Wer ist eigentlich ein Terrorist? So intuitiv, wie uns die Antwort scheint, ist sie leider nicht (ich würde dies den “pornografischen” Definitionsansatz nennen, wie in “Ich erkenne Pornografie sofort, wenn ich sie sehe”). Seit gut einem Jahrzehnt beispielsweise ringen die Vereinten Nationen um eine Definition von Terrorismus; bisher ist die Unterzeichnung der Comprehensive Convention on International Terrorism daran gescheitert, dass sich die Mitgliedsstaaten nicht auf eine einheitliche Definition einigen können.
Bester Kandidat ist bisher die Formulierung des Artikels 2, Satz 1 im Anhang II des
*:
1. Any person commits an offence within the meaning of this Convention if that person, by any means, unlawfully and intentionally, causes:
(a) Death or serious bodily injury to any person; or
(b) Serious damage to public or private property, including a place of public use, a State or government facility, a public transportation system, an infrastructure facility or the environment; or
(c) Damage to property, places, facilities, or systems referred to in paragraph 1 (b) of this article, resulting or likely to result in major economic loss, when the purpose of the conduct, by its nature or context, is to intimidate a population, or to compel a Government or an international organization to do or abstain from doing any act.
*Dies ist in der Tat der volle Name des Komitees …
Das Problem wird schnell offenbar: Damit fällt jede Revolution, jeder Aufstand gegen ein etabliertes Regime, unter die Terror-Definition. Selbst ein Generalstreik könnte als “Beschädigung eines Systems” angesehen werden, da er definitiv zu “großen wirtschaftlichen Verlusten” führen muss. Was eine Seite für Terrorismus hält, ist für die andere der Kampf um die Freiheit …
Den konkreten Anlass, mich mit diesem Thema zu beschäftigen (und dabei explizit das Wort Dilemma in der Überschrift zu benutzen), hat mir allerdings die heutige New York Times geliefert: In ihrem Artikel Friends of U.S., Terrorists in Eyes of Law beschreibt die gleich eine ganze Reihe von Fällen, in denen Personen aufgrund ihres aktiven Widerstands gegen verhasste Regimes zwar politisches Asyl gewährt wurde – aber sie wegen exakt des gleichen Widerstands vom US-Gesetz als Terroristen eingestuft werden müssen und ihnen daher die Dauer-Aufenthaltsgenehmigung (“Green Card”) verweigert wird. Fälle wie der kubanische Flüchtling Francisco Saborit, der in Kuba wegen Sabotage einer Zuckerrohr-Erntemaschine aus Protest gegen das Castro-Regime im Gefängnis gesessen hatte und 2005 in die USA fliehen konnte; oder wie Nassir Al-Rifahe, der als Mitglied des Irakischen Nationalkongresses in seinem Kampf gegen das Saddam-Hussein-Regime sogar explizit von den USA unterstützt wurde – aber da der INC die Definition einer terroristischen Vereinigung laut Abschnitt 411 des PATRIOT Act** (der sich im Wesentlichen an den oben zitierten UN-Entwurfsrichtlinien orientiert) erfüllt, gilt Al-Rifahe automatisch als Mitglied oder Beihelfer einer terroristischen Vereinigung.
**Nur ganz nebenbei: PATRIOT ist ein Akronym, der volle Titel des Gesetzes lautet Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act (USA PATRIOT ACT) of 2001
Das Dilemma ist politisch lösbar (das US Department of Homeland Security kann Ausnahmegenehmigungen im Einzelfall erteilen), und bei insgesamt rund 4000 Fällen dieser Art (laut New York Times) ist auch genug Entscheidungsdruck gegeben. Das ändert aber nichts daran, dass die Definition des PATRIOT Act aus historischer Sicht recht pikant ist: Wenn man die oben genannten Kriterien anlegt, dann waren die amerikanischen Revolutionäre – die noch heute stolz “Gründerväter” (Founding Fathers) genannt und als moralische Vorbilder verehrt werden – nichts anderes als Terroristen (sie waren sogar, nach der eingeschränkten Definition des US-Einwanderungsgesetzes, ausländische, nämlich britische Terroristen, da es eine US-Staatsbürgerschaft per Definition noch nicht gegeben haben konnte); vom Kongress über die Armee bis hin zum Amt des Präsidenten selbst besteht eine uneingeschränkte Rechtsnachfolge, d.h. die Organisation von damals ist die Organisation von heute.
Aber auch wenn hartnäckige VT-ler das gewiss anders sehen wollen: Die USA sind keine terroristische Vereinigung. Einer Definition von Terrorismus bringt uns diese Erkenntnis aber trotzdem nicht näher. Irgendwelche Vorschläge?
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