Eigentlich eine beneidenswerte Aufgabe für jeden Mann: Mit einer attraktiven Frau über Sex reden. Doch der Umstand, dass viele XY-Chromosomeninhaber eine XX-Chromosomeninhaberin wie Olivia Judson als attraktiv empfinden dürften, war für dieses Interview, das ich vor vielen Jahren schon geführt hatte, das aber nie veröffentlicht wurde*, nicht relevant (und hätte, da telefonisch geführt, auch nie eine Rolle spielen können). Es ging darin um ihr damals noch neues – und aus meiner Sicht ziemlich originelles Buch über Die raffiniertesten Sexpraktiken der Tiere. Antworten auf die brennendsten Fragen.
*Ab und zu krame ich in meinem Archiv unveröffentlichter Interviews – und manchmal finde ich eines, das auch heute noch lesenswert ist.
Was Sex ist weiß jeder – bis er Ihr Buch gelesen hat und verwirrende Details erfährt. War das Ihre Absicht?
Sicher nicht, meine Leser zu verwirren. Mich hat vor allem die Vielfältigkeit interessiert. Menschen sind ziemlich selbstbezogen und denken mehr an sich als an jede andere Lebensform. Aber Menschen haben nicht unbedingt das interessanteste Sexualleben …
Haben sie nicht?
Ein Großteil der Vielfalt, die wir in der Natur sehen, wird durch Sexualität hervorgebracht. Und das finde ich extrem faszinierend.
Aha. Aber nach der Lektüre Ihres Buches bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich weiß, was Sexualität, also Geschlechtlichkeit, und mehr noch, was Geschlechter eigentlich sind …
Nun, erst mal die Frage, was Sexualität bedeutet. Da versteht der Biologe sicher etwas anderes drunter als der Mann auf der Straße. Für Menschen ist Sex gleichbedeutend mit Kopulation – aber der Biologen meint mit Sex die Vermischung von Genen, die geschieht, wenn sich Ei- und Samenzellen treffen. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, und Kopulation ist nur eine davon: Pflanzen treiben Blüten, Seeigel entlassen ihre Eier und Samen ins Meerwasser, Salamander sprühen ihr Sperma auf den Boden, damit sich ein Weibchen drauf setzt – die Möglichkeiten sind vielfältig, und was wir Menschen tun, nur eine Variante.
Aber was versteht man dann unter Geschlechtern?
Geschlecht ist ziemlich leicht zu definieren: Innerhalb einer Art bestimmt es die Gruppen, zwischen denen Sexualität nicht möglich ist. Genetisch betrachtet, jedenfalls. Natürlich können gleiche Geschlechter kopulieren (wenn sie denn auf Kopulation stehen), aber man kann nun mal nicht zwei Samenzellen miteinander verschmelzen oder zwei Eizellen.
Und wozu soll das gut sein?
Dass es Geschlechter gibt? Die Antwort darauf ist überraschender Weise sehr unklar. Wenn man sich eine Situation vorstellt, in der jeder sich mit jedem Fortpflanzen kann, ohne Beschränkungen. Dann gäbe es keine Ei- oder Samenzellen – Algen haben beispielsweise so ein System. In solch einen System wäre die Zahl der potenziellen Fortpflanzungspartner so groß wie die Zahl der Individuen in dieser Art. Doch wenn es zwei Geschlechter gibt, dann scheidet im Idealfall die Hälfte der Bevölkerung aus, und das ist das sehr ineffizient. Warum die meisten Lebewesen in zwei Geschlechter getrennt sind, ist ein ungelöstes Rätsel.
Aber die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern schien lange Zeit ziemlich klar: Männchen produzieren viele kleine Samenzellen, die sie großzügig auf möglichst viele Sexualpartner verteilen wollen, während Weibchen zu viel Energie in die aufwändige Produktion relativ großer Eizellen investieren müssen und daher sehr sorgfältig bei der Wahl eines Partners sein müssen.
Das Einzige, was sich sicher über den Unterschied zwischen Geschlechtern sagen lässt, ist: Männchen produzieren kleine Geschlechtszellen, und Weibchen produzieren große. Das ist die einzige Verallgemeinerung für das Tier- und Pflanzenreich.
Aber die These, dass Männchen auf Promiskuität gepolt sind, während Weibchen eher monogame Veranlagung haben, ist ja für viele Laien und Fachleute bis heute ein Dogma.
