Nichts kann je aus dem Nichts entstehn durch göttliche Schöpfung.
Denn nur darum beherrschet die Furcht die Sterblichen alle,
Weil sie am Himmel und hier auf Erden gar vieles geschehen
Sehen, von dem sie den Grund durchaus nicht zu fassen vermögen.
Darum schreiben sie solches Geschehn wohl der göttlichen Macht zu.
Haben wir also gesehen, daß nichts aus dem Nichts wild geschaffen,
Dann wird richtiger auch die Folgerung draus sich ergeben,
Woraus füglich ein jegliches Ding zu entstehen im Stand ist
Und wie alles sich bildet auch ohne die Hilfe der Götter.

Diese Zeilen wurden von dem römischen Dichter und Philosophen Titus Lucretius Carus vor mehr als 2000 Jahren gedichtet (naja, der lateinische Originaltext – diese Übersetzung von Hermann Diels stammt aus dem Jahr 1924), und sie – sowie die restlichen ca. 7800 Zeilen seines Werkes de rerum natura (Über die Natur der Dinge) – sind inspiriert vom Werk eines noch älteren griechischen Philosophen, Epikouros oder, eingedeutscht, Epikur.

Wie das so ist mit den Klassikern: Man kennt ihre Namen, hat vielleicht auch mal (im Latein-, Ethik oder eventuell auch im Religionsunterricht) Auszüge aus ihren Werken gelesen. Und ab und zu, nicht zuletzt dank WikiQuote, kann man sogar mal einen Satz, ein Zitat, in die eigene Rede, das eigene Blog einfließen lassen und so Vertrautheit mit philosophischen Grundlagen der abendländischen Kultur vortäuschen. Aber wer hat schon die Zeit, durch 7800 Zeilen Hexameter zu stolpern, deren Wortfülle manchmal die dahinter stehenden Gedanken eher zu verbergen als zu enthüllen scheint? (Obiges Zitat ließe sich ja auch prägnanter in der Einsicht “man braucht keine Götter und keine Religion” zusammenfassen.)

Selbst die Lektüre des Artikels The Answer Man im US-Magazin New Yorker über Lukrez’ Gedicht und dessen unbestreitbaren Einfluss auf die Renaissance und die Entwicklung der Wissenschaften, hatte ich lange vor mir hergeschoben. Aber die Lektüre hat sich, wie ich finde, gelohnt: Zu wissen, dass ein geschärfter Verstand sich schon vor mehr als Zweitausend Jahren mit den Fragen befasst hat, die auch moderne Wissenschaften noch als aktuell erkennen (nach unserer heutigen Terminologie wären dies zum Beispiel die Teilchenphysik und die Mehrere-Welten-Interpretation) und dabei zum Schluss kam, dass zur Erklärung unserer Welt keine Götter nötig sind, finde ich schon erstaunlich. Nicht zuletzt, weil dies belegt, wozu der menschliche Geist, wenn er denn zum Denken benutzt wird, in der Lage sein kann.

Und darum werd’ ich mir den Lukrez jetzt doch einmal vornehmen – dank der eingangs zitierten und hier auch gut strukturiert aufgelegten Übersetzung von Diels ist das sogar leichter, als ich befürchtet hätte …

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Kommentare (38)

  1. #1 ali
    20. Oktober 2011

    Selbst die Lektüre des Artikels The Answer Man im US-Magazin New Yorker über Lukrez’ Gedicht und dessen unbestreitbaren Einfluss auf die Renaissance und die Entwicklung der Wissenschaften, hatte ich lange vor mir hergeschoben.

    Tatsächlich. Der war ja in der Ausgabe vom 8. August. Aber ein wirklich lesenswerter Artikel. Lukrez kam nachdem ich den New Yorker Artikel gelesen hatte gleich auf meine (überlange) Leseliste.

  2. #2 roel
    20. Oktober 2011

    Danke für den Link zur Übersetzung von Diels.

