Über die Idee, durch relativ kleine Kredite – 20, 100 oder vielleicht auch 200 Dollar – die Armut in Entwicklungsländern zu mildern oder, im Idealfall, zu beseitigen, hatte ich ja schon einmal geschrieben. Genauer gesagt: darüber, dass diese an sich gute Idee sich ins Gegenteil verkehrt, wenn durch exorbitante Zinsen (über 60 Prozent effektiver Jahreszins) und gierige Investoren die Zahlungsfähigkeit der Kreditempfänger ausgelaugt wird – Vielleicht waren Mikro-Bürgschaften doch keine so blöde Idee … Doch nun habe ich gesehen, dass in der aktuellen Ausgabe von Science ein Paper veröffentlicht wurde, das zumindest die Frage aufwirft, ob diese Mikrokredite jemals ihr angestrebtes Ziel erreichen könnten: Microcredit in Theory and Practice: Using Randomized Credit Scoring for Impact Evaluation.
Um es gleich vorweg zu sagen: Das Paper, das vom Yale-Wirtschaftsprofessor Dean Karlan und seinem Kollegen Jonathan Zinman (Dartmouth College) stellt durchaus einige positive Effekte dieser Mikrofinanzinstrumente fest, doch sind sie erstens weit geringer als erhofft, zweitens bringen sie nicht den wirtschaftlichen Vorschub, der als die sprichwörtliche Flut dann die ganze Flotte anheben könnte, und drittens sind vor allem die erwarteten Effekte zur Besserstellung von Frauen nicht signifikant zu beobachten.
Das Paper selbst beruht auf einer randomisierten Studie in den Philippinen (ein vergleichbares Projekt, mit ähnlichen Resultaten, gab es im indischen Hyderabad). Das philippinische Fallbeispiel – für das insgesamt 1601 Personen zufällig ausgewählt wurden, darunter 1272 Empfänger von Kleinkrediten (im Durchschnitt 225 Dollar pro Kredit) und, als Kontrollgruppe, 329 Personen, die – bei vergleichbarer “Bonität” – abgelehnt wurden. Allerdings dürften die Probanden der philippinischen Studie nicht unbedingt typisch für die Mikrokredit-Nehmer in anderen Teilen der Welt sein: Sie sind zwar auch hier überwiegend Frauen (85 Prozent), aber relativ gut ausgebildet (93 Prozent haben einen Highschool-Abschluss), haben bereits eigene Unternehmen gegründet – zumeist Friseursalons, Nähereien, Lebensmittelgeschäfte oder auch Autowerkstätten. Und ihr Haushaltseinkommen, wenngleich niedrig nach westlichen Maßstäben, liegt mit 770 Dollar monatlich bereits über dem lokalen und nationalen Durchschnitt.
Die Laufzeit der Kredite war extrem kurz: 13 Wochen, mit Rückzahlungsraten, die wöchentlich fällig waren. Die kurze Laufzeit hatte gewiss den Vorteil, dass der anfallende Gesamtzins bei etwa 15 Prozent und damit in erträglichen Grenzen lag – andererseits sind solche Kurzzeitkredite sicher eher Liquiditäts-Brücken denn Investitionshilfen. Und in der Tat war der Effekt dieser Kredite eher begrenzt:
– Sie wurden nicht zum Auf- oder Ausbau von Kleinunternehmen verwendet, sondern eher zur Restrukturierung – mit der Folge, dass zwar die Profitabilität der Unternehmen stieg, aber die Zahl der Beschäftigten sowie der Umfang der Betriebe reduziert wurden. Das Investitionsvolumen und die Geschäftsaktivität insgesamt wurden durch die Kredite also nicht gesteigert; Arbeitsplätze und damit Einkommen im sozialen Umfeld jedoch verringert.
– Nur ein Teil der Kredite floss überhaupt in die Unternehmen – ein Teil wurde statt dessen in die Ausbildung der Kinder gesteckt (was langfristig sicher eine lohnendere Investition ist).
– Nach dem Motto “Wer hat, dem wird gegeben” erleichterten die Mikrokredite auch den Zugang zu anderen, zumeist informellen, Geldquellen (will heißen: Freunde und Nachbarn waren eher bereit, Geld zu borgen, wenn sie wussten, dass der Empfänger gegebenenfalls auch einen Bankkredit erhaten konnte).
Doch für die Kreditempfänger brachte die kurzzeitige Geldspritze jedoch keine generelle Verbesserung – im Gegenteil: Die allemeine Befindlichkeit der Schuldner verschlechterte sich durch den Kredit (was angesichts der rigiden Rückzahlungsbedingungen auch nicht überraschen darf). Und vor allem die erhoffte (und selektive) Verbesserung der wirtschaftlichen Stellung von Frauen ließ sich nicht beobachten: Den größten Nutzen zeigten diese Mikrokredite bei Männern, und umso mehr, je höher derein Einkommen schon vor der Finanzsspritze lag.
Allerdings – und das räumen auch die Autoren Karlan und Zinman ein – dürften diese Effekte vor allem darin begründet liegen, dass die Kreditkosten einfach zu hoch sind. Und genau darum komme ich wieder auf die (Schnaps-?)Idee der Mikrobürgschaften zurück. Noch mal kurz zur Erinnerung: Die Idee ist, dass diese Drittwelt-Mikrokredite entweder durch Gruppe von Garantoren in den Industrienationen besichert werden; jeder einzelne Bürge würde dabei mit maximal der Höhe eines einzelnen Kredits (also vermutlich etwa 100 bis 200 Dollar) in die Verantwortung genommen. Die Besicherung könnte entweder durch einen Avalkredit erfolgen, oder durch eine Autorisierung via Kreditkarte erfolgen – in keinem Fall fände also ein Transfer an den Kreditnehmer statt. Im Idealfall würde diese Besicherung erlauben, dass die lokalen Kreditgeber sich zu üblichen Konditionen an den Finanzmärkten bedienen können und dann ihren Kunden auch entsprechend “übliche” (eher den Industrieländern vergeichbare) Zinssätze anbieten; durch genossenschaftliche Organisation der Kreditnehmer ließen sich zudem die Verwaltungskosten, auch ganz nach westlichem Vorbild, minimieren.
Und in der Mehrzahl der Fälle müssten die Bürgen voraussichtlich gar keine Transferleistungen erbringen: Die Zahlungsmoral der Kreditnehmer ist zumeist besser als bei westlichen Schuldnern; die Grameen Bank des Friedensnobelpreisträgers Mohammed Yunus, die eines der ersten etablierten Mikrofinanz-Institute war, registrierte eine Ausfallquote von weniger als zehn Prozent. Mit anderen Worten: Ein 100-Dollar-Bürge riskiert in diesem Fall weniger als zehn Dollar, derzeit also nicht mal sieben Euro. Wenn man die dann auch noch steuerlich absetzbar macht, bliebe es wirklich nur eine Frage des Kleingelds – weniger als zwei Cents am Tag.
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