Wenn man einen Extremsommer – mal zu heiß/trocken, mal zu kalt/nass – erlebt, kann man sich mit dem Gedanken schon mal anfreunden, dass sich das Wetter aufs Gemüt im Allgemeinen und auf die Streitlust im Besonderen auswirkt. Aber lassen sich kriegerische Auseinandersetzungen und Bürgerkriege tatsächlich durch ein Wetterphänomen erklären? Als Geograph, der den so genannten Geodeterminismus als ein Schimpfwort kennen gelernt hat, würde ich spontan sagen: Nein. Doch das Paper Civil conflicts are associated with the global climate, das in der aktuellen Ausgabe von Nature erschienen ist, sagt: Ja. Laut diesem Paper (das ich eigentlich ob der Paywall gar nicht hätte zu lesen bekommen können, aber wer munter googelt, findet es auch so) ist das El-Niño-Phänomen (offiziell: El Niño/Southern Oscillation, kurz ENSO) für etwa ein Fünftel aller blutigen Konflikte – ab 25 Todesopfern, soll das heißen – seit 1950 verantwortlich.
Hoppla, sagt da mein kritischer Verstand. Ich habe mir das Paper sowie die
durchgeschaut, und auf den ersten Blick wirkt die Grafik, in der die alljährliche Konfliktanfälligkeit (Annual Conflict Risk, ACR) mit den Temperaturschwankungen verknüpft wird, eher zufällig:
Aber ich habe natürlich keinen Anlass zu zweifeln, dass die Regressionen, Koeffizienten, Korrelationen etc., die daraus errechnet wurden, ganz korrekt und entsprechend aller Regeln der Kunst sind. Und ebenso sicher ist, dass ich nicht mal im Ansatz das methodische Rüstzeug hätte, an diesem Leder zu flicken.
Und trotzdem bin ich nicht überzeugt. Ganz ohne statistische Feinanalyse, und primär auf der Basis dessen, was man “common sense” nennt. Das beginnt mit der Datenerhebung: Die Wetterdaten, also die Erwärmung beziehungsweise Abkühlung durch El Niño oder La Niña lassen sich ja noch ganz gut in den Griff bekommen, aber mit den Konfliktdaten sieht das doch schon anders aus. Wir wissen doch aus den täglichen Nachrichten, dass selbst heute noch Konflikte völlig an der Öffentlichkeit vorbei gehen können (wen interessiert schon die Demokratische Republik Kongo, oder wer hat derzeit noch ein Interesse am Bürgerkrieg im Tschad oder im Sudan?), und in den 50-er Jahren, vor Internet oder wenigstens 24-Stunden-Nachrichtensendern, wird’s eher noch zufälliger gewesen sein, ob die Welt von internen Konflikten mit 25 Toten und mehr erfuhr oder nicht. Und ja, selbst heute ist es oft unmöglich, genaue Angaben zu Opferzahlen zu bekommen.
Mit anderen Worten: Selbst wenn mit den verfügbaren Daten korrekt gerechnet wurde, so bleibt doch die Frage, wie korrekt (im Sinne von: die Realität beschreibend) diese Daten sind.
Aber selbst wenn diese Daten mit der größtmöglichen Präzision erfasst wurden: Der untersuchte Zeitraum umfasst die Jahre 1950 bis 2004 – 54 Jahre. Und der geografische Raum, der von El Niño betroffen ist, umspannt zwar die Tropen ganz global, aber das sind trotzdem nur ein paar Dutzend Länder:
Und sind nun mal eher Länder, die im Großen und Ganzen eher zu den Armen und den Konfliktanfälligen gehören.
Zudem unterstellt das “jährliche Konfliktrisiko” ACR, dass sich die Verhältnisse in solchen Ländern praktisch von einem Jahr zum nächsten Jahr ändern können, also jedes Jahr ein neues “Ereignis” ist. In Wirklichkeit schwelen Konflikte oft jahrzehntelang – und ja, da genügen oft ganz zufällige Vorkommnisse (wie die aktuellen Spannungen zwischen Ägypten und Israel zeigen), um Aggressionen an- oder auch wieder abschwellen zu lassen. Und welche Rolle das Wetter dabei spielt, ist im Konzert all der Krisenfaktoren doch eher fraglich – selbst wenn sich eine solche Korrelation mit statistischen Methoden etablieren lässt. Dessen sind sich die Verfasser des Papers zwar auch bewusst:
Although we observe that the ACR of low-income countries is most strongly associated with ENSO, we cannot determine if (1) they respond strongly because they are low-income, (2) they are low income because they are sensitive to ENSO, or (3) they are sensitive to ENSO and low income for some third unobservable reason.
Stimmt. Und darum hätte ich ein Fragezeichen hinter der Überschrift des Papers korrekter gefunden …
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