  3. #3 cydonia
    20. Oktober 2011

    …und wenn man dann bedenkt, dass Epikur immer noch zu den von Gläubigen meistgehassten Personen gehört, nur weil sie noch nie etwas von ihm(was zugegebenermaßen schwierig ist) oder über ihn gelesen haben, das über üble Nachrede hinausgeht(Ich erinnere mich da an ein Interview mit Norbert Blüm, in dem er auf Epikur eingedroschen hat, dass es eine Freude war), wäre es umso wichtiger, Lukrez noch mal genau zu lesen.
    Es hat mich als Jugendlicher schon sehr beeindruckt, dass man durch intensives und sauberes Nachdenken zu beeindruckenden Schlüssen kommen kann, bevor man die ersten naturwissenschaftlichen Instrumente überhaupt einsetzt. Seitdem haben mich Philosophie und Naturwissenschaften nicht mehr losgelassen, und seitdem versuche ich auch, die merkwürdigen Vorstellungen, die viele Menschen mit dem Wort “Philosophie” verbinden, durch die Konfrontation mit realer Philosophie zu korrigieren.
    Deswegen ganz besonderen Dank für diesen Blogpost!

  4. #4 Dr. Webbaer
    20. Oktober 2011

    Nicht unklug dieser Lukrez – vorsichtshalber sollte aber vielleicht noch angemerkt werden, dass er nicht die Existenz der Götter in Frage stellte, sondern nur deren Befähigung.

  5. #5 cydonia
    20. Oktober 2011

    Da wird sich Lukrez aber einen Ast freuen, dass ihm die webbÄrsche Arroganz eine gewisse Klugheit nicht abspricht…und nicht verstanden zu haben, dass er von den Göttern außer einer unbestimmten Vorstellung von ihnen nichts übrig lässt spricht nicht unbedingt für die Fähigkeiten des Wb, einen Text zu verstehen und zu interpretieren. Und Nein, ich wollte mit dem Wb nicht sprechen.

  6. #6 Dr. Webbaer
    20. Oktober 2011

    Es macht Lukrez doch nur sympathisch, wenn er Göttern, deren Existenz er anerkennt, die Macht abspricht [1] – sofern er nicht selbst gerade dabei war [1] eine Religion zu gründen natürlich nur.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] geht ein wenig Richtung “Ignostik”
    [2] sowas soll es auch schon gegeben haben, Lukrez starb recht früh

  7. #7 Dr. Webbaer
    20. Oktober 2011

    Die d-sprachige Wikipedia ergänzt hierzu, auch dem Kenntnisstand der “Webbaerschen Arroganz” entsprechend: “Lukrez kündigt hier eine lange Abhandlung (largus sermo) über das Wesen der Götter an, die aber nicht zur Ausführung gelangt. Entweder ist Lukrez nicht mehr dazu gekommen, diese Abhandlung zu verfassen, oder er hat diese Absicht fallen gelassen und ist verstorben, bevor er den Vers tilgen konnte (die Mehrheit der Forscher neigt der zweiten Möglichkeit zu).”

  8. #8 BreitSide
    20. Oktober 2011

    xxx – Bärendreck kann man ja filtern…

  9. #9 Jürgen Schönstein
    20. Oktober 2011

    @WB

    …nicht die Existenz der Götter in Frage stellte, sondern nur deren Befähigung …

    Und auf mehr kommt es, wie ich in einem Kommentar hier schon ausgeführt hatte, auch nicht an.

  10. #10 Nele
    21. Oktober 2011

    Ein schöner Hinweis, danke dafür!

    Überhaupt sollte man durchaus mal den einen oder anderen antiken oder späteren Autor zur Hand nehmen; jenseits der ausgetretenen Pfade schulischer Bildungsbürgerbildung kann man da nämlich wunderbar Spannendes, Interessantes oder Anregendes entdecken.

    Diese Leute waren nicht dümmer als wir, auch wenn sie weniger über Natur und Technik wussten.

  11. #11 Dr. Webbaer
    21. Oktober 2011

    @Nele
    IdT, seit wann (und wo) darf nach aktuellem Forschungsstand davon ausgegangen werden?

  12. #12 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    Man kann natürlich, wenn man einen kleinen Textabschnitt aus einem großen Zusammenhang reißt und ihn mal eben über einen zeitlichen Abgrund von 2.000 Jahren hinweghebt, fast jeden großen Denker der Antike in jeden beliebigen Dienst nehmen. Auf einer Wissenschafts-Blogplattform dürfte man jedoch erwarten, dass so ein Text vor seinem historischen Hintergrund betrachtet wird. Im vorliegenden Fall haben wir das gerade in Rückzugs-Gefechten befindliche Antike Bild von den vielen Göttern, die ständig ganz persönlich (und im Zwiespalt untereinander) in die Menschenwelt eingreifen und auf der anderen Seite das Erstarken der monotheistischen Religionen, in denen der eine jüdische Schöpfergott einer selbst-verantwortlichen Menschheit gegenübersteht, der er hin und wieder eine Strafe zukommen lässt. In diese Widersprüche muss Lukrez eingeordnet werden, ihn für eine neuzeitliche Wissenschaft in Anspruch nehmen zu wollen, ist unredlich.

