmen, ihr Risiko für Herzanfälle verdoppeln und kein geringeres Risiko für Bluthochdruck haben? Nun, das kann ich als medizinischer Laie nicht beurteilen. Aber das soll hier auch gar nicht die Frage sein. Mich beschäftigt die Frage, ob es sinnvoll ist, solche Studien – die alleine gegen einen Berg von Belegen zum Gegenteil anstehen – zu veröffentlichen.
Und noch während ich den vorangegangen Satz geschrieben habe, sträubten sich mir die Nackenhaare: Will ich hier wirklich fordern, dass revoutionierende Ergebnisse unterdrückt werden, nur weil sie dem Mainstream widersprechen? Bin ich also für eine Unterdrückung der unbequemen Wahrheit?
Gewiss nicht, und fordern tu’ ich schon gar nichts (denn selbst wenn ich’s täte, würde das die Fachwelt etwa so beeinflussen wie ein Staubkorn die Mondumlaufbahn). Aber wenn ich auf dem news@JAMA-Blog das Interview mit dem Studienautor Jan A. Staessen von der Katholischen Universität Leuven lese, dann beschleicht mich das Gefühl, dass hier rein epidemiologische Beobachtungen – letztlich also eine statistische Analyse von “Black Box“-Beobachtungen – als Argument gegen eine Masse empirischer und auch physiologisch analysierter Erkenntnisse ins Feld geführt wird. Ob es da reicht zu sagen “Ich weiß zwar nicht wie es funktioniert, aber meine Zahlen belegen es”?
Die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention jedenfalls nahmen gegen dieses Paper – ganz entgegen ihrer Gepflogenheiten – öffentlich sehr kritische Stellung: Die Zahl der Probanden sei zu gering gewesen, erklärte Dr. Peter Briss gegenüber der New York Times, zudem seien die Teilnehmer zu jung gewesen und die Zahl der tatsächlich auftretenden Herzanfälle daher zu niedrig, um überhaupt relevante Aussagen machen zu können. Derzeit rate er, die Studie “with a grain of salt” (cum grano salis) zu nehmen.
Über die Methodik und die Relevanz der Studie werden sich die Fachleute die Köpfe zerbrechen müssen (und ich vermute, dass sie es vorziehen werden, sich jene lieber gegenseitig zu verbeulen). Aber als jemand, dem als Kind der Spinat* als gesund, weil reich an Eisen, in Mengen eingetrichtert wurde, nur weil sich jemand vor mehr als hundert Jahren vertippt hatte, kann ich nachvollziehen, wie hartnäckig sich solche zweckdienlichen “Irrtümer” halten (mein Verdacht ist, dass Spinat einfach auch ein sehr preiswertes Essen war, das sich vor allem dann anbot, wenn am Ende des Haushaltsgeldes noch ein bisschen zu viel Monat übrig war – der gesunde Nährwert war da vor allem ein Alibi). Und ich befürchte, dass die Legende vom herzschädigenden Salzverzicht auch sehr schnell und sehr hartnäckig in die Speise-Folklore eindringen wird – weil’s ohne Salz halt fad schmeckt. Wie schön wär’s doch, wenn Salz gesund wäre.
Ehe man also eine neue Nahrungslegende in die Welt setzt – die, falls sie sich dann doch wieder als ein Irrtum entpuppt, inzwischen viele Opfer gefunden haben kann – hätte ich nir in diesem Fall gewünscht, dass die Peer-Reviewer auf mehr empirischen Daten und vielleicht einer physiologischen Erklärung bestanden hätten. Denn ungewöhnliche Behauptungen verlangen ungewöhnliche Beweise – und ungewöhnlich ist dieses salzige “Mann beißt Hund”-Szenario allemal.
* Inzwischen mag ich Spinat sogar sehr gerne, aber bevorzugt als Salat, mit Ei, etwas Speck und einem Zitronen-Basilikum-Dressing.
Foto: Garitzko, via Wikimedia Commons
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