Und damit meine ich mich. Und nein, dies ist keines dieser vorauseilenden, händeringenden Mea-culpa-Geständnisse, sondern lediglich meine persönliche Reflexion zum Thema “Abschreiben”, in die ein Vierteljahrhundert journalistischer Tätigkeit einfließen – eine lange Zeit, in der auch ich zumindest einmal öffentlich als Plagiator bezeichnet wurde.
Aber ehe ich auf dieses Beispiel (und noch ein paar andere Anekdoten aus meinem Berufsleben) eingehe, will ich doch erst mal eine generelle Kritik loswerden:
Ich denke nicht, dass “Plagiat” der richtige Begriff ist für die Verfehlungen der Guttenbergs, Koch-Mehrins, Pröfrocks, Chatzimarkakis’ und wie sie sonst noch heißen mögen. Ich lehne mich hier mal weit aus dem Fenster, aber meines Wissens sind Quellennachweise und Zitiervorschriften in der Wissenschaft nicht dazu gedacht, irgend ein “geistiges Eigentum” eines Autors zu schützen – es geht primär darum, die Herkunft von Daten und Erkenntnissen transparent zu machen, damit man sie gegebenenfalls prüfen oder in ihrer Entstehung nachvollziehen kann.
Beispiel: Wenn ich in einer wissenschaftlichen Arbeit die Einwohnerzahl der Bundesrepublik mit 81,772 Millionen angebe, ohne die Quelle zu nennen, dann habe ich ja nicht die geistigen Eigentumsrechte des Statistischen Bundesamtes verletzt, sondern schlicht und ergreifend unsauber gearbeitet. Denn ohne Quellenangabe ist die Zahl wertlos, weil nicht nachprüfbar. Und wenn ich behaupten würde, dass US-Vierteldollarmünzen in 53,4 Prozent der Fälle mit George Washingtons Profil nach oben landen, ohne zu erwähnen, dass ich dies in einem Selbstversuch mit 500 Münzwürfen ermittelt habe, dann habe ich mich zwar bei niemandem als bei mir selbst bedient – aber dennoch eine wissenschaftlich unhaltbare Behauptung aufgestellt.
Oder, um es mal noch provozierender zu sagen: Von wem eine wissenschaftliche Erkenntnis stammt, ist längst nicht so wichtig wie die Information, wie sie/er zu dieser Erkenntnis gelangt war. Die Gesetze der Planetenbewegung hätten auch dann noch ihre Gültigkeit gehabt, wenn Galileo sie vor Kepler veröffentlicht hätte (und dazu vielleicht in Keplers Aufzeichnungen geschnüffelt hätte). e=mc2, unabhängig davon, ob nun Einstein oder Max Planck zu diesem Ergebnis gekommen wäre. Aber entscheidend bleibt, dass man weiß, wie Kepler, wie Einstein zu ihren Resultaten kamen. Und wenn sie auf Erkenntnisse und Daten von anderen (in Keplers Fall zum Beispiel die Planetenvermessungen von Tycho Brahe) zurück gegriffen haben, dann will man das auch wissen – Quellennachweise sind ein elementarer Teil der wissenschaftlichen Beweisführung, und zwar nicht wegen irgendwelcher geistiger Eigentumsrechte (um die man sowieso immer Streiten kann – wir arbeiten hier in einem Medium namens Internet, das mit der Parole “Information must be free” popularisiert wurde), sondern aus wissenschaftlichen Gründen. Wer also Quellen verschweigt und Zitate nicht kenntlich macht, der ist auch dann noch unfähig, einen akademischen Titel zu führen, wenn er nicht “plagiiert” hat. Und das droht bei dieser Plagiatsdebatte unterzugehen.
So, nun aber zum versprochenen “Outing” meiner selbst als Pagiator. Dazu muss ich erst mal weiter ausholen: Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Arbeiten wird der Quellennachweis im Journalismus nicht immer stringent gehandhabt. Erstens gibt es oft genug Fälle, in denen Quellen nicht genannt werden können – sei es, um die Quelle vor Repressalien zu schützen; sei es, um die Exklusivität der eigenen Story (und deren Fortsetzungen) zu bewahren – oder manchmal auch nur, weil die Quelle darum bittet, nicht genannt zu werden. Manchmal gibt es zudem keine “Quelle” – wenn die Bundeskanzlerin oder der amerikanische Präsident eine Rede hält, die auf allen großen Fernsehsendern live übertragen wird, dann ist es letzlich egal, ob ich sie via CNN, ARD oder im Pressesaal der Vereinten Nationen auf den Monitoren betrachtet habe. Wenn Schalke gegen Bremen 4:0 gewinnt, dann ändert es am Ergebnis nichts, ob ich es im Stadion miterlebt, am TV-Schirm verfolgt oder im Radio gehört habe. Mit anderen Worten: Der Journalist sollte die Fakten prüfen – und der Leser sich dann darauf verlassen können, dass es stimmt.