  13. #13 cydonia
    21. Oktober 2011

    Dadurch, Herr Friedrich, dass Lukrez sich selbst in der Tradition Epikurs sieht, und er dessen Gedankengut aktiv und bewusst verbreiten half, dürfen wir ihm durchaus eine gewisse Nähe zur Denkwelt Epikurs unterstellen.
    Und es soll auch hier Kommentatoren geben, die ihren Lukrez kennen, und dennoch der Meinung sind, dass die von Herrn Schönstein anbgebotene Interpretation legitim, nachvollziehbar und vertretbar ist.

  14. #14 Dr. Webbaer
    21. Oktober 2011

    Lukrez selbst war vorchristlich, hatte aber anhaltende Wirkung, nicht schlecht wäre idT eine zeitgenössische Einordnung im Rahmen seiner De rerum natura gewesen.

    MFG
    Dr. Webbaer

  15. #15 rolak
    21. Oktober 2011

    Aber nicht doch, cydonia, JF hat selbstverständlich recht, weil er per definitionem immer recht hat; weil der j-monotheistische Gott wie jedermann weiß nie und nimmer in die Menschenwelt eingreift; weil der Polytheismus durch Lukrez’ Beweise einer sterblichen Seele gestützt wird; weil sich Polytheismus nach den damaligen Rückzugsgefechten schon lange aus der Welt verabschiedet hat; <you name it, we claim it>.

  16. #16 Dr. Webbaer
    21. Oktober 2011

    @rolak (slw. ugs. für ‘Rollkragenpullover’)
    Mal die Narrenkappe absetzen und außerpolemisch in die Sacharbeit zurückkehren: Die obigen Einwände haben ihre Berechtigung; Onkel W selbst wollte nicht derart hart vortragen. Die Instrumentalisierung alter Aussagen für die Jetzt-Zeit bleibt aber nicht unproblematisch: Lukrez war ja durch und durch theistisch. – Dennoch war dieser Blog-Beitrag sehr nett und hilfreich, zumindest für Onkel W.

    MFG
    Dr. Webbaer

  17. #17 Jürgen Schönstein
    21. Oktober 2011

    @Jörg Friedrich
    Sie sind der Philosoph hier. Aber sagen Sie mir: Ist es nicht durchaus üblich, diese Denker der Antike auf ein paar Kernaussagen festzunageln? Oder würden Sie in einer Diskussion darauf bestehen, dass der gesamte 7800-Zeilen-Text jeweils zu referenzieren ist? Wäre es Ihrer Ansicht nach falsch, wenn ich den Kern des Christentums aus dieser Passage aus dem Markus-Evangelium (12:28-31) herauslesen würde:

    Welches Gebot ist das erste von allen?
    29 Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr.
    30 Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.
    31 Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.

    Ist sogar kürzer als das obige Lukrez-Zitat. Also nochmal: Was ist falsch daran – so lange die Aussage an sich das reflektiert, was der Philosoph damit beabsichtigte?

  18. #18 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    Die Denkwelt von Lukrez ist der des Epikur sind sich sicherlich näher als der Denkwelt irgendeines heute lebenden Europäers. Wer Epikur als Vorläufer des neuzeitlichen atheistischen Wissenschaftsdenkens in Dienst nimmt macht natürlich den gleichen methodischen Fehler wie der, der das mit Lukrez macht. Das Christentum hatte mit Epikur nicht wegen seiner Neigung zu natürlichen Erklärungen ein Problem (das Gegenteil wäre der Fall, da das Christentum darauf basiert, das Wunder als Ausnahme und nicht als Alltäglichkeit anzusehen) sondern mit seiner Betonung des Lustprinzips, das dem Entsagungs-Gebot des Christentums widersprach.

  19. #19 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    Jürgen Schönstein (mein vorheriger Kommentar ist keine Antwort auf Ihre Frage, die haben sich überschnitten)
    ich bin nicht der Philosoph hier und schon gar nicht der Philosoph hier aber ich geben Ihnen gerne meine persönliche Antwort.

