Vor mehr als 40 Jahren hatte der amerikanische Psychologe Stanley Milgram das Konzept entwickelt, dass jeder Mensch mit jedem anderen Menschen auf der Welt über maximal sechs Zwischenstufen verknüpft sei. Wobei mit “Zwischenstufen” so was wie “A kennt B, B kennt C” gemeint ist – B wäre dann die 1. Zwischenstufe für A und C. Im Diagramm sieht das etwa so aus:

i-db5dfb93c1ec77b3202c9335a4559a78-500px-Six_degrees_of_separation.svg.png

Grafik: Daniel, via Wikimedia Commons


Dass diese Hypothese auf einem vergleichsweise kleinen Versuch mit 60 zufällig ausgewählten Amerikanern beruht, der zudem nur innerhalb der USA durchgeführt wurde (auch eine spätere Wiederholung mit knapp 300 Teilnehmern bezog sich immer nur auf das US-Inland), tat ihrer Popularität keinen Abbruch. Aus “amerikaweit” wurde weltweit ,und die rein statistisch ermittelte Durchschnittszahl von 5,5 – aufgerundet auf “ganze” Menschen dann eben sechs – Zwischenschritten wurde zum absoluten Fakt:

I read somewhere that everybody on this planet is separated by only six other people. Six degrees of separation between us and everyone else on this planet. The President of the United States, a gondolier in Venice, just fill in the names. I find it A) extremely comforting that we’re so close, and B) like Chinese water torture that we’re so close because you have to find the right six people to make the right connection… I am bound to everyone on this planet by a trail of six people.

Okay, letzteres war keine wissenschaftliche Beobachtung, sondern ein Zitat aus dem Theaterstück (und nachfolgenden Film) Six Degrees of Separation des US-Dramatikers John Guare. Aber es belegt doch den beinahe mythischen Aspekt dieser “Erkenntnis” – die dann später in ein halb komisches, halb ernst gemeintes Spiel namens Six Degrees of Kevin Bacon (auf Deustch schlicht die Bacon-Zahl) umgemünzt wurde – Wissenschaftler werden vielleicht von der wissenschaftlich adaptierten Version der Erdös-Bacon-Zahl gehört haben.

Aber ich schweife ab (wie so oft): Dank Facebook hat sich diese Zahl nun mit einer größeren Datenmenge konkretisieren lassen – 721 Millionen Facebook-User (das sind mehr als zehn Prozent der Weltbevölkerung) wurden mit Hilfe eines Programms der Universität von Mailand auf ihre Verbindungen hin analysiert, und im Mittel ist demnach jeder Facebook-User von jedem anderen durch 4,74 Zwischenschritte getrennt. Fünf mal durch die “Freunde-Liste” weiterklicken, und man erreicht potenziell jeden anderen Facebook-User auf der Welt. Toll!

Oder doch nicht? Naja, mich stört dabei die Idee der “Verbindung”. Ich habe Facebook-“Freunde”, die ich noch nie gesehen, gesprochen oder mit denen ich noch nie in anderer Form als durch das “akzeptieren” eines Freundschaftsantrags kommuniziert habe. Ist das wirklich eine Verbindung? Sollte ich mal in meinem Facebook-Freundeskreis erforschen …

flattr this!

Kommentare (17)

  1. #1 MartinB
    22. November 2011

    Facebook? Was’n’das?

  2. #2 mc-kay
    22. November 2011

    Genau deswegen ist diese aussage nichts Wert.
    “Facebook Freunde”, da akzeptiert jeder jeden und viele haben 500 oder mehr “Freunde” und wie viele kennen sie wirklich gut? Wenn es hoch kommt wahrscheinlich ein dutzend.

  3. #3 a+
    22. November 2011

    Hat die ZEIT vor ein paar Jahren nicht sowas mal durchgespielt, monatelang? Die haben allerdings post-hoc argumentiert, d.h. immer zwei Menschen genommen und sie versucht, sie durch möglichst wenige Zwischenschritte zu verbinden.

    Kurze websuche hat’s gerade nicht gebracht. Wenn jemand lust hat?

    Xing macht das ja übrigens schon eine Weile, oder? Immer eine alternative route berechnen, sozusagen. Ist übrigens eine kleine Schwester des Handlungsreisendenproblems, wenn ich mich nicht irre.

  4. #4 Thilo
    22. November 2011

    Mathematiker kennen das Phänomen unter dem Schlagwort Erdös-Zahl.

  5. #5 JK
    22. November 2011

    Wenn man analog zur Erdös-Zahl solche Zahlen für hinreichend viele Wissenschaftler aus verschiedenen Wissenschaften berechnen würde – ob es da typische Unterschiede zwischen den Wissenschaftsdisziplinen geben würde? Oder ob man eher eine Typologie von Wissenschaftspersönlichkeiten bekäme?

