Auf dieses Thema bin ich beim Lesen des neuen Blogs The Internationalist gestoßen, den Stewart Patrick vom Thinktank Council on Foreign Relations gestartet hat: Sexuelle Gewalt gegen Männer in bewaffneten Konflikten ist nicht nur eine bizarre Randerscheinung, die im großen Bild neben der bekannten sexuellen Gewalt gegen Frauen kaum ins Gewicht fällt. In seinem Eintrag Stopping Wartime Sexual Abuse–of Men schreibt Patrick:

Today, the Internationalist would like to draw your attention to a disturbing phenomenon ignored by the foreign policy community but all too common in global conflict zones: The pervasive sexual abuse of men in war.


Und falls jetzt jemand glaubt, dies sei doch nur ein unbedeutender Randeffekt und eigentlich nur der Versuch, die erschreckende sexuelle Gewalt, die seit Menschengedenken gegen Frauen in Konfliktzonen zu bagatellisieren oder durch das Argument “das kann ja auch Männern passieren” zu relativieren – nein, darum geht es nicht. Laut Patrick wurden etwa 30 Prozent aller Frauen im Ostkongo zu Opfern sexueller Gewalt – aber auch 22 Prozent aller Männer. 80 Prozent der männlichen bosnischen Insassen in serbischen Konzentrationslagern in Sarajewo seien vergewaltigt worden, ebenso wie 76 Prozent der Männer im Polizeigewahrsam in El Salvador. Ob diese Zahlen zuverlässig sind, kann ich nicht beurteilen; dass sie sich jedenfalls nicht in aktiver Politik, wie beispielsweise der

UN-Resolution 1325

, niederschlagen, ist ebenfalls sicher.

Ich will hier nicht Patricks Argumente nacherzählen – wer will, kann ja seinen Blog direkt lesen. Aber dass es auch im Sinne der Frauen sein kann, sexuelle Gewalt geschlechtsübergreifender zu erkennen, ist sicher einen Moment des Nachdenkens (und dann eine Umsetzung in politisches Handeln) wert. Dazu zitiere ich die von Patrick seinerseits zitierte Rechtsexpertin Lara Stemple, aus deren Studie über

Male Rape and Human Rights

die oben genannten Zahlen stammen und die in einem Artikel des britischen Guardian am vergangenen Wochenende sagt:

Ignoring male rape not only neglects men, it also harms women by reinforcing a viewpoint that equates ‘female’ with ‘victim’, thus hampering our ability to see women as strong and empowered. In the same way, silence about male victims reinforces unhealthy expectations about men and their supposed invulnerability.

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Kommentare (18)

  1. #1 Theres
    20. Juli 2011

    Wie steigert man totschweigen? Dann lese ich gleich mal weiter …

  2. #2 rolak
    20. Juli 2011

    Na dann drück ich mal die Daumen – ein Kapitel aus dem Großwerk Geschlechterkampf und das CFR, das die VTler anzieht wie Licht die Motten^^ Möge es gutgehen!

  3. #3 ali
    21. Juli 2011

    Ich hatte mir auch schon überlegt ob ich so etwas bloggen soll. Es gibt ein zwei berühmte Fälle vom Tribunal für das ehemalige Jugoslawien wo Vergewaltigung geschlechtsneutral definiert wird. Ziemlich heftig was da diskutiert werden musste. Vielleicht würde es einigen Männern einfacher fallen, da etwas Empathie aufzubringen.

  4. #4 cydonia
    21. Juli 2011

    Meine Hoffnung ist immer, dass man solche Dinge Faktenbezogen diskutieren kann, ohne dass notorische Empörer oder vorurteilsbehaftete Missversteher das ganze sprengen. Ich drücke die Daumen.

  5. #5 klauszwingenberger
    21. Juli 2011

    Kommt mir nicht überraschend vor. Wenn man sich klarmacht, dass eine Vergewaltigung nicht ein gewaltsamer Ausdruck von Sexualität ist, sondern ein sexueller Ausdruck von Gewalt, ist das nur plausibel.