    Ja, es ist durchaus üblich, Denker der Antike auf ein paar Kernaussagen festzunageln. Trotzdem ist das falsch. Noch falscher ist, diese festgenagelten Kernaussagen aus ihrer Zeit zu reißen und als Beleg für irgendwas heutiges zu nehmen.

    An den Aussagen der antiken Denker kann man sich nur abarbeiten (ganz im Sinne des Whitehead-Diktums zu Platon). Dazu muss man nicht das Komplettwerk zitieren oder verstehen. Im Falle des Lukrez-Zitates wäre es m.E. notwendig, die Bedingungen, das Umfeld, den seinerzeitigen intellektuellen Diskurs, mit einzubeziehen.

    Eine “Aussage an sich” reflektiert nicht, was der Autor zu sagen beabsichtigte.

    P.S. es ist übrigens etwas völlig verschiedenes, ob man die Kerngedanken eines Denkers sucht oder die Kernaussagen einer Religion.

  20. #20 Dr. Webbaer
    21. Oktober 2011

    Zurückkommend auf den Artikel: Es geht hier nicht darum, wer oder was mit wem ein Problem hatte, sondern um eine Interpretation, die womöglich den Evolutionismus Lukrez als erkannt zu haben vorgetragen worden ist.

    Das “Festnageln” alter Kräfte auf Zitatmengen ist kaum möglich – und wenn, dann nur, wenn man sich in die seinerzeitigen Konzepte hineindenkt, was nur beschränkt möglich ist.

    Was denkt denn der werte Herr Friedrich wie sich Lukrez genau aufgestellt hat?

    MFG
    Dr. Webbare

  21. #21 rolak
    21. Oktober 2011

    Wer Epikur als Vorläufer des neuzeitlichen atheistischen Wissenschaftsdenkens in Dienst nimmt macht natürlich den gleichen methodischen Fehler wie der, der das mit Lukrez macht.

    Noch falscher ist, diese festgenagelten Kernaussagen aus ihrer Zeit zu reißen und als Beleg für irgendwas heutiges zu nehmen.

    Noch mehr Bedarf?

    Nichts davon wird im post unternommen.

  22. #22 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    Dr. Webbär, was den Lukrez, den Epikur und den Demokrit so ganz entscheidend und abgrundtief von der neuzeitlichen Wissenschaft trennt ist, dass ihre Gedankengebäude frei schwebende Spekulation sind. Heute hat das Wort Spekulation ja einen oder sogar mehrere negative Beiklänge und gerade dieser Umstand zeigt, wie unendlich weit die Denkwelt der Alten von unserer entfernt ist. Eigentlich ist es ja bewundernswert, auf welche Ideen die freie Phantasie diese Denker gebracht hat – ohne jede Empirie, ohne jedes Experiment, durch pure Kraft des kreativen Spekulierens. Aber man stelle sich vor, Lukrez hätte seine, Spekulationen, z.B. über die Entstehung der Wolken, über die Entwicklung der Arten, usw usf in einem modernen wissenschaftlichen Umfeld geäußert: keine einzige Messreihe, kein empirischer Beleg, keine Studie, kein Experiment – alles reiner freier Gedankenflug – dann sieht man doch, dass er natürlich nicht als Vorfahr neuzeitlichen wissenschaftlichen Denkens gelten kann.

    Was die Götter betrifft, so muss man eben sehen, dass er sich gegen die Vorstellung wendet, die Götter würden irgendwie in der gleichen Welt leben und die unerklärten Naturerscheinungen seien unmittelbare Effekte göttlicher Handlungen. Das Gewitter als göttlicher Wutausbruch – das war die Vorstellung gegen die sich Lukrez wandte. Die Götter sind bei Lukrez in einer anderen Welt zu Hause, man kann ihnen oder den Spuren ihrer Taten nicht mal eben im Alltag begegnen. Genau so ein Bild brauchen die Monotheistischen Religionen, bei denen Gott viel weiter entfernt ist als die griechischen und römischen Götter, und der göttliche Eingriff eben eine Ausnahme, ein Wunder ist, die Sintflut und nicht das tägliche Gewitter.

