Das Gefühl der Peinlichkeit, das mich neulich in einer Runde akademischer Größen (darunter ein Nobelpreisträger und ein internationaler Bestsellerautor*) überfiel, als mir – mal wieder – ein unpassender und ans Taktlose grenzender Kalauer rausgerutscht war, wurde noch gesteigert durch die erstaunte Bemerkung eines Kollegen: “Das ist das erste Mal, dass ich sehe, wie Jürgen rot wird.” Unter meinen Stuhl hätt’ ich kriechen wollen … Das Empfinden von Peinlichkeit ist oft sein eigener Verstärker – nicht nur der Fauxpas ist uns peinlich, sondern auch, dass wir uns dessen so öffentlich schämen.

* Da dies eine private Runde war, deren Teilnehmer erwarten durften, dass diese auch privat bleibt, muss ich hier leider auf das
name-dropping verzichten.

Aber Peinliches muss, uns, wenn ich diese Mitteilung der University of California in Berkeley korrekt verstanden habe, gar nicht peinlich sein. Denn bei unseren Mitmenschen kommen die Signale der Verlegenheit und Betretenheit eher positiv an. Dies belegt ein

Paper

, das Anlass der Pressemitteilung war und das vorab in der Online-Version des Journal of Personality and Social Psychology erschienen ist.

Das Paper basiert auf insgesamt fünf verschiedenen Testreihen mit – ahnungslosen, versteht sich – Studentinnen und Studenten. In einem der Versuche, die dem Paper zu Grunde liegen, konnten die Probanden beispielsweise einen (ihnen nicht als solchen erkennbaren) “Komplizen” der Testleiter dabei beobachten, wie ihm das – perfekte – Ergebnis eines kniffeligen Tests übermittelt wurde. Für eine Gruppe spielte der Komplize dabei den beschämt Berührten, während er für die andere den Protzstolzen gab. Danach spielten die Probanden wiederum eine Reihe von Spielen, in denen getestet wurde, wie groß ihr Vertrauen in diesen Komplizen ist. Und konsistent war das Vertrauen größer in der Gruppe, die ihn als empfindsam und verlegen erlebt hatte.

Und dieses größere Vertrauen in die zur Peinlichkeit Fähigen scheint auch gerechtfertigt zu sein. Denn in anderen Tests wurde unter anderem erforscht, ob es eventuell einen Zusammenhang zwischen Generosität und der Fähigkeit zur Verlegenheit gibt: Erst wurden beispielsweise die Testpersonen nach peinlichen Erlebnissen befragt und ihre Reaktionen in eine Art “Verlegenheitsskala” umgesetzt; dann wurden mit ihnen so genannte Diktatorspiele gespielt, in denen sie beispielsweise frei darüber entscheiden konnten, wie sie zehn Tombola-Lose zwischen sich und ihren Komilitoninnen/Komilitonen aufteilen. Und hier zeigte sich, dass Personen, die stärker zur Verlegenheit neigen, auch bei der Vergabe der Lose großzügiger waren.

Und all die Jahre hatte ich gedacht, dass es darauf ankäme, “cool” zu wirken – sich nur keine Blöße zu geben. Dabei scheint es eher so zu sein, dass die Fähigkeit zur Verlegenheit dem soziales Ansehen eher förderlich ist. Wo, bitte, steht der nächste Fettnapf, in den ich reintreten kann?

flattr this!

Kommentare (15)

  1. #1 Geralt
    29. September 2011

    will den Kalauer wissen! ^^

  2. #2 Bullet
    29. September 2011

    jepp… me2

  3. #3 Barbara Vogl
    29. September 2011

    Hallo, ich wollte nur mal auf folgende Entdeckung hinweisen. Hier hat sich offenbar jemand bei ihnen bedient, ohne auf sie zu verweisen: https://www.alltagsforschung.de/voll-ins-fettnapfchen-warum-missgeschicke-sympathisch-machen/

    Ich finde der Text paraphrasiert sie einfach nur. Das im Text dann direkt auf die jeweilige Studie verlinkt wird, dient doch nur der Vertuschung. Er verlinkt ja auch noch so ziemlich an derselben Stelle des Textverlaufs auf denselben Wiki-Eintrag zum Diktatorspiel. Und dafür gibt es noch nicht einmal ein Rückverweis (via).

  4. #4 miesepeter3
    29. September 2011

    @Jürgen Schönstein

    Wir bewundern oder beneiden diese coolen Typen, aber mögen tun wir die, die ähnlich fehlerbehaftet sind, wie wir selbst.

  5. #5 BreitSide
    29. September 2011

    Wie ging der Kalauer?’!? Wissen will!!!

  6. #6 Jürgen Schönstein
    29. September 2011

    Nee, so dolle witzig war der Kalauer wirklich nicht, dass er Dauermietstatus in meinem Gedächtnis erlangt hätte, außerdem – wie typisch bei dieser Art Flachwitz – total kontext- und situationsbezogen. “You had to be there”, sagt man im Englischen, wenn man diese Art von “Humor” nicht genauer erklären kann. Ich erinnere nur, dass es irgendwie damit zu tun hatte, was Männer auf ihren Computerschirmen so anschauen und dass meine Bemerkung sich dabei auf die Schwierigkeiten der einhändigen Erledigung von Arbeit bezog …

    @Barbara Vogl
    Ich bin zwar auch generell misstrauisch, was den Ideenklau angeht, aber hier denke ich, dass es lediglich eine – natürlich nicht zufällige, da in beiden Fällen durch das gleiche Ausgangsmaterial stimulierte – Parallelität ist. Sooo originell ist die Fettnapf-Metapher bei Peinlichkeiten ja auch nicht, dass da niemand anderer drauf kommen könnte. Aber vielen Dank (und das meine ich aus tiefstem Herzen) dafür, dass Sie nicht umgekehrt mir vorgeworfen haben, ich hätte dort abgekupfert.