  6. #6 Bullet
    21. Juli 2011

    @klaus: jepp. Insbesondere, wenn man daran denkt, daß es für den “Klischee-Mann” gerade in besonders männlich dominierten Gesellschaften (ich nenne jetzt mal keine Beispiele, um die Spinner nicht aus dem Keller zu lassen) nochmal ein enormes Stigma obendrauf ist, ein Opfer sexueller Gewalt zu sein. Und sowas ist als Demoralisierungsmittel (im militärischen Kontext beispielsweise) durchaus nicht zu vernachlässigen.

  7. #7 maxfoxim
    21. Juli 2011

    Eine Frage. Ist in solchen Ländern nicht auch Homosexualität bis aufs äußerste verpönnt? Wieso vergewaltigt Mann dann Mann. Oder habe ich was nicht richtig verstanden? (Ich vermute schon mal ja…) Oder werden die Männer sexuell gedemütigt? Zwang zur Zoophilie vielleicht? (Aufmerksame Leser von Bloodacid wissen ja, dass es nicht mehr Sodomie heißt )

    PS: das wird der Alice Schwarzer aber gar nicht “gefallen”. Frei nach ihr zitiert ” Männer sind auch Opfer, aber Frauen sind die Opfer der Opfer” …

  8. #8 Ratiomania
    21. Juli 2011

    @maxfoxim

    Tja gute Frage. Deswegen habe ich mich doch auch schwer gewundert, dass sowas als Entwürdigungsmethode eingesetzt wird.

    Aber wird bestimmt sone Spielart eines Vergewaltigungsmythos sein. Nur der passive als Opfer ist “homosexuell”, der andere festigt seine Männlichkeit…

    https://de.wikipedia.org/wiki/Vergewaltigungsmythos#N.C3.A4hrende_Annahmen

  9. #9 Bullet
    21. Juli 2011

    Auch. Aber nicht nur. Wenn beispielsweise einem Mann vor Publikum ein ziemlich dickes Stück Holz in den Allerwertesten getrieben wird, dann geht ja auch niemand davon aus, daß der Täter damit seine Lust befriedigt. Der Schaden ist – neben dem medizinischen – für das Opfer stets größer. Und im Falle der physisch “entkoppelten” Gewalt ist es noch etwas deutlicher, daß da Lustgedanken für den Täter eher weniger eine Rolle spielen.

  10. #10 maxfoxim
    21. Juli 2011

    @ Bullet. Gebe dir recht, aber das würde ich dann eher Richtung Folter setzen. Unter sexueller Gewalt verstehe ich, der von sowas keine wirkliche Ahnung hat, dass EINE Person dabei sexuelle Lust oder Spaß entfindet. Aber das ist vermutlich nur eine Definitionsfrage…

  11. #11 YeRainbow
    21. Juli 2011

    ist der Fachwelt schon länger bekannt. Spricht sich nur leider nicht alles bis zum allgemeinwissen durch…

    Opfer von Mißhandlungen durch sexuelle methoden sind Männer und Frauen. Häufiger sind es Frauen.
    Täter von derartigen Übergriffen sind Männer und Frauen. Wesentlich häufiger Männer, sehr viel häufiger.

    Aber es ist wahr, es könnte jeden erwischen. (das gibts nicht nur in Kriegsschauplätzen!).
    Leider ist es kulturell als Thema derart vorbelastet, daß viele der Opfer nicht nach juristischer Lösung suchen (über den Sinn könnte man diskutieren), und häufig auch keine Hilfe suchen, besonders wenn männlich.

    Die Anerkennung weiblicher Opfer als Opfer einer kriminellen handlung entwickelte sich aus der Frauenbewegung, gegen die offiziellen ansichten/juristischen Entscheidungen etc.
    Für Männer ist das noch nicht erledigt.
    ein weiteres und hinderndes Problem ist, daß männliche Opfer sehr häufig meinen, sie würden ihre gesamte Reputation verlieren, und daher eine Aufdeckung meiden (bis hin zur Befürchtung, homosexuell zu sein/zu werden/als Homosexueller angesehen zu werden).

    Tatsächlich ein schwerwiegendes Problem.
    Daß ein mann nicht schwanger werden kann in Folge dessen, tröstet keinen von ihnen, da bin ich sicher.