Aber natürlich werden auch im Journalismus Quellen genannt: Wenn ich Barack Obama aus einem Interview der New York Times zitiere, dann muss ich das auch angeben – weil die nämlich andere Fragen stellen würde, als wenn es ein Interview mit Fox TV gewesen wäre. Und wenn ich in der Washington Post ein nettes Zitat vom sprichwörtlichen “Mann auf der Straße” gefunden habe, das ich gerne verwenden will, dann schreibe ich selbstverständlich, wo ich es her habe. Aber anders als beim wissenschaftlichen Zitieren begnüge ich mich eben mit einer Quellenangabe – “erklärte Obama in einem Interview mit der New York Times” – im Lauftext; Ort, Datum und Seitenangabe sind zumindest in Printausgaben nicht üblich (und aus Platzgründen auch nicht praktisch); auch das Wiederholte Rückverweisen auf diese Originalquelle – sowit der Bezug aus dem Text sowieso klar ist – würde den Artikel icht gerade lese(r)freundlich machen. (Bei Online-Texten ist das übrigens einfacher – hier kann und sollte man selbstverständlich auf die Quelle verlinken.)
“Selbstverständlich” habe ich eben geschrieben – und nach meinem Selbstverständnis ist das auch so. Aber hier beginnt nun das “Outing”: Nicht jeder teilt diese Auffassung. Ich habe mit KollegInnen und RedakteurInnen gearbeitet, die solche Details für überflüssig halten und entweder gar nicht erst hinschreiben oder, beim Redigieren, wieder rausnehmen (und ja, das ist mir leider sehr oft passiert). Selbst bei Artikeln, die online erscheinen, werden solche Links nicht selten eliminiert. Ich weiß, dass ich mich dem Vorwurf der Komplizenschaft nicht einfach entziehen kann, so lange ich für und mit solchen Medien arbeite – aber diesen Stein werfe bitte nur der oder die, die noch nie im Interesse ihrer Existenz und ihres Lebensunterhalts einen ethischen Kompromiss eingegangen sind…
Nun aber zurück zum konkreten Plagiatsvorwurf, der gegen mich erhoben wurde. Ist ganz lehrreich – sowohl für Journalisten im Online-Zeitalter, als auch für alle, die schnell mal die Plagiatskeule rausholen wollen, wenn sie Übereinstimmung zwischen zwei Aussagen gefunden haben. Leider existiert die Seite mit Original-Blogeintrag, in dem dieser FOCUS-Online-Artikel über die Reaktion der New Yorker auf George W. Bushs Wahlsieg über John Kerry 2004 als “Plagiat” zerpflückt wird, nicht mehr. Aber aus dem Gedächtnis weiß ich zumindest noch, dass mir mindestens in drei Punkten das Plagiieren vorgehalten wurde:
1. Ich hatte meine Story unter anderem an Bushs bescheidenem Wahlergebnis in Manhattan aufgehängt und selbiges mit den gleichen Wert angeführt, der auch in allen New Yorker Tageszeitungen stand: knapp 16,7 Prozent. Aber deswegen “stammte” diese Zahl nicht aus den Zeitungen, sondern sie war von der Wahlkommission (die am Morgen nach der Wahl die Ergebnisse nach Stimmbezirken, Stadtvierteln etc. aufgeschlüsselt publiziert hatte) veröffentlicht worden. Zugegeben: Nach der wissenschaftlichen Zitierweise wäre es – siehe oben – nicht korrekt, selbst amtliche Resultate (oder meinetwegen auch: den Endstand eines Fußballmatches) ohne Quellenangabe zu nennen. Aber im Journalismus gelten, wie gesagt, weniger strenge Regeln.
2. Das Beispiel mit den Busladungen von Wahlhelfern, die nach Pennsylvania gereist waren (was ich selbst übrigens im Jahr 2008 auch gemacht habe – allerdings nicht im Bus, sondern mit Freunden im Auto) war auch überall, z.B. in der New York Times, zu lesen. Aber abgeschrieben war es trotzdem nicht – meine Quelle waren zwei Freundinnen und ein Freund, die sich noch am Sonntag vor der Wahl auf den Weg nach Pennsylvania gemacht hatten.
3. Der dritte Vorwurf hingegen traf schon besser: Ich hatte in der Tat im 5. Absatz eine Filmproduzentin wörtlich zitiert – das Zitat stammte jedoch aus der New York Times, was in diesem Absatz nicht kenntlich war. ABSCHREIBER! PLAGIATOR! Ja, mea culpa. Ursprünglich hatte ihm ein weiter unten platzierter Absatz – in dem die New York Times als Quelle genannt wurde – vorausgehen sollen. Doch aus irgend einem Grund – den ich heute gar nicht mehr nachvollziehen kann, denn dieser nach hinten verschobene Absatz hätte tatsächlich weiter oben viel besser hingepasst – hatte ich beim Überarbeiten geglaubt, dass das Zitat des Psychiaters weiter hinten mehr Kraft hätte. Und ich kann dafür nicht mal einer Redakteurin oder einem Redakteur die Schuld geben: in der Abgabeschluss-Heltik hatte ich ganz alleine und ohne fremde Hilfe vergessen, dass ich dann auch die Attribution (die vorher einigermaßen klar war, zumindest nach journalistischen Gepflogenheiten) entsprechen umpfriemeln müsste.
Was am Resultat natürlich nichts ändert: Der Quellennachweis war unterhalb meiner eigenen und der generell journalistisch vertretbaren Standards, und niemand ärgert sich darüber mehr als ich, auch fast sieben Jahre später noch. Der Plagiatsvorwurf (eigentlich: Vorwurf der ungenauen Quellenangabe) schmerzt, selbst wenn ich Argumente habe, mich zu verteidigen. Und deswegen – genau deswegen – kann ich es eben nicht die Nonchalance nachvollziehen, mit der sich die überführten Politiker hier aus den Affären ziehen wollen.
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