  23. #23 cydonia
    21. Oktober 2011

    @Jörgt Friedrich
    “……….mit seiner Betonung des Lustprinzips…” Mhhm….Soso….
    Ich meine, ich hatte nicht umsonst gleich zu Anfang nochmal darauf hingewiesen, dass es in christlichen Kreisen immer noch üblich ist, Epikur u.A. dies zu unterstellen, offensichtlich ohne ihn gelesen zu haben.
    Wenn Sie, Herr Friedrich, schon Probleme damit haben, wenn hier eine Interpretation von Lukrez nicht auch noch in den historischen Kontext eingebettet wird, dann können Sie sich vielleicht vorstellen, wie ich reagiere, wenn mal eben das Wort “Lustprinzip” in den Raum geworfen wird, ohne dass präzisiert wird, was Epikur genau damit meinte, und ich annehmen muss, dass die christliche Propaganda wohl auch bei Ihnen ganze Arbeit geleistet hat….oder aber, dass Sie ganz bewusst die “billiger Hedonismus”-Karte ausspielen, um Epikur mal wieder im christlichen Sinne zurechtzustutzen.
    Wie ich schon sagte: Es soll hier noch andere studierte Philosophen geben, die zudem der christlichen Sichtweise auf Epikur recht kritisch gegenüberstehen. “Lustprinzip”…ich glaubs einfach nicht….wieso wird das immer noch wie ein Mantra wiederholt? Ist es denn so anstrengend, sich mit den Texten von und über Epikur zu beschäftigen?

  24. #24 cydonia
    21. Oktober 2011

    Und Lukrez mal eben in den monotheistischen Religionen aufgehen zu lassen, mag zwar als Kunstgriff recht elegant erscheinen, ist aber dennoch nicht überzeugend.
    Und Sie scheinen die mit diesem Post verbundene Idee auch nicht verstanden zu haben.
    Recht lange her, dass ich mit einem Kollegen zu tun hatte, der den monotheistischen Religionen so gewogen war…..

  25. #25 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    cydonia, mir ging es mit meinem Hinweis einzig darum anzuzeigen, an welcher Stelle das Christentum mit Epikur das größte Problem hat. Und das ist seine Lehre, dass Lust zu suchen und den Schmerz zu meiden sei. Falls Sie das Bedürfnis haben, diese Lehre genauer zu erläutern, nur zu. Diese Erläuterung wird vermutlich genau das zeigen, was ich andeuten wollte: dass eine Religion, die Leidens-Bereitschaft verlangt, mit der Epikurs Lehre vom guten Leben kaum vereinbar ist. Sie sollten, wenn Sie so große Probleme mit meiner kleinen Andeutung haben, Ihre Zeit vielleicht besser dafür Nutzen, Ihr Wissen über Epikur zu teilen als Propaganda-Vorwürfe in den Raum zu stellen.

  26. #26 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    cydonia, ich bin nicht Ihr Kollege, ich lasse Lukrez nicht in monotheistischen Religionen aufgehen und ich bin diesen nicht gewogen. Lesen Sie, wenn Sie wollen, meine Kommentare, nehmen Sie diese als das was sie sind: schriftliche kurze Äußerungen, aber verschwenden Sie Ihre Kraft nicht in Vermutungen über den Autor.

  27. #27 cydonia
    21. Oktober 2011

    @Jörg Friedrich
    Da gebe ich Ihnen teilweise Recht: Dennoch können Sie vielleicht verstehen, wieso ich unter die Decke gehe, wenn ich wieder etwas vom “Lustprinzip” bei Epikur hören muss.
    Andererseits ist das hier kein Vorlesungsraum…..Und eine Frage habe ich mir schon öfters gestellt: Sind nicht vielleicht irgendwelche Bestrebungen vorhanden, hier mal wieder einen guten philosophischen Blog zu ermöglichen? (@Jürgen Schönstein)
    Die Scilogs leisten sich einen…hm…recht tendenziösen Religionsblog. Vielleicht würde es den Scienceblogs gut zu Gesicht stehen, sich einen qualitativ hochwertigen und allgemeinverständlichen Philosophieblog zu leisten.
    Zu Epikur: Würde es den Christen wirklich um die Schmerzvermeidungsgeschichte gehen, dann frage ich mich, wieso ich dies aus christlichem Munde noch nie gehört habe, sondern immer nur “Lust” höre, wobei bekannt ist, dass Epikur unter Lust z.B. verstand ein gutes Stück Käse mit etwas Brot zu verzehren….von fleischlicher Lust, die indirekt immer wieder unterstellt wird, ist bei Epikur nicht die Rede(im Gegenteil, gerade das Überwinden von Begierden ist für ihn ein zentraler Punkt), und wenn davon die Rede wäre würde ich ihn auch nicht in Bausch und Bogen verdammt sehen wollen.