  7. #7 rolak
    30. September 2011

    Daß die Intensität (bzw gar überhaupt die Tatsache) eine Peinlichkeit von Betroffenem und dem Rest unterschiedlich wahrgenommen wird, konnte ich noch gestern abend¹ erleben, nachdem ich mal wieder, in diesem Fall zu einer der beiden ‘Schnellraterunden’ auf die Bühne gezerrt wurde (immer ich^^). Ein gräßlicher Aussetzer, war nicht in der Lage, schon die ersten eindeutigen Takte von ‘as time goes by’ Casablanca zuzuordnen… Mir wars peinlich, andere waren froh, daß nicht nur ihnen so etwas immer passiert.

    Das Erfolgsrezept für mich war das gefühlsmäßige Ausleben jeder noch so kleinen empfundenen Peinlichkeit (“gönn’ Dir jeden Tag eine P.”), vor Jahrzehnten als Vorschlag in einm Feten-Gespräch gehört. Das härtet ab 😉
    Trotzdem ärgert mich z.B. jeder einzelne (typischerweise 5 Sekunden nach dem Abschicken) entdeckte Tippfehler) in einem Kommentar.

    ¹ webcite wegen der Vergänglichkeit des Tagesprogramm-Eintrags auf der main-site

  8. #8 Sven Türpe
    30. September 2011

    Mal was anderes, findet Ihr Weinfeste auch so traurig?

  9. #9 Dr. Webbaer
    30. September 2011

    Dabei scheint es eher so zu sein, dass die Fähigkeit zur Verlegenheit dem soziales Ansehen eher förderlich ist.

    Das war fein beobachtet! – Allerdings ist auch zu beachten, dass der soziale Status bzw. zumindest die unterstellte Kompetenz hinreichend hoch ist, denn sonst kann jeder (auch gewollte) Klops der Letzte sein. – Wer an der Spitze des Ansehens steht, darf sowieso sagen, was er will; er gilt dann schlimmstensfalls als exaltiert.

    MFG
    Dr. Webbaer (der auch das geschickte “Meta-Name-Dropping” goutiert)

  10. #10 Thomas J
    30. September 2011

    @Dr. Webbaer

    sagen Sie mal… GLAUBEN (haha!) Sie wirklich, dass es hier irgendjemanden interessiert, ob sie das “Meta-Name-Dropping” goutieren?

    Wenn ja, wer?
    Wenn nein, wieso um Himmelswillen schreiben Sie’s denn?

  11. #11 Dr. Webbaer
    30. September 2011

    @Thomas J
    War halt Feedback, so wie ein “Gut gemacht!”, ist nicht unüblich in Feedbackeinheiten des Webs; sollte zudem ja auch ein wenig diskret angebracht werden. Gelang das etwa nicht? Seien Sie gnädig…

    Oder war’s jetzt gar ein Klops?

    BTW, das Für-Alle-Reden gilt, zumindest im Web, also außerhalb starrer sozialer Einheiten mit klarer Positionszuweisung, als Tabu oder als Klops.

    HTH
    Dr. Webbaer

  12. #12 Thomas J
    30. September 2011

    @Dr. Webbaer

    Der Unterschied zwischen “niemanden interessiert, was Sie goutieren” und “glauben Sie, irgendjemanden interessierts, was sie goutieren, wenn ja, wen?” darf schon als bekannt vorausgesetzt werden, gell? 1)

    1) auch wenn das in der Tat bei Ihnen keine Rolle spielt. i)
    i) ja, das war ein Klops

  13. #13 Dr. Webbaer
    30. September 2011

    @Thomas J
    Onkel Webbaer hat ja nicht behauptet, dass Sie für alle geredet haben, hat aber für den Fall, dass Sie oder andere das Vorhaben rein prophylaktisch eingeordnet.

    HTH
    Dr. Webbaer (der immer schon auf eine gewisse Präzision das Sprachliche betreffend geachtet hat, auch wegen Klops-Meidung bzw. wg. bewusster Klops-Setzung)

  14. #14 Stefan W.
    30. September 2011

    Solange Du uns von der dämlichen Vokabel des “Fremdschämens” verschonst verzeih ich Dir alles! 🙂

  15. #15 JK
    30. September 2011

    Es fragt sich natürlich, ob diese Forschungsergebnisse nicht nur ein Methodenartefakt sind, weil im studentischen Milieu derzeit solche Normen gelten. Aber gelten sie auch morgen noch, und rechnet man z.B. Politikern Verlegenheit auch positiv an? Student/innen sind halt billige Versuchspersonen, aber nicht sehr repräsentativ für die Allgemeinbevölkerung. Vielleicht würden sogar die untersuchten Student/innen selbst unter realistischen Alltagsbedingungen anders reagieren, also wenn man sie nicht “ahnungslos” in einer künstlichen Laborsituation beobachten würde. Dann müssten sich allerdings die Forscher schämen, peinlich peinlich.