Tja, und da hatte ich immer geglaubt, “Vorbeugeuntersuchung” wäre bildlich gemeint, doch seit ein paar Tagen weiß ich es besser (alle Männer über 50 werden diese Bemerkung vermutlich auch ohne Hilfestellung kapieren – alle anderen LeserInnen bitte ich um ein bisschen Geduld mit der Erklärung). Dass diese sehr persönliche Erfahrung ausgerechnet in die Zeit fällt, in der das bisher auf breiter Ebene in den USA praktizierte PSA-Screening (na, dämmert’s jetzt schon?) ob seiner Unzuverlässigkeit nicht mehr generell empfohlen wird und auch der Sinn der Mammografie als Vorsorgeuntersuchung gegen Brustkrebs angezweifelt wird, ergänzt sich zudem mit der Frage zur Präventivmedizin, die unser neuer ScienceBlogger-Kollege Joseph Kuhn in seinem ersten Beitrag aufgegriffen hat. Also: Sind Vorsorgeuntersuchungen – zumindest gegen Brust- und Prostatakrebs – überhaupt sinnvoll und vertretbar?
Wenn man die nackten Zahlen – im Prinzip hat sich an der Datenlage seit meinen älteren Beitrag über das Vorsorge-Dilemma und die zu gründliche Krebsvorsorge nicht viel geändert – zur Grundlage nimmt, dann kommt man vermutlich erst mal zur Antwort: Eher nicht. Von den 230.000 Frauen, die pro Jahr in den USA Mammografien machen lassen, haben – diese Zahlen zitiere ich aus einem aktuellen Artikel in der heutigen New York Times – bestenfalls 4000 bis 18.000 einen nachweislichen gesundheitlichen Nutzen. Zwar würden, so die NYT weiter, durch die Mammografie jährlich 138.000 Frauen in den USA mit Brustkrebs diagnostiziert – aber bei der überwiegenden Mehrzahl resultiere die Früherkennung in keiner Veränderung ihrer Prognose. Bei Männern – siehe Grafik (ebenfalls aus der New York Times) – wird auch alles Andere als eine erhöhte Überlebenschance durch Früherkennung festgestellt. In den Worten von Dr. Gilbert Welch, Co-Autor eines entsprechenden Papers über Brustkrebs-Screening, das gerade in den Archives of Internal Medicine veröffentlicht wurde:
“The presumption often is that anyone who has had cancer detected has survived because of the test, but that’s not true. In fact, and I hate to have to say this, in screen-detected breast and prostate cancer, survivors are more likely to have been overdiagnosed than actually helped by the test.”
Ich bin mir sicher, dass die Mediziner und Gesundheitsexperten, die solche Betrachtungen anstellen, sich der Tragweite dieser Aussagen bewusst sind und meinen laien-Rat bestimmt nicht brauchen. Aber ein paar Gedanken schießen mir dabei trotzdem durch den Kopf. Und die haben vor allem damit zu tun, dass hier der Heilungserfolg allein durch die Überlebensrate gemessen wird. Doch Überleben ist nicht nicht das einzige Ziel, das die Medizin vor Augen haben sollte. Ist es wirklich das gleiche, ob eine Patientin dank einer frühzeitigen Erkennung eines Tumors mit einer minimal invasiven Lumpektomie behandelt werden kann, die allenfalls eine gut zu versteckende Narbe hinterlässt – oder ob später, wenn der Tumor so groß wurde, dass er auch ohne Mammografie, sondern allein schon durch normales Betasten entdeckbar wurde, eine Brustamputation nötig wird? Ich denke, für viele Frauen wäre es schon, bei ansonsten gleichen Operationsresultaten, ein enormer Unterschied, ob die Narbe zwei oder 20 Zentimeter lang ist … Analog dazu ist es einem Mann sicher nicht egal, ob er mit einer externen Strahlenbehandlung davonkommt, oder ob ihm die Prostata oprativ entfernt wird, was fast immer mit einer dauerhaften erektilen Dysfunktion verbunden ist. Oder sollte bei diesen Krebsarten die generelle Regel außer Kraft sein, dass Weniger immer die bessere Alternative ist?