Was das Verhalten angeht, da gibt es enorme Vielfalt, beispielsweise bei der Brutpflege. Bei Fischen ist es oft das Männchen, bei Insekten das Weibchen, und bei Vögeln meist beide. Bei Säugetieren spielt natürlich eine Rolle, dass nur die Mutter Milch produziert, was die Pflegemöglichkeiten des Vaters einschränkt. Aber auch hier gibt es außergewöhnliche Zusammenarbeit zwischen den Eltern. Mein Lieblingsbeispiel hierfür sind Dschungarische Zwerghamster, wo das Männchen bei der Entbindung hilft und die Neugeborenen sauber leckt und darauf achtet, dass sie atmen und so weiter.
Trotzdem bleibt Frage doch, wie stark menschlichen Idealvorstellungen die Wahrnehmung der Forscher beeinflusst haben.
Nicht menschlich – männlich! Die Idee dahinter ist, dass Frauen beim Sex im wesentlichen passiv sind. Aber mit gentechnischen Methoden ließ sich sehr schnell nachweisen, dass die angeblich “treuer” Weibchen vieler Vogel- oder auch Säugetierarten in der Tat zahlreiche Sexpartner hatten. Allerdings war es dann doch auch ein Mann, nämlich Mark Ridley, der als erster nachgewiesen hat, dass diese Promiskuität wichtig für die weibliche Fruchtbarkeit sein kann, zum Beispiel bei Insekten.
Wie kommt es eigentlich, dass Sie so viel über das Sexleben von so vielen verschiedenen Arten wissen? Normaler Weise spezialisieren sich Biologen ja auf eine Gattung oder sogar auf eine Art.
Ich habe viel Zeit in Bibliotheken verbracht.
Aber was ist Ihre persönliche Spezialität als Biologin?
Meine Doktorarbeit habe ich über archaische Asexualität geschrieben …
Über was, bitte?
Darüber, wie eine Klasse von Lebewesen (die in beinahe jeder Pfütze lebenden Rädertierchen, d.Red) 85 Millionen Jahre ohne jeglichen Sex überleben kann und was das Geheimnis dahinter ist.
Und was ist das Geheimnis?
Es gibt keine Männchen; die Weibchen klonen sich.
Keine schönen Aussichten. Forscher vermuten ja inzwischen, dass das Y-Chromosom, das bei uns Menschen ja das männliche Geschlecht bestimmt, langsam zu verschwinden droht. Könnten Männer biologisch überflüssig werden?
Keine Sorge. Geschlecht wird durch viele verschiedene Merkmale festgelegt – der Mechanismus, der unterschiedliche Geschlechter hervor bringt, ist einer der komplexesten in der Biologie. Nahezu alle Lebewesen sind in Männchen und Weibchen unterteilt, aber wie das geschieht, das ist so unglaublich vielfältig. Wenn das Y-Chromosom tatsächlich verschwinden würde, heißt das ja nicht, dass Männer verschwinden werden. Sondern nur, dass die Gene, die einen Mann zum Mann machen, inzwischen auf andere Chromosomen verlagert wurden. Bei Insekten beispielsweise haben die Männchen gar kein eigenes Geschlechtschromosom, sondern statt dessen nur den halben Chromosomensatz der Weibchen (statt XX oder XY nur X). Aber das beantwortet natürlich nicht die Frage, ob Männer überflüssig werden könnten. Eine offensichtliche Ursache dafür wäre, wenn Frauen anfangen, sich zu klonen. Eine zweite Ursache wäre Inzucht: Insektenarten wie Bienen beispielsweise, wo sich Geschwister paaren, haben eine sehr kleine Anzahl von Männchen im Verhältnis zu Weibchen. Aber ich glaube nicht, dass Männer verschwinden werden – wäre ja auch schade drum.
Lassen sich eigentlich Rückschlüsse von Tierbeobachtungen auf das menschliche Sexualverhalten ziehen?
Darauf gibt es mehrere Antworten. Erstens ist das menschliche Sexualverhalten gar nicht so spannend – darum schreibe ich ja lieber über Tiere. Und zweitens ist es sehr schwer, menschliche Sexualität wissenschaftlich zu untersuchen: Wer sagt bei solchen Umfragen schon gerne die Wahrheit? Ich habe da kein großes Vertrauen in die Menschen. Aber wenn wir Tiere untersuchen, können wir eine Menge darüber erfahren, warum wir so sind wie wir sind.
Was hat sie überhaupt auf die Idee gebracht, Ihr Buch in der Form einer Ratgeber-Kolumne zu schreiben? Das ist ja nicht gerade eine anerkannte Form der wissenschaftlichen Präsentation.
Es begann als ein Witz, als ich noch Journalistin beim “Economist” war. Ich sollte einen Beitrag für ein Sonderheft schreiben und suchte nach einer Möglichkeit, den Text etwas lebhafter zu machen.
Und wie haben Ihre Wissenschaftskollegen darauf reagiert?
Bisher gut. Mein Buch erhielt positive Besprechungen in “Nature” und “Science”.
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