  6. #6 ali
    22. November 2011

    Mein erster Gedanke war, da habe ich im Internet doch vor kurzem mal was dazu gelesen. Irgendwas, dass das Experiment dazu nicht ganz “up to standard” war. Kurzes Googeln und voilà! Soviel was mein Hirn unter “vor kurzem” ablegt: Januar 2009. Aber bestimmt auch lesenswert dazu (ich schweife mit dir ab, Jürgen).

  7. #7 A.P.
    22. November 2011

    Ich verstehe nicht, warum man das Ganze in eine Facebook-Kritik unmünzen muss. Im Experiment ging es auch gar nicht darum, Aussagen über “echte” Freunde/Freundschaften zu machen. Sondern ganz einfach darum, über wie viele Verbindungsschritte jeder Facebooknutzer mit jedem anderen Facebooknutzer durchschnittlich verbunden ist – in der Facebook-Terminologie heißt das dann eben “Freunde von Freunden von Freunden”… Auch in der echten Welt hat man doch viel viel mehr “aquaintances” als “richtige Freunde”.

    Im Umkehrschluss: Warum kann man nicht einfach mal akzeptieren, dass Facebook (das Internet) “echter” Bestandteil des “echten” Lebens ist… Aber, hey, im Internet ist halt alles virtuell und daher weniger echt und weniger wert als die reale Realität. Facebook-Freundschaften sind virtuell, ich telefoniere lieber mit meine richtigen Freunden, äh, ich meine, ich treffe mich mit denen. Auch Blogs kann man nicht ernst nehmen, nur gedruckte Zeitungen, äh, handgeschriebene Augenzeugenberichte sind, äh…

  8. #8 Jürgen Schönstein
    22. November 2011

    @A.P.
    Nix für unguat, wie der Bayer sagt (und ich mime, als Franke, hier mal den Bayern). Dies ist keine Kritik an Facebook an sich, sondern an der Gleichsetzung von “Facebook-Freund” und “Verbindung”. Wenn Facebook ein konkreteres Modell menschlicher Interaktionen wäre, dann hätte wohl kaum jemand mehr als dreistellige “Kontakte” bzw. “Freunde”. Und dann wäre mit solchen Zahlen sicher konkreteres anzufangen. Aber da es einige “Facebook”-Freundschaftssammler gibt, deren einziges Ziel es ist, ihre Zahl zu maximieren (und die dies ohne echten Kommunikationsaufwand, sondern schlicht per Facebook-Empfehlung und Mausklick erreichen können), sind die Aussagen zumindest nicht auf das reale Leben übertragbar. Und wie Ali schon per Link auf Rebecca Skloots Blog ins Gespräch gebracht hat: Selbst das ursprüngliche Milgram-Experiment hatte nie den Hinweis auf eine “kleine Welt” – von den 60 Briefen, die durch diese Kontaktkette zu bestimmten (dem Absender völlig unbekannten) Empfängern geleitet werden sollte, haben 57 (= 95 Prozent) dieses Ziel nie erreicht. Die Welt ist also doch größer, als man denkt (warum ich dann dauernd auf andere Schweinfurter stoße, egal wie weit weg von meiner Heimatstadt, ist ein ganz anderes Problem).

    @Ali
    Du hast natürlich Recht, ich hätte meine Skepsis gegenüber den “Six Degrees” noch deutlicher machen sollen. Ich hatte mich auch an Rebecca Skloots Posting erinnert (aber nur an die Kernaussage, nicht mehr daran, wo ich es gelesen hatte – obwohl’s ja bei unserer amerikanischen Schwestersite gelaufen war), und daran, dass das Experiment wissenschaftlich unhaltbar war – aber ich war zu sehr in Eile, um die Details (vor allem die 95 Prozent “Blindgänger”) zu ermitteln und habe mich dann faul damit begnügt, die “Erkenntnis” aus Milgrams Versuch in Anführungszeichen zu setzen. Ich gelobe: Das soll nicht mehr (so oft) vorkommen …

  9. #9 Engywuck
    22. November 2011

    auch unter Berücksichtigung der ganzen Facebook-“Freunde”-Sammler sind es noch 4,74 Schritte, “real” also ziemlich sicher nicht drunter. Auch ein Ergebnis 🙂

  10. #10 BreitSide
    22. November 2011

    DER “Milgram” – Milgram?

  11. #11 Jürgen Schönstein
    22. November 2011

    @BreitSide
    Ja, der Milgram.