  12. #12 Buck
    21. Juli 2011

    Heikles Thema hier auf scienceblogs nach dieser ganzen Fahrstuhl Geschichte (Elevatorgate, Schroedingers Vergewaltiger, Straßenseite wechelsn etc.)…

    Da muss man ja vorsichtig sein mit seinen Äußerungen.

  13. #13 ilona
    21. Juli 2011

    Hätte Jürgen das drüben verlinkt wäre er nur ein Troll, schließlich ist der Mann Täter™, und die Frau Opfer™..

    Ich finde auch dass z.b. die öffentliche Haltung gegenüber Männerhäusern wesentlich negativer ist als die gegenüber Frauenhäusern. Kann aber auch nur ein subjektiver Eindruck sein.

    Sexuelle Gewalt gegenüber Männern genauso wie gegenüber Frauen kenne ich gottseidank nicht aus dem persönlichen Umfeld – wenn man jedoch von Hobbyautoren gelesene Geschichten liest findet man das Motiv der Vergewaltigung ganz oft, meistens wird diese dann entweder nur genutzt damit das Opfer verletzt zu seinem “vorbestimmten” Partner findet, und sich gesundgeschlechtsverkehren lässt, oder damit das Opfer in seinen Orgasmen bei der Vergewaltigung seine Liebe zum Vergewaltiger erkennt.
    DIES finde ich, ganz besonders da sich 99% der Geschichten an Jugendliche richten, extrem bedenklich, vor allem auch weil dort der Begriff des männlichen Opfers total normal ist, im gegensatz zur restlichen Welt. Ergo lernen v.a. die Kinder die diese Geschichten lesen Frauen NUR als Opfer kennen, und Männer als Täter und Opfer – wobei sie im ersteren Fall entweder Wohltäter oder “blöde” sind, aber keinesfalls das Leben des Opfers vollkommen zerstören und unter Umständen eine lebenslange Traumatisierung verursachen, und im letzteren praktisch ausnahmslos schwul und entweder hinterher mit einem anderen Mann oder dem Täter zusammen sind.

    Und dies ist keine Randerscheinung in meinen Augen, Geschichten die obriges Motiv als Hauptmotiv der Geschichte enthalten sind sowohl bei Anime/Manga, als auch in anderen Sparten extrem verbreitet. Ich persönlich schätze dass gut ein Viertel aller Jugendlichen Geschichten gelesen hat die so aufgebaut sind wie oben beschrieben.

    Das dieser Konsum keine Weltbilder erschafft ist mir klar, aber ich finde es bedenklich wenn solche Geschichten kritiklos gelesen werden, und hinterher das Pärchen Täter/Opfer als “kawaii” in den Kommentaren bezeichnet wird – von zwölfjährigen teilweise wohlgemerkt – und diese dann mit einer ähnlichen Handlung versuchen ebenfalls beliebte Geschichten zu schreiben.

    Insofern werden die großen Vergewaltigungsmythen was jüngere Menschen angeht in meinen Augen extrem im Bereich der Fanfictions gepflegt und warmgehalten.
    Diskussion zu dem Thema auf Animexx:
    https://animexx.onlinewelten.com/forum/kat1_27/thread_127773/0/

    Gruß

  14. #14 YeRainbow
    22. Juli 2011

    ja,Ilona – genau das ist eines der Probleme. Was aus der Fachwelt dann in der Alltagswelt ankommt, ist nicht unbedingt fachlich sauber.

    Daher gilt der Grundsatz: “meinung” ist NICHT Fachwissen.

  15. #15 YeRainbow
    22. Juli 2011

    und noch ein Hinweis. kommerzielle Verwertung von IRGENDEINEM Thema (auch diesem) hat dann mit Realitäten, mit belegbaren Daten etc GAR nichts mehr zu tun.
    Das liegt in der Natur des Verkaufens, nicht an den wissenschaftlichen Daten.

