Afrika hat zwei große Probleme: Eine dramatische Bevölkerunsgzunahme, kombiniert mit enormen Schwierigkeiten, schwangere Frauen adäquat medizinisch zu versorgen; und zweitens die geradezu rasante Ausbreitung von Aids. Gegen ersteres wird vor allem eine Hormoninjektion – quasi die Pille in der Spritze – gegeben, die im Subsahara-Afrika, laut diesem Artikel in der New York Times, von etwa 12 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter genommen wird – etwa sechs Prozent aller Frauen dieser Altersgruppe setzt auf diese Empfängnisverhütung, die typischer Weise drei Monate lang vorhält. Doch nun haben ForscherInnen der University of Washington in Seattle, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Südafrika, Uganda und Kenia in einer Langzeitstudie feststelen müssen, dass durch diese Verhütungsspritzen das Risiko einer HIV-Infektion sich praktisch verdoppelt.
Untersucht wurde dies durch die Beobachtung von insgesamt 3790 Paaren (die meisten davon übrigens verheiratet), bei denen jeweils ein Partner zu Beginn der Studie HIV-positiv war, der/die andere jedoch nicht. Die Resultate wurde unter dem Titel Use of hormonal contraceptives and risk of HIV-1 transmission: a prospective cohort study (gibt’s bei Registrierung kostenlos) in der britischen Fachzeitschrift The Lancet infectious diseases veröffentlicht.
Das Resultat an sich finde ich nicht schrecklich überraschend: Es wurden ja ausdrücklich nur Paare analysiert, die keine Kondome benutzen – und außer Kondomen oder dem Verzicht auf intimere körperliche Kontakte gibt es kaum etwas, womit sich eine HIV-Übertragung unter sexuell aktiven Paaren auf Dauer verhindern ließe. So gesehen gehören die Probandinnen und Probanden also sowieso schon in eine Höchstrisikogruppe: Sie haben mehr oder weniger regelmäßig ungeschützten sexuellen Verkehr (im Schnitt etwas seltener als einmal wöchentlich) mit einem HIV-infizierten Partner.
Das ist beinahe tragisch, denn diese Studie erreicht schnell, wie ich finde, die Grenzen dessen, was Forscher ethisch verantworten können: Ungeschützter Sex mit HIV-Positiven ist tödlich – davor nicht nachdrücklich zu warnen, sondern statt dessen zuzusehen, was passiert, ist schon beinahe fahrlässig. Zwar seien den Paaren “comprehensive HIV-1-prevention services, including individual and couples counselling, free condoms, and treatment of sexually transmitted infections” gegeben worden; aber wie intensiv diese Services waren, bleibt dann doch der Fantasie des Lesers überlassen – wer will sich schon gerne seine Studie kaputt machen, indem er/sie alle Probanden aktiv disqualifiziert?
Aber fast ebenso tragisch scheint mir, dass die Studie sich quasi vom Start weg darauf stützt, dass die hormonelle Verhütung ein agens in diesem Problem sein muss – also dass sie physiologisch ein erhöhtes Infektionsrisiko bewirkt, zum Beispiel durch Veränderung der Genitalschleimhäute. Der Haken ist nur: Dafür gibt es keine Indizien, und auch die Forscherinnen und Forscher haben keine Hypothese. Doch eine der – zumindest meiner Ansicht nach – plausibelsten Erklärungen, nämlich dass Verhütungsmittel auch das Sexualverhalten verändern, wird dabei nur en passant gestreift und ebenso schnell verworfen. Es habe “keinen signifikanten Einfluss”, oder so ähnlich.
Dass Paare, die nicht verhüten (egal womit) und keine – weiteren – Kinder mehr wollen, sicher tendenziell zurückhaltender beim Sex sind, oder genauer gesagt: wenn sie glauben, das Risiko gebannt zu haben, vermutlich miteinander “freizügiger” sein werden, ist sicher auch ohne große Studie plausibel. Fast jede/r Erwachsene war schon mal in der Situation, wo es heißen musste “Schatz, heute leider nicht”. Ebenso fehlt mir in den Daten ein Hinweis darauf, dass abgefragt wurde, ob der Partner/die Partnerin überhaupt von der Infektion des Partners/der Partnerin wusste. Denn eine der Bedingungen für die Studienteilnehmer war, dass sie (noch) symptomfrei sein mussten. Natürlich möchte man glauben, dass dies selbstverständlich sein müsste und letztlich auch das Studiendesign einen Hinweis gegeben hätte – aber gewährleistet ist dieser Informationsstand nicht. Aber das das Nicht-Wissen oder Wissen über die HIV-Infektion des Partners/der Partnerin Folgen für das Sexualverhalten in einer Partnerbeziehung haben muss, ist auch plausibel.
Grundsätzlich ist an den Daten vermutlich nichts auszusetzen, obwohl sie primär auf den Angaben der Testpersonen beruhen (also nicht unabhängig verifiziert wurden und daher auch einen kulturellen oder sozialen Bias, vor allem wenn’s um Sex geht, enthalten können). Und dass der Status quo – also das Verlassen auf hormonelle Verhütungsspritzen – mit einem dramatisch erhöhten HIV-Infektionsrisiko verbunden ist, bleibt auch unbestreitbar. Was mich aber stört – gewaltig stört – ist die beinahe monokausale Annahme, dass dies physiologisch durch diese injizierten Hormonpräparate bedingt sei. Und dass man die halt modifizieren müsste, dann werde man das Problem schon in den Griff kriegen. Sicher, in ihrem Fazit erwähnen die Autorinnen und Autoren auch den Gebrauch von Kondomen, aber eben nur beinahe beiläufig:
Women should be counselled about potentially increased risk of HIV-1 acquisition and transmission with hormonal contraception, especially injectable methods, and about the importance of dual protection with condoms to decrease HIV-1 risk. Non-hormonal or low-dose hormonal contraceptive methods should be considered for women with or at-risk for HIV-1.
Und damit auch klar wird, warum ich mich hier echauffiere: Es ist auch unseren Teenagern (sicher die am meisten gfährdete Gruppe) auch so schon oft nur schwer beizubringen, dass die Pille – wie jegliche hormonelle Vorbeugung – zwar vor ungewollter Schwangerschaft schützt, aber gegen Aids so hilfreich ist wie ein Fischnetz als Regenschirm. Dagegen helfen immer noch am besten Kondome. Und das kann man gar nicht oft genug sagen …
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