  12. #12 A.P.
    23. November 2011

    @Jürgen Schönstein: Die Kritik der Kritik bezog sich auch eher auf die ein, zwei entsprechenden Kommentaren…

    Bzgl. “Freundschaftssammler”, ohne das mit Zahlen untermauern zu können: Ich würde vermuten, dass die Mehrheit der Facebook-Nutzer nicht dieser Beschreibung entspricht; deren durchschnittliche Anzahl “Freunde” dürfte im noch zweistelligen Bereich liegen. Insofern ist die Zahl von “4,74” ja auch eine Durchschnittszahl, in denen neben den “Freundschaftssammlern” auch die “Einsamen” und die “Normalnutzer” enthalten sind (ein Medianwert wäre hier vielleicht etwas aussagekräftiger).

    Relativ unabhängig davon ist dann aber natürlich die Frage, was man mit dem errechneten Wert von 4,74 anfängt und wie man das dann alles interpretiert. Das hat dann aber alles wenig mit “Facebook” oder der Art der zugrunde gelegten “Verbindung” zu tun. Denn: Ich bin der Meinung, dass es zwischen “Offline-Aquaintances/Freunden” und “Facebook-Freunden” keine prinzipiellen Unterschiede gibt.

    Es gibt ja bspw. auch Hinweise darauf (“Studien aus den USA”), dass Facebook-Nutzer mit vielen Freunden auch im “echten” Leben besser vernetzt sind. Oder m.a.W.: Facebook (das Internet) ist nicht etwas, was neben/zusätzlich zur “echten” Welt besteht, es IST Bestandteil der “echten” Welt. (Oder wenn man so will ein “Spiegel” der “echten” Welt.)

  13. #13 A.P.
    23. November 2011

    Nachtrag: Laut o.g. Untersuchung liegt die durchschnittliche Anzahl “Freunde” bei 190, der Median bei 100.

    Quelle: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Die-Facebook-Welt-enger-vernetzt-als-die-reale-Welt-1382686.html

    Die Überschrift des Heise-Artikels ist im übrigen deutlich besser: “Die Facebook-Welt: enger vernetzt als die reale Welt”…

    Grüße!

  14. #14 Stefan W.
    24. November 2011

    Der Hauptbock ist, von

    dass jeder Mensch mit jedem anderen Menschen auf der Welt über maximal sechs Zwischenstufen verknüpft sei.

    zu einem Durchschnittswert zu gelangen, und selbst wenn der 5,5 auf der ganzen Welt wäre, so ist das ja doch sehr verschieden von einem “Maximal für jeden mit jedem”.

    Da kann man auch sagen, dass jeder Mensch etwa 45 gute Bekannte hat => (45³)² = etwa 8 Mrd. – bingo!

    Im Graphen ist ein Punkt zw. 1- und – 2, von dem man nach Süd-Süd-Ost zu einem Punkt kommt, von wo aus man direkt zum Punkt zw. 5 und 6 kommt – auf dem Graphen sind A und B also bereits über 3 Hops verbunden. Der Graph ist aber auch überhaupt ungünstig dargestellt, weil es unnötige Überkreuzungen gibt. Man sollte deren Zahl minimieren, um lokale Gruppen, die sich untereinander gut kennen (fast jeder kennt jeden, wie in einem Verein, kl. Dorf, Nomadenstamm), aber u.U. wenige Aussenkontakte haben, besser sichtbar zu machen.

  15. #15 Stefan W.
    24. November 2011

    PS: Außerdem bin ich nicht bei Facebook, und kenne auch niemanden, der im Fressenbuch ist, oder jmd. kennt, der jmd. kennt, der im Facebook ist. 🙂 Da könnt Ihr mich lange suchen!

  16. #16 Dr. Webbaer
    24. November 2011

    Das Internet ist sicherlich, wie auch die Evolutionstheorie, eine “gefährliche” Idee. – Und vor FB hat Dr. W immer gewarnt. >:-)

  17. #17 threepoints...
    4. Dezember 2011

    Rein theoretisch gesehen … und eben nur unter der Annahme der Übermittlung eines Informationsgehaltes (was ja noch keine vollwertige Kommunikation bedeutet) hat sich also die Situation durch Facebook und co also um eine Person etwa verbessert. Es steht nun die Möglichkeit bereit, sich mit nicht nur über jeweils 6 Menschen Landesweit zu vernetzen, sondern über den Faktor 5.

    Inwieweit es also eine wirkliche Verbesserung handelt, kann ich nicht beurteilen. Aber Oberflächlich betrachtet bin ich etwas enttäuscht…Wenn das die Evolution des Web X.0 sein soll…