Jawohl, Impfen ist hier nicht metaphorisch gemeint: Laut dem Paper Immunizing Against Prejudice Effects of Disease Protection on Attitudes Toward Out-Groups, das in der kommenden Ausgabe (derzeit leider noch nicht online, darum der Link zur Pressemitteilung) von Psychological Science erscheinen soll, kann durch Impfung tatsächlich die Aversion gegen Fremde – im Psychologensprech “outgroup” (auf Deutsch: Fremdgruppe) genannt – reduziert werden. Und da dies einerseits spannend genug klingt, dass mein journalistischer Instinkt darauf anspringt, andererseits die Sache per Pressemitteilung schon so vorab rausgeblasen wurde, reite ich jetzt mal mit dem bisschen, was ich habe, über den Acker. Und wenn das Paper raus ist, schau ich’s mir noch einmal genauer an. Versprochen!
Dem Paper, das von Forscherinnen und Forscher der University of Toronto, Harvard, Yale und dem MIT verfasst wurde, stützt sich auf eine Reihe von Tests. In den ersten beiden Versuchen ging es in der Tat um Impfungen – Grippeimpfungen, um genau zu sein. Die Versuchspersonen, einige davon gegen Grippe geimpft, andere nicht, wurden aufgefordert, Informationssschriften über die Impfung zu lesen. Doch während ein Teil dieses Informationsmaterals ausdrücklich die Wirksamkeit der Impfung betonte, beschränkte sich der Rest auf die Beschreibung der Funktionsweise der Impfung. Anschließend wurden sie aufgefordert, Fragebögen zum Thema Vorurteile zu beantworten – Gruppe 1 wurde zu Einwanderern befragt, Gruppe 2 zu Drogenabhängigen und Fettsüchtigen. Die Geimpften der Gruppe 1, die durch Broschüren über die Zuverlässigkeit der Schutzimpfung gelesen hatten, zeigten sich deutlich weniger fremdenfeindlich als die Nicht-Geimpften, die die gleichen Informationen erhalten hatte. In jenem Teil der Gruppe, die nicht ausdrücklich über die Wirksamkeit der Impfung informiert war, machte es hingegen keinen Unterschied, ob die Testpersonen selbst eine Grippeinpfung erhalten hatten oder nicht. Die Impfung, kombiniert mit der Aufklärung über ihre Schutzwirkung, hatte also offenbar beigetragen, das Ausmaß der Vorurteile gegen Einwanderer zu verringern. In Gruppe 2, die vergleichbar der Gruppe 1 zusammengesetzt und “gebrieft” war, zeigte sich als Resultat eine Verringerung der aus Angst vor Ansteckungen resultierende Abneigung gegen Drogenabhängige und Übergewichtige.
Klingt vielleicht ein bisschen verwirrend, aber das Fazit ist: Wenn Menschen sich vor Krankheit geschützt fühlen – zum Beispiel durch eine Schutzimpfung, deren Wirkung sie vertrauen – dann reduziert sich auch die Angst vor Fremden. Was sich damit erklären ließe, dass diese Xenophobie ja ursprünglich (bei unseren pleistozänen Vorfahren, beispielsweise) ein Schutzmechanismus war: Fremde konnten Überträger unbekannter Krankheiten sein.
Ergänzung:
Nachdem ich inzwischen (5.12.) den Originalartikel gelesen habe, kann ich – leider – nicht viel hinzu fügen. Denn die Hauptkritikpunkte, die auch in den Kommentaren angesprochen werden, bleiben in der Studie unbeantwortet: 1. Wurde nicht untersucht, wie lange dieser Impeffekt gegen Vorurteile anhält; die Möglichkeit, dass er etwa so kurzlebig ist wie die Beruhigung eines Kindes durch das Nachschauen, dass auch kein Monster im Schrank versteckt ist. 2. Die verringerte Fremdenangst ist hier lediglich durch einen Fragebogen ermittelt worden – es wäre wichtig zu wissen, welche Reaktion die Begegnung mit einem Angehörigen der “Out-Group” (am besten einem, der maximal den Stereotypen enstpricht) erzeugt hätte und ob es bei dieser Vorurteils-Reduktion geblieben wäre.
Und die im Paper vorgetragene Idee, dass durch besser verbreitete Schutzmaßnahmen – ausdrücklich erwähnt werden chirurgische Gesichtsmasken und Gummihandschuhe – ein Abbau von Fremdenangst und Vorurteilen auf breiter Basis bewirkt werden könnte, erscheint mir mehr als naiv: Erstens würde (wie uns Bilder aus Japan und Korea regelmäßig vermitteln und wie ich aus den ersten Schweinegrippe-Tagen selbst in New York miterleben durfte) dieses Sichtbarmachen der Krankheitsbedrohung eher ver- als entschärfend auf die Kontaktangst wirken, und zweitens haben die Autoren sich wohl nicht ausgemalt, welche Nebeneffekte diese Teilkörpervermummung in der gelegentlich aufkeimenden Terrorhysterie (gegen die eine solche Grippe- oder meinetwegen auch Gelbfieberimpfung nicht viel nützen dürfte) zeitigen dürfte.
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