  28. #28 cydonia
    21. Oktober 2011

    Nachtrag: ehe jetzt Einwände kommen: natürlich behandelt er das Thema Sexualität, nur hält er die Befriedigung dieser Begierden nicht unbedingt für notwendig…aber das Netz bietet einige gute Zusammenfassungen, und wer sich über Wiki und die Links informiert, weiß schon wesentlich mehr als all die christlichen Epikurverächter zusammen.

  29. #29 perk
    21. Oktober 2011

    Im vorliegenden Fall haben wir das gerade in Rückzugs-Gefechten befindliche Antike Bild von den vielen Göttern, die ständig ganz persönlich (und im Zwiespalt untereinander) in die Menschenwelt eingreifen und auf der anderen Seite das Erstarken der monotheistischen Religionen, in denen der eine jüdische Schöpfergott einer selbst-verantwortlichen Menschheit gegenübersteht, der er hin und wieder eine Strafe zukommen lässt.

    um 55-50 vuz war das judentum/christentum/islam (sie sagen ja nicht welche der 3 abrahamitischen religionen sie meinen) im römischen reich am erstarken? wo haben sie diese seeeeehr gewagte these denn her?

    die juden in rom vor 50 vuz waren ne eingeschworene gemeinde, mit eigener sprache und eigenen bräuchen.. und meist kein bisschen mit den restlichen römern gleichberechtigt, wie kommen sie darauf, dass lukrez in irgend einer form ein erstarken eines monotheistischen glaubens(der damals von den römern eher als rückständige religion angesehen wurde) bemerkt haben sollte und darauf reagiert?
    `
    ich würde grob schätzen, dass ca 150-200 jahre zwischen dem, was sie meinen und dem, was lukrez schrieb, lagen.. in einer reihenfolge, die es unmöglich macht, dass lukrez der reagierende war

  30. #30 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    Eine Ideologie, die den leidenden Schmerzensmann zur Ikone erhebt, kann Epikur nur verdammen – und kann dies gleichzeitig nicht direkt tun, da Epikurs Lehre der Mehrzahl der Christen durchaus plausibel sein dürfte. Da ist die beste Methode, ihn aus anderen Gründen zu dämonisieren. Wenn man sagen würde: “Der böse Epikur lehrt, dass man Schmerz vermeiden und Lust (Freude, angenehme Erlebnisse, Genuss) suchen soll, um ein gutes Leben zu führen” dann wäre doch jedem armen Gläubigen sofort klar, dass er dem Epikur viel näher ist als dem großen idealen Vorbild Jesus.

  31. #31 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    perk, um die Zeitenwende herum verloren die Viel-Götter-Religionen einfach ihre Attraktivität und Plausibilität, auch in Griechenland und Rom, dafür haben natürlich schon die alten griechischen Denker eine Menge Vorarbeit geleistet, und am Ende stand dann die rasante Ausbreitung des Christentums. In diesen Prozess reiht sich auch Lukrez ein, der sich ja zwar dediziert gegen die alte Götter-Vorstellung wandte aber dem noch nichts Neues dediziert entgegensetzte. Er hat den Göttern erst mal einen Platz außerhalb unserer Welt zugewiesen. Das war ja auch im jüdischen Glauben ein längerer Prozess, an dessen Ende erst der Satz steht “Mein Reich ist nicht von dieser Welt.”

  32. #32 cydonia
    21. Oktober 2011

    Einverstanden, und das ist auch sicher der Grund, warum man ihn verunglimpft: Seine Ansichten sind für die meisten äußerst attraktiv, und, im Gegensatz zu den christlichen Prinzipien, nachvollziehbar.
    Bliebe noch Lukrez: ich halte den Vergleich seines Standpunkts mit den Monotheismen nicht für gerechtfertigt: Er reagiert auf den griechischen Götterhimmel, genau wie Epikur…und er erklärt das Ganze für irrelevant. Er entfernt die Götter aus der Denkwelt, was ein großer Fortschritt ist, den die Christen dann wieder rückgängig machen. Und zwar gründlich.
    Mit dem Ignorieren von Gottesvorstellungen als Prinzip kann man besser denken und nähert sich mit großen Schritten einem wissenschaftsbasierten Weltbild. Ich denke, dass man den Schluss ziehen kann, wenn man “De rerum natura” gelesen hat.

