Das politische Fingerzeigen zwischen Konservativen/Republikanern/Tea-Partiern einerseits und Demokraten/dem Weißen Haus/Liberalen andererseits, das nun der Herabstufung der US-Bonität durch die Ratingsagentur Standard & Poor’s – die dem land nun nicht mehr die Top-Kategorie AAA zuweist, sondern es
– prompt und erwartungsgemäß gefolgt ist, erinnert mich an zwei Rotznasen, die beim Raufen auf dem Schulhof erwischt wurden und nun beiderseits behaupten, der andere hätte ja angefangen. Und wie die raufenden Kinder kapieren sie nicht, dass es gar nicht mehr darum geht, wer nun angefangen hat – sie werden es beide gemeinsam ausbaden müssen, ob es ihnen passt oder nicht.
Natürlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet eine Ratingsagentur wie S&P, die ja durch ihr Versäumnis, mangelnde Bonitäten bei durch kreative Finanzinstrumente in die Schieflage geratenen Kreditinstituten zu erkennen und damit (gar nicht mal so) indirekt zur aktuellen Krise massiv beigetragen hat, der US-Regierung – die eben nicht, wie manche Stimmen gefordert hatten, diese Agenturen mit zur Rechenschaft gezogen hatte – diesen “Dolchstoß” in den Rücken versetzt. In diesem Tenor hatte sich schon der frühere US-Arbeitsminister Robert Reich in seiner Kolumne in der Huffington Post empört: Why S&P Has No Business Downgrading the U.S. . Und auch in der aktuellen Online-Ausgabe des Magazins The New Yorker stößt Nick Paumgarten in das gleiche Horn.
Doch diese Reaktion, so begreiflich sie rein emotional sein mag, ist wenig hilfreich. Nur weil S&P früher geschlampt hat, ist nicht automatisch alles, was die Agentur tut, wert- und sinnlos. Denn mit dem gleichen Argument könnte man fordern, dass Steuerhinterziehungen künftig nicht mehr geahndet werden dürfen, nur weil es den Finanzbehörden nachweislich nicht immer gelingt, jeden Steuersünder zu erwischen. Selbst dass sich die S&P-Prüfer sich (vielleicht) beim mittelfristigen Wirtschaftswachstum
haben, spielt bei diesem am kurzfristigen Zustand orientierten Rating keine entscheidende Rolle – man einfach nur die Begründung lesen, die S&P für seine Herabstufung gegeben hat:
we have changed our view of the difficulties in bridging the gulf between the political parties over fiscal policy, which makes us pessimistic about the capacity of Congress and the Administration to be able to leverage their agreement this week into a broader fiscal consolidation plan that stabilizes the government’s debt dynamics any time soon
Mit anderen Worten: Es ist nicht nur die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben, die hier Grund zur Sorge gibt – es ist die politische Unfähigkeit, eine Lösung zu finden, die für die Herabstufung verantwortlich war.
Da sind wir also wieder beim Fingerzeigen. Und klar – von Rechts wird dem Präsidenten die Schuld gegeben, denn schließlich ist der ja letztlich für alles verantwortlich, was unter seiner Aufsicht geschieht, von Links (was man in den USA halt so als “links” bezeichnet – in Deutschland stünden die immer noch ein wenig rechts von der Mitte) wird die Schuld vor allem bei der radikalen Haltung des republikanisch kontrollierten Abgeordnetenhauses gesucht, das unverrückbar an einer Politik der Steuergeschenke und Sozialleistungskürzungen festhält und damit die Möglichkeit der Regierung blockiert, durch Steuererhöhungen die Einnahmen und damit die Bilanz insgesamt zu verbessern.
So, bis hierher habe ich versucht, einigermaßen neutral zu bleiben. Aber dies ist ein Blog, also eine Meinungsplattform – meine Meinungsplattform – und das fordert natürlich, quasi naturgemäß, dass ich hier nun auch mal Stellung beziehe:
Die Idee, dass man einen überschuldeten Haushalt nur gesund schrumpfen kann, ist natürlich hanebüchener Blödsinn. Jeder, der schon mal in der Situation war, dass er seine Ausgaben nicht mehr durch die stetig sinkenden Einnahmen (irgend welche Freiberufler unter uns, vor allem freien Journalisten?) decken konnte, weiß natürlich, dass er/sie sparen muss – aber dass auch dem Sparen Grenzen gesetzt sind. Einen bestimmten Wert – wir nennen das gemeinhin das “Existenzminimum” – kann selbst der frugalste Sparer nicht mehr unterschreiten, und wenn das Geld dann immer noch nicht reicht, muss ganz logisch die Einnahmenseite verbessert werden. Dieser Ausgleich von Soll und Haben ist ja nun das simpelste, was man über Buchhaltung lernen kann (und nein, eine Bilanz ist keine Ideologie: Es ist erst mal völlig neutral, ob der Ausgleich durch Erhöhung der Aktiva oder durch Verringerung der Passiva erfolgt).
