Und da fange ich an zu fürchten, dass dies mehr ist als nur eine verschobene Metapher, sondern dass damit auch der Blick der Wissenschaft myopisch verschoben werden kann. Wenn wir nicht mehr messen, was real ist, sondern davon ausgehen, dass Realität das Resultat des Messens ist, dann haben wir eine Vorstellung von Realität entwickelt, die mit der “Realität”, die man umgangssprachlich auch als “Wirklichkeit” bezeichnet, nicht mehr zwingend deckungsgleich ist. Ist das eine realistische (sorry, diesem Wortspiel konnte ich nun doch nicht widerstehen) Gefahr? Ich weiß es nicht. Aber ich könnte ganz leicht eine Metapher des Messens kosntruieren, die diese Gefahr illustriert:
Wenn ich beispielsweise die Eigenschaften eines Autos messe, um mehr darüber zu erfahren, wie das Ding funktioniert, werde ich nicht darum herum kommen, es zu beschleunigen. Und bei dieser Beschleunigung und spontaner Abbremsung = Crashtest werde ich sogar eine ganze Menge nützlicher Erkenntnise über die Funktionsweise und den Aufbau eines Automobils gewinnen. Wenn ich nun aber vergesse, dass das Messen nur so lange sinnvoll ist, wie es die realen Gegebenheiten des Autos beschreiben kann, könnte ich nun auf die Idee kommen, es immer weiter zu beschleunigen und aufprallen zu lassen. Mal sehen, was da an Bestandteilen rauskommt. Nun, ohne dieses Bild überstrapazieren zu wollen, ist es doch leicht vorstellbar, dass bei immer extremeren Crashtests nur noch Splitter von Glas, Kunststoff, Metall und Lack übrig bleiben. Die kann ich nun nach ihrer Form, chemischen Zusammensetzung oder auch nach der Geschwindigkeit und Distanz, mit der sie beim Aufprall wegfliegen, ganz elaboriert analysieren – aber ob ich dabei noch mehr über die “Realität” des Autos erfahre, weiß ich gar nicht mehr. Weil ich längst nicht mehr das “reale Auto” (das ja nicht für solche Beschleunigungen und Crashes konzipiert war) teste …
Eine andere Metapher, die – vielleicht – den Blick mehr verstellt als in öffnet, ist der Big Bang. Der britische Astronom Fred Hoyle hatte ihn spöttisch geprägt, um seiner Steady-State-Theorie – die davon ausgeht, dass das Universum stets die gleiche Ausdehung hatte – mehr Nachdruck zu verleihen. Das Bild vom Urknall ist zwar extrem anschaulich, da es vor allem die beobachtbare Expansion des Universums gut illustriert. Aber kann es wirklich diesen großen Knall, diese große Explosion am Anfang der Realität gegeben haben? Nun, was immer es war – eine “Explosion”, im Sinn einer räumlich und zeitlich rapiden Ausdehnung von Materie, kann es doch streng genommen nicht gewesen sein, da dies sowohl die Anwesenheit von Raum und Zeit als auch von Materie voraussetzt. Doch die sind ja offenbar erst durch (= nach) dem Urknall, dem Big Bang, entstanden.
Womit ich, damit es keine Missverständnisse gibt, nicht etwa die Entstehung unseres heutigen Universums aus einer Singularität bezweifle, die vor einem Zeitraum begann, der sich nach unserem irdischen Zeitbegriff, in etwa 13,7 Milliarden Jahre umrechnen lässt. Im Gegenteil – kein anderes Modell erscheint mir plausibler. Ich frage mich nur (nicht ganz unbegründet, aber das ist eine andere Geschichte), wie viel zusätzliche Mühe es gekostet haben mag, um die verschleiernden Spritzer wieder wegzuwischen, die dieses Bild einer gewaltigen Urexplosion, die oft eher wie eine platzende Silvesterrakete illustriert wird, selbst im abstrakt denkendsten Wissenschaftlerhirn erzeugt wurden …
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