  33. #33 cydonia
    21. Oktober 2011

    P.S.: Das “Einverstanden” bezog sich auf den Post von 18:44. Mit der Feststellung, dass Lukrez dem alten Götterbild nichts Neues entgegensetzte, bin ich nicht einverstanden. Ich teile die Interpretation, dass es der Anfang eines freien Denkens war, das dem wissenschaftlichen Denken den Weg schon früh hätte ebnen können, wenn die Monotheisten nicht so effektiv dazwischengefunkt hätten.

  34. #34 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    Ich erinnere mich, dass Lukrez seinen Gesprächspartner, zu dem er in “de rerum natura” immer spricht, bezüglich seiner eigenen Vorstellungen von den Göttern immer auf später vertröstet, dieses Versprechen aber nicht einlöst. Das meinte ich damit, dass er dem Glauben an die Götter, die mit dem Menschen die gleiche Welt teilen, nichts Neues entgegensetzt. Er erklärt es als unplausibel, dass die Götter mit den Menschen die gleiche Welt bewohnen und vermutet die Götter in einer anderen Welt. Dass es gar keine Götter gibt, sagt er nicht, allerdings sagt er auch nicht, welche Rolle diese Götter denn spielen. Das kann man unterschiedlich deuten, z.B. dass er den Menschen die völlige Abwesenheit von Göttern nicht zumuten wollte. Meine Vermutung ist eine andere (aber die kann ich nicht belegen): Einerseits konnte Lukrez sich selbst auch nicht ganz von den Göttern lösen, er wollte sie nicht ganz verlieren, nur ihren direkten täglichen Einfluss auf das Geschick der Menschen bestreiten.Andererseits ließen ja die Lukrez’schen Spekulationen viele Fragen offen, gerade in der Kosmologie und der Naturgeschichte, da er ja nirgends sagen konnte, was die Entwicklung der Welt eigentlich bewirkt – und für diesen letzten Beweger hatte er sozusagen die fernen Götter immer noch “in der Hinterhand”

    Übrigens, wenn man die Genesis mal ganz unvoreingenommen liest und dabei den 7-tage-Plot nicht wörtlich nimmt, ähnelt sie der Lukrez’schen Kosmologie und Natur-Kultur-Geschichte ganz erstaunlich. Ist natürlich auch nicht wirklich überraschend.

  35. #35 Jörg Friedrich
    21. Oktober 2011

    Übrigens, cydonia, wenn Sie ein gutes philosophisches Blog suchen, dann empfehle ich bei den SciLogs Die Natur der Naturwissenschaft und die Menschen-Bilder. Das ist doch quasi gleich nebenan.

  36. #36 Jürgen Schönstein
    21. Oktober 2011

    @Jörg Friedrich

    was den Lukrez, den Epikur und den Demokrit so ganz entscheidend und abgrundtief von der neuzeitlichen Wissenschaft trennt ist, dass ihre Gedankengebäude frei schwebende Spekulation sind.

    Aber was sie mit der neuzeitlichen Wissenschaft verbindet ist die Einsicht, dass die Welt aus sich heraus erklärbar sein muss, und nicht aus dem Willen und Walten eines oder mehrerer Götter. Und das geht aus dem, was Lukrez schreibt (und ja, mehr als die eine Passage braucht’s nicht als Beleg – ist ein alter Debattenstörtrick, den fehlenden Zusammenhang zu reklamieren, auch wenn die Aussage in sich schlüssig ist) klar genug hervor. Etwas anderes als diese Einsicht schreibe ich Lukrez hier gar nicht zu – mehr brauchte es aber auch nicht.

  37. #37 Dr. Webbaer
    21. Oktober 2011

    Lukrez sagt aber auch “Aus Nichts wird nichts”, und da er die Götter nur ein anderes Aufgabengebiet zuweist, sie, wie Hr. Friedrich schreibt, in der Hinterhand hält, ist das mit der Erklärbarkeit der Physik ‘aus sich heraus’ so eine Sache.

  38. #38 Silke
    21. Oktober 2011

    Auf “Tradition” beruft man sich vor allem aus Faulheit. Deshalb wundert es nicht, dass wissenschaftliches Arbeitens weniger gern als Tradition gesehen und geschätzt wird.