Wie gesagt, nicht jeder will um jeden Preis überleben. Auch ein Komapatient ist noch ein Lebender – aber wer sagt uns, dass er/sie dieses Schicksal dem Tod vorziehen würden? Ich schmeiße diesen Gedanken nur noch einmal in die Runde, da es mir wichtig ist zu illustrieren, wie unvollständig Betrachtungen sein müssen, die sich allein auf die Frage “Tod oder Leben” reduzieren.
Aber es gibt noch eine andere Überlegung, hier speziell bei der Brustkrebsdiagnose, die mich stutzen und aufhorchen ließ: nämlich die, dass eine pauschale Prognose für Brustkrens sowieso nicht den Realitäten gerecht wird. Die New York Times – vermutlich unter Berufung auf einschlägige Experten – spricht von vier Kategorien: Die erste seien langsam wachsende Karzinome, die auch ohne die “Sehschärfe” der Mammografie entdeckt und rechtzeitig behandelt werden können, ohne das Leben der Patientin zu riskieren. Die zweite Kategorie beschreibt das genaue Gegenteil: Aggressive Karzinome, die einem Todesurteil für die Patientin gleichkommen – egal, wie früh sie entdeckt werden. Als Drittes gebe es jene “harmlosen” kleinen Krebsgeschwüre, die sich nie zu einem gefährlichen Karzinom entwickeln würden. All diesen Patientinnen werde durch Mammografie nicht geholfen, da sie auf dern Ausgang und die Prognose der Behandlung nicht wirklich einen Einfluss nehme. Lediglich die vierte Kategorie – die mit einer Chance von 1 zu 1000 bei einer zehnjährigen Untersuchungsdauer auftrete – zeige einen echten Nutzen für diese Frühdiagnose: Maligne Tumore, die bei rechtzeitiger Erkennung vollständig entfernt werden können.
Und das macht mich schon etwas stutzig: Heißt das, dass bei der Masse der Brustkrebsfälle bereits von Anfang an feststeht, wie die Krankheit verlaufen wird? Besser gefragt: Weiß man von vorneherein, um welche Krebsform es sich handelt? Und wenn ja, warum werden dann Frauen trotz aussichtsloser Prognose verstümmelt, mit Chemikalien bis zum Lebensunwillen vollgepumpt und mit falschen Versprechungen bei der Stange gehalten? Wie bitte, das sei zu provokativ gefragt, schließlich könne selbst der beste Arzt nicht vorhersagen, wie die Überlebenschancen einer Patientin auf Jahre hinweg aussehen? Eben! Genau darauf will ich hinaus: All diese Betrachtungen über die Effizienz von Vorsorgeuntersuchungen sind kategorisch ex post – aber die Entscheidung, eine solche machen zu lassen, sind immer ex ante. Wenn man immer schon vorher wüsste, was man hinterher weiß, wäre vieles im Leben einfacher. Und man könnte sich nicht nur Kranken-, sondern auch alle anderen Versicherungen sparen, auf Eheverträge verzichten – und sich vielleicht gleich sterilisieren lassen, weil man weiß, dass einem die pubertierende Brut später sowieso nur das Leben vermiesen wird.
Nochmal: Ich bemängele an dieser Kritik der Frühdiagnostik vor allem, dass sie ihre Bewertung allein von der Frage des Überlebens abhängig macht, aber die Lebensqualität dabei weitestgehend außer acht lässt. Doch da hat jede Patientin, jeder Patient eigene Grenzwerte. Können Tests mit hoher Irrtumsrate, wie etwa das PSA-Screening und die Mammografie, zu unnötigen Nachfolgeuntersuchungen und schmerzhaften Biopsien führen? Ja, auch das weiß ich jetzt aus eigener Erfahrung (so, jetzt dürfte es ziemlich klar sein, womit ich meine vorletzte Woche verbracht habe). Aber schlimmer – und blutiger – als eine Zahnreinigung und Kariesbehandlung fand ich das auch nicht. Und ein negativer Befund – Danke der Nachfrage! – macht dies in der Rückschau sogar noch erträglicher.
Grafik: New York Times
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