Wer bei unserer amerikanische Schwestersite, scienceblogs.com, gelegentlich (oder meinetwegen auch regelmäßig) mitliest, der hat schon davon gehört, dass der neue SB-Anteilseigner National Geographic beschlossen hat, künftig nur noch unter Klarnamen schreibende Blogger im SB-Verbund zu dulden. Bei den deutschen ScienceBlogs ist eine solche Regelung (bisher) nicht angekommen, und in der Praxis hätte sie auch keine großen Folgen, da jede(r) deutsche ScienceBlogger(in) hier namentlich bekannt ist. Dennoch ist es mir ein paar Zeilen wert, da es sich hier um eine prinzipielle Frage des Bloggens handelt. Und weil durch den dadurch ausgelösten Abgang einiger erfolgreicher US-Blogger auch die Reputation der ScienceBlogs insgesamt, egal in welcher Sprache, in Mitleidenschaft gezogen werden kann.
Da ist zum einen Mal die notwendige – wenn auch triviale – Klarstellung, dass pseudonym und anonym nicht das Gleiche sind. Ersteres ist durchaus ein Identifikator: Loriot war ebenso pseudonym wie unverwechselbar, Mark Twain, Voltaire, Georg Baselitz, Novalis – die Liste der namhaften Pseudonyme in unserem Kulturkreis lässt sich noch lange fortsetzen. Und selbst wenn dabei die Grenze zum Anonymen manchmal überschritten werden kann – ein Beispiel dafür ist der Schriftsteller B.Traven, dessen wahre Identität bis heute nicht gelüftet wurde – bleibt doch der Wert und die Originalität des Beitrags, der unter diesem “Falschnamen” geschaffen wurde, unbestreitbar. Denn selbst wenn der Name, unter dem das Werk ensteht, in keiner Geburtsurkunde, in keinem Pass* zu finden wäre – so lange AutorIn und Werk eindeutig einander zugeordnet werden können, reduziert sich das alles letztlich auf eine Frage der Nomenklatur.
* In Deutschland wäre die Anti-Pseudonym-Aktion sowieso nicht umsetzbar, da es hier laut
ausdrücklich möglich ist, ein solches Pseudonym in den Personalausweis eintragen zu lassen – damit ist es ein echter Name, ebenso eindeutig und individuell wie der Geburtsname.
Natürlich kann es den Leser in die Irre führen, wenn das Pseudonym eine Reihe von falschen Eigenschaften vortäuscht: Wenn ich mich zum Beispiel hier, statt als GeoGraffitico (was ja, de facto, auch ein Pseudonym ist, das allein mich identifiziert – dafür habe ich in Kauf genommen, dass es ein bisschen holperig klingen mag), als Professor Dr. Beate Lithos präsentieren und dann Provokatives über Gender-Diskriminierung an Hochschulen absondern würde, würde ich damit eine Legitimation vortäuschen, die mir in meiner wahren Identität in dieser Form nie zukäme. Oder wenn der amerikanische Altstudent Tom MacMaster sich als Gay Girl in Damascus ausgibt, dann ist die Grenze der Anständigkeit klar und weit überschritten. Doch Dr. Isis beispielsweise ist eine promovierte Wissenschaftlerin, und dass sie einen Decknamen verwendet, ist dabei ebenso offensichtlich wie bei Drugmonkey oder Physioprof (alle drei sind ehemalige ScienceBloggerInnen, die durch die neue Klarnamenregelung zur Abwanderung gezwungen wurden).
Ich will hier gar nicht groß in die Diskussion einsteigen, warum manche Bloggerinnen und Blogger lieber unter Pseudonym schreiben, denn das würde eigentlich nur den Klarnamenzwang durch die berechtigte und begründete Ausnahmeregelung im Prinzip bestätigen. Blogger schreiben, was sie bewegt – und wie es sie bewegt. Wenn dies unter einem Pseudonym ist, dann tut das der Sache keinen Abbruch – entscheidend ist die Qualität ihres Schreibens, nicht das Etikett.
Und selbst die Annahme, dass dies nun mal ein Standard des Printjournalismus sei (was definitiv nicht stimmt – sehr viele Artikel in unseren alltäglichen Publikationen erscheinen unter Pseudonym, wie ich aus langjähriger Praxis weiß), oder zumindest bei National Geographic gänzlich undenkbar wäre, ist weit von der Realität entfernt: Es ist zwar schon etwa hundert Jahre her, aber einige Artikel in der damals noch jungen Zeitschrift trugen den Verfassernamen H.A. Largelamb – und dahinter verbarg sich niemand anderer als Alexander Graham Bell, amerikanischer Erfinder des Telefons und Mitbegründer der National Geographic Society (das Pseudonym ist ein Anagramm von A. Graham Bell).
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