Klingt überraschend, vor allem vor dem Hintergrund dessen, was Florian Freistetter hier festgestellt hat: Wissenschaft und Religion vertragen sich einfach nicht. Aber falls ein Gericht nicht einem Konsortium unter der Führung der Vatikanischen Bank erlaubt, das – so weit ich es verstehe – renommierte biomedizinische San-Raffaele-Forschungsinstitut in Mailand zu übernehmen, werden dort die Lichter ausgehen. Das Institut, das eines der führenden Genforschungsinstitute der Welt ist – schreibt nature in einem entsprechenden Artikel – ist durch Misswirtschaft mit rund eineinhalb Milliarden Euro verschuldet; eine Ermittlung wegen Korruption ist im Gange, Fördergelder wurden gestrichen und die Lieferanten haben den Nachschub von Materialien eingestellt.
Die einzige Hoffnung ist ausgrechnet das Istituto per le Opere di Religione, besser bekannt als die Vatikanbank. Das Geldinstitut des Heiligen Stuhls will, gemeinsam mit dem Investor Vittorio Malacalza 500 Millionen Euro an Schulden übernehmen sowie weitere 250 Millionen Dollar in das San-Raffaele-Institut investieren.
Was allein schon deswegen pikant ist, weil das Institut, trotz seines “heiligen” Namens und der Tatsache, dass es von dem katholischen Priester Luigi Maria Verzé und von dessen Stiftung noch heute geleitet wird, des öfteren beim Vatikan angeeckt war. Nature erwähnt dabei vor allem die Haltung Verzés hinsichtlich der Sterbehilfe (die er nicht als Sünde ansieht). Andererseits haben die Investoren dem Gericht – und dem Institut – offenbar zugesichert, dass die Forschung, vor allem an Gentherapien, ungehindert weiterlaufen würde. Mal sehen, wie sich Religion und Wissenschaft hier vertragen werden …
An dieser Stelle wäre es nun unehrlich, wenn ich nicht meine eigene Position zur Frage der Verträglichkeit von Religion und Wissenschaft klarstellen würde:
Ich sehe eigentlich keinen zwingenden Grund, warum ein Wissenschaftler nicht religiös sein könnte. Historisch gab es diesen Gegensatz lange nicht – Newton war Theologe, wenn auch ein etwas exzentrischer; Kopernikus war ein Domherr; Galilei verkehrte freundschaftlich mit Geistlichen, darunter Kardinäle und selbst Papst Urban VIII. Und ob ein Arzt morgens betet oder nicht, dürfte auf seine medizinischen Fähigkeiten keine Auswirkungen haben (man bedenke, wie viele Krankenhäuser alleine schon von Kirchen oder anderen religiösen Einrichtungen getragen werden.) In welcher Form müsste beispielsweise ein Materialwissenschaftler durch seinen Glauben anders Wissenschaft betreiben als ein Atheist? Die Astronomie, die an der Vatikansternwarte betrieben wird, ist grundsätzlich (so wie ich es diesem
entnehmen kann) nicht anders als jede andere Astronomie. Selbst ein Biologe könnte sinnvoll und erfolgreich in der Evolution forschen, wenn er diese als den “Plan” seines Gottes begreift. Chemiker, Kernphysiker, Mathematiker – ich sehe nirgendwo einen Grund, warum der Glaube an einen Gott oder mehrere Götter einen Widerspruch zu den Kernaussagen der jeweiligen Wissenschaften zwingend macht. Wie gesagt, nicht mal Evolutionsbiologen müssen sich in religiöse Zweifel stürzen, denn Evolution erklärt ausdrücklich “nur” die Entstehung der Arten – die Entstehung des Lebens ist eine andere Frage. Ganz generell könnte sich ein Wissenschaftler, getreu der Einsicht (in Anlehnung an Voltaire), dass wir vermutlich Gott nach unserem Vorbild geschaffen haben, sich einen Gott vorstellen, der ein Wissenschaftler ist (mit diesem Gedanken habe ich hier mal ein bisschen gespielt) – und damit jeden Konflikt mit der Wissenschaft für sich ausschließen.
Womit ich nicht die Religion generell rechtfertigen will; doch ich sehe ihre größten nachteiligen Effekte gerade nicht in der Wissenschaft – das katholische Verbot von Kondomen ist ja nicht mit wissenschaftlichen Argumenten begründet, sondern mit moralischen. Es ist der ethische, der gesellschaftliche Anspruch, den Religion auf ihre “Nähe zu Gott” begründet, der sie problematisch macht. Und es ist der Missbrauch der Religion durch Fundamentalisten, die aus der religiösen Basisliteratur Rechte und Vorschriften zum Schaden anderer ableiten, der diese Religionen zum sozialen Toxin macht. Aber dieser Fundamentalismus wird nicht dadurch harmloser, dass er sich auf säkulare Texte – zum Beispiel die US-Verfassung – stützt, wie die mehrheitliche Besetzung des US Supreme Court derzeit ganz anschaulich belegt.
Aber in einem bin ich mir uneingeschränkt sicher: dass ein klarer Geist keine Religion braucht, um die Welt zu begreifen. Dies wurde – wenn ich mal einen Querverweis auf einen anderen Eintrag in meinem Blog machen darf – schon vor mehr als 2000 Jahren eindeutig bewiesen.
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