Sorry, Freiherr von Knigge, dass ich mir Ihren Buchtitel hier mal “geborgt” habe. Es geht hier nämlich ganz speziell um den Umgang von Ärzten mit jenen Menschen, die sie als “Patienten” bezeichnen. Das Englische kennt dafür sogar einen eigenen Begriff, die “bedside manners” (wörtlich: das Benehmen am Bett) – aber das heißt nicht, dass Ärzte in den USA oder England ihren Kolleginnen und Kollegen in anderen Sprachräumen darin zwangsläufig überlegen sein müssen. Doch das soll sich ändern: Dank einer Spende von 42 Millionen Dollar wird nun an der University of Chicago ein eigenes Ausbildungszentrum für den Umgang mit Patienten eingerichtet – das Buckbaum Institute for Clinical Excellence.
Darüber, dass es immer Raum für Verbesserungen in den Beziehungen zwischen Arzt und Patienten gibt, müssen wir hier, so denke ich, nicht mehr streiten. Ob die von der Uniz zitierten Zahlen, dass sich jeder fünfte Patient in den USA Probleme hat, mit seinem Arzt zu kommunizieren und immerhin jeder zehnte Patient sich nicht respektiert fühlt, nun stimmen oder nicht, kann ich nicht überprüfen (ich habe mir zwar den als Beleg dafür genannten
des Commonwealth Fund durchgesehen, kann die Zahlen aber in dieser Form dort nicht finden). Aber auch ohne einen Stapel an Umfragedaten ist es plausibel, dass ein verbesserter Umgang von Ärzten mit Patienten der Gesundheit letzterer und der Effektivität ersterer nur zuträglich sein kann. So gesehen sind die 42 Millionen Dollar vielleicht gar nicht so schlecht angelegt …
Und um mich mit meiner einleitenden Knigge-Referenz ein wenig sattelfester zu fühlen, habe ich übrigens mal bei dem alten Freiherrn (der 1769 starb) reingeschaut. Interessant, wie viele seiner damaligen Beobachtungen auch heute noch – selbst im Web 2.0 – zutreffen:
Wir sehen die erfahrensten, geschicktesten Männer bei alltäglichen Vorfällen unzweckmäßige Mittel wählen, sehen, daß es ihnen mißlingt, auf andre zu wirken, daß sie, mit allem Übergewichte der Vernunft, dennoch oft von fremden Torheiten, Grillen und von dem Eigensinne der Schwächeren abhängen, daß sie von schiefen Köpfen, die nicht wert sind, ihre Schuhriemen aufzulösen, sich müssen regieren und mißhandeln lassen, daß hingegen Schwächlinge und Unmündige an Geist Dinge durchsetzen, die der Weise kaum zu wünschen wagen darf.
Wir sehen manchen Redlichen fast allgemein verkannt.
Wir sehen die witzigsten, hellsten Köpfe in Gesellschaften, wo aller Augen auf sie gerichtet waren und jedermann begierig auf jedes Wort lauerte, das aus ihrem Munde kommen würde, eine nicht vorteilhafte Rolle spielen, sehen, wie sie verstummen oder lauter gemeine Dinge sagen, indes ein andrer äußerst leerer Mensch seine dreiundzwanzig Begriffe, die er hie und da aufgeschnappt hat, so durcheinander zu werfen und aufzustutzen versteht, daß er Aufmerksamkeit erregt und selbst bei Männern von Kenntnissen für etwas gilt.
Aus der Einleitung von Über den Umgang mit Menschen
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