Doch die republikanische Steuerideologie endet ja nicht damit, dass die Einnahmen nicht erhöht werden dürfen – sie fordern vielmehr, dass die Einnahmen zu Gunsten der Topverdiener verringert werden müssen. Genau, es geht um die Steuergeschenke, die George W. Bush formal allen Amerikanern, de facto aber vor allem den Gutverdienern beschert hatte und die ursprünglich bis zum Jahr 2010 befristet sein sollten. Obamas Absicht, diese Steuersenkung für Einkommen über 250.000 Dollar im Jahr auslaufen zu lassen, ist aus republikanischer Sicht ein Teufelswerk, das um jeden Preis bekämpft werden muss (vorerst wurden sie für weitere zwei Jahre fortgeschrieben). Auf das Argument, dass solche Steuergeschenke ja für sich selbst bezahlen würden, weil sie den Konsum anheben, braucht man eigentlich gar nicht mehr einzugehen – das hat sich in den zehn Jahren seit ihrer Einführung ja selbst als lachhaft entpuppt. Dazu muss man gar nicht mal Ökonomie studiert haben, um dies zu verstehen: Wenn jemand schon mehr Geld hat, als er auf absehbare Zeit in Konsum verwandeln kann, dann wird er/sie auch nicht durch noch ein bisschen mehr plötzlich in Spendierlaune verfallen. Bei den unteren Einkommensschichten hingegen wird erst mal jeder Dollar, der zusätzlich verfügbar ist, für Konsum ausgegeben. Das ist sogar belegt: Mark Zandi, Chefökonom der Ratings-Agentur Moody’s, hatte dem Abgeordnetenhaus bereits im Juli 2008 vorgerechnet, dass jeder Dollar der Bush-Steuergeschenke einen Mulitiplikatoreffekt von 0,29 hätte, also nur ein ganz knappes Drittel davon überhaupt in den Konsum gelangt – jeder Dollar, der hingegen in Lebensmittelmarken für Sozialhilfeempfänger gesteckt wird, einen volkswirtschaftlichen Mehr-Wert von 1,73 Dollar bewirkt.
Und ja, ich habe den Begriff “Steuergeschenk” verwendet, was natürlich wieder all die üblichen libertären Soziopathen auf den Plan rufen wird, die den Staat generell und die fiskalische Seite desselben sowieso nur für ein abscheuliches Werk des Bösen halten. Meine Bitte: Schicken Sie mir Ihre entsprechenden Stellungnahmen auf handgeschöpftem Papier aus eigenem Holzanbau, und bringen Sie selbige zu meiner Haustür auf Wegen, die Sie selbst mit der eigenhändig aus Stein gehauenen Axt freigeschlagen haben – denn so lange Sie auch nur ein kleines Stück öffentlicher Infrastruktur nutzen (und ja, auch das Telefonnetz und weite Teile dessen, was wir das Internet nennen, wurde mit öffentlichen Geldern gebaut und gefördert), entlarven Sie Ihre Ideologie als billiges Geschwätz, das wirklich niemand mehr hören/lesen muss.
Also: Mit Sparen alleine ist der US-Wirtschaft nicht zu helfen. Klar, langfristig müssen die Amerikaner lernen, nicht mehr auf Pump zu leben – aber im Moment hilft diese Einsicht wenig. Denn erst mal ist die US-Wirtschaft eine Konsumwirtschaft, und daran ist kurzfristig nichts zu ändern. Im Prinzip ist es wie bei einem Zocker (den Vergleich habe ich übrigens aus dem oben zitierten New-Yorker-Beitrag geklaut): Wenn er sich erst mal in den Keller gezockt hat, dann hat er nur zwei Möglichkeiten: Aufhören und zu seinen Schulden stehen – oder aber weiter spielen, um wenigstens eine Chance zu haben, sein Geld (oder einen Teil davon) zurück zu gewinnen.
Ersteres wäre, auf die USA übertragen, die Zurückstufung zu akzeptieren und zu lernen, damit umzugehen. Zweiteres hingegen würde bedeuten, dass jemand das Geld für den nächsten Einsatz auftreiben muss – und das wollen die Republikaner offenbar um jeden Preis verhindern.
Ein Gedanke lässt mich aber nicht los, wenn ich mir anschaue, dass heute (Montag) die Aktienkurse um 5,5 Prozent eingeknickt sind: Ist es nicht unlogisch, sich einer Steuererhöhung (die mit einem einigermaßen geschickten Steuerberater auf ein paar mickerige Prozent beschränkt werden könnte und mit Sicherheit keinen Gutverdiener arm machen wird) mit aller Gewalt zu widersetzen – und dafür in Kauf zu nehmen, dass das bereits erworbene Vermögen dafür in den Keller fährt? Komische Logik …
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