  16. #16 Bullet
    22. Juli 2011

    @maxfoxim:

    Unter sexueller Gewalt verstehe ich, der von sowas keine wirkliche Ahnung hat, dass EINE Person dabei sexuelle Lust oder Spaß entfindet. Aber das ist vermutlich nur eine Definitionsfrage…

    Naja, ich denke, die sexuelle Ebene ist hier nur Mittel zum Zweck, eben WEIL gerade diese Ebene das Opfer besonders verletzlich macht. Von daher ist sexuelle Gewalt (also die Art, die eben nicht aus Gründen eines hypothetischen “Triebstaus” stattfindet) in meinen Augen tatsächlich nichts anderes als Folter. Genau.

    @YeRainbow:

    ein weiteres und hinderndes Problem ist, daß männliche Opfer sehr häufig meinen, sie würden ihre gesamte Reputation verlieren, und daher eine Aufdeckung meiden (bis hin zur Befürchtung, homosexuell zu sein/zu werden/als Homosexueller angesehen zu werden).

    Ich bin der Ansicht, genau dies wird von den Tätern gezielt ausgenutzt.

  17. #17 Stefan W.
    7. September 2011

    klauszwingenberger·… dass eine Vergewaltigung nicht ein gewaltsamer Ausdruck von Sexualität ist, sondern ein sexueller Ausdruck von Gewalt,

    Klingt für mich wie das Bestimmen, ob man nun zur Wahren Judäischen Heilsfront, oder zur Ersten Heilsfront Judäas gehört. Hoffentlich sind die Neuronen im Hirn, die involvierten Hormone und und Phantasien auch so hübsch sauber in Kategorien einsortiert.

    Außerdem stört mich der gekünstelte Einschub einer Medienebene, so daß von ‘Ausdruck’ die Rede ist, wie bei der Interpretation eines Musikstücks. Geht es darum etwas auszudrücken, oder um die Tat? Wird etwas ausagiert, oder inszeniert und vorgeführt?

    Wenn es um die Erniedrigung des Opfers geht, dann kann es eigentlich nicht gleichzeitig um den Ausdruck des Täters gehen.

    Vielleicht ist aber auch der Ausdruck des allgemeinen, unpersönlichen Gewaltgeschehens der Gesellschaft an und für sich – mutmaßlich chauvinistisch – gemeint?

    Ich finde es schwer vorstellbar, dass die Täter langfristige Traumatisierungsprozesse anstreben. Die phantasiearme Erklärung ‘sadistischer Neigungen’ finde ich da viel plausibler.

    Wenn es keine institutionalisierte Vergewaltigungsdoktrin gibt, bei der einzelne Täter bestimmt werden, dann muss man doch von einem ungerichteten Ausleben ausgehen, welches sich in der Situation des Krieges viel häufiger Bahn bricht, als im zivilen Leben, und bei dem die Strukturen die Tat dulden, aber eben nicht organisieren.

  18. #18 jitpleecheep
    7. September 2011

    @Stefan W.:
    “klauszwingenberger: dass eine Vergewaltigung nicht ein gewaltsamer Ausdruck von Sexualität ist, sondern ein sexueller Ausdruck von Gewalt”

    Ich finde diese Unterscheidung völlig logisch und überaus sinnvoll.
    Es ist ein Unterschied, ob man Sexualität (safe, sane & consensual) gewaltsam auslebt (wie z.B. im BDSM), oder ob man mittels Sex Gewalt ausübt.

    “Außerdem stört mich der gekünstelte Einschub einer Medienebene, so daß von ‘Ausdruck’ die Rede ist, wie bei der Interpretation eines Musikstücks. Geht es darum etwas auszudrücken, oder um die Tat? Wird etwas ausagiert, oder inszeniert und vorgeführt? Wenn es um die Erniedrigung des Opfers geht, dann kann es eigentlich nicht gleichzeitig um den Ausdruck des Täters gehen.”

    Zum einen handelt es bei BDSM augenscheinlich um eine gewaltsame Ausdrucksform, die bisweilen durchaus eine Inszenierung sein kann.
    Zum anderen sehe ich andersherum (rein sprachlich betrachtet!) kein Problem darin, dass man sagt: “ein Vergewaltiger bringt Gewalt durch Sex zum Ausdruck”, oder “er verleiht seiner Gewalt Ausdruck”.
    So viel Spielraum erlaubt die deutsche Sprache dann doch durchaus…