Auf diesen knappen Nenner lassen sich die Ergenisse des Papers Uninformed Individuals Promote Democratic Consensus in Animal Groups bringen, das in der aktuellen Ausgabe von Science erschienen ist. Ich gestehe, dass ich mich an der Formulierung “demokratischer Konsens in Tiergruppen” erst mal ziemlich gerieben habe, denn Demokratie ist ein politisches Phänomen, und der Begriff des zoon politikon (sorry, hier ist nicht nur mein Blogger-Kollege Ali Arbia gemeint), also des “politischen Lebeswesens”, ist nun mal für den Menschen reserviert. Aber dann habe ich doch ins Paper geschaut, und das Resultat ist zumindest verblüffend.
Bei sozialen Lebewesen wie Menschen, aber auch Herdentieren – vom Atlantischen Hering bis zum Zebra – finden mehr oder weniger explizit immer wieder Mehrheitentscheidungen statt. Und wenn’s nur darum geht, in welche Richtung der Schwarm schwimmen oder die Herde rennen soll. Dies kann durch einen Mehrheits-“Beschluss” geschehen (so stellen wir uns ja die Demokratie im Idealfall vor), aber auch die Folge der Entschlossenheit einer kleinen, determierten Gruppe sein, die wir dann gerne als “Leittiere” identifizieren. (Darüber, dass eine entschlossene Minderheit auch bei Menschen genügt, um Mehrheiten “umzudrehen”, hatte ich hier schon mal geschrieben). Und wie beim Menschen ging man auch beim tierischen Herdenverhalten davon aus, dass diese Minderheiten-“Regierung” ihren größten Einfluss beim ahnungslosen “Stimmvieh” erzielen.
Dies war auch der Ansatz des Papers, das mit einer mathematischen Simulation begann. Dabei wurde erst mal berücksichtigt, dass benachbarte Individuen in Herden dazu neigen, in die gleiche Richtung zu laufen, und dass Individuen generell darum bemüht sind, Kollisionen zu vermeiden. Für das Modell galt es nun zu entscheiden, welches von zwei alternativen Zielen anzulaufen ist. Nehmen wir mal an, der größere Teil der Population, den wir N1 nennen wollen, bevorzugt Ziel 1; die Minderheit N2 bevorzugt Ziel 2. Diese (binären) Präferenzen der Individuen lassen sich durch Vektoren ω1 respektive ω2ausdrücken: je größer ihr Skalar (also je länger der Vektorpfeil), desto “entschlossener” waren die Indidividuen. Wenn ich dies jetzt richtig verstanden und hier simplifiziert wiedergegeben habe, dann lässt sich schlicht aus der Addition dieser Vektoren bestimmen, wohin die Reise gehen wird – die größere Summe entscheidet. Aber die kann auch dann erreicht werden, wenn eine kleine Minderheit mit entsprechend großer Entschlossenheit auftritt. Doch was passiert, wenn man eine größere Anzahl N3 indifferenter Individuen in die Betrachtung einbringt, für die ω etwa Null ist? Dann pegelt sich, wie die nachstehende Abbildung B zeigt, mit steigender Größe von N3 das Gruppenverhalten um einen Mittelwert ein:
Die grau gestrichelte Linie in Abbildung B markiert das Verhältnis der Mehrheit N1 zur Summe der Informierten N1+N2; bei den “Proportionen der Gruppen, die das Mehrheitsziel erreicht haben” (y-Achse) sind nur einstimmige Gruppenentscheidungen erfasst., wobei der Anteil der Gruppenentscheidungen für Ziel 1 (Mehrheit) im Verhältnis zu allen einstimmigen Entscheidungen dargestellt ist.
Das bemerkenswerte an diesem Modell – das, nur ganz nebenbei noch erwähnt, für das Paper auch mit Schwärmen von Notemigonus crysoleucas (einem kleinen, karpfenartigen Fisch, der in den USA auch unter dem Namen Golden Shiner geläufig ist) im Experiment verifiziert wurde – ist dabei, dass es keineswegs bedeutet, dass die Mehrheit immer Recht behält: Die Resultate spiegeln vielmehr ziemlich exakt die Mehrheitsverhältnisse wieder – auch die Minderheit kommt dabei zu ihrem Recht, aber eben nicht überproportional, sondern entsprechend ihrer zahlenmäßigen Repräsentanz, und nicht nur der Stärke ihrer Überzeugung entsprechen. Dies ist auch der Grund, warum ich in der Überschrift zu meinem Beitrag dann doch, trotz meiner eingangs geäußerten Bedenken, das Wort “demokratisch” (das ja auch den Schutz der Minderheit vor der Diktatur der Mehrheit enthalten soll) verwendet habe. Nun muss ich nur noch mit dem Unbehagen fertig werden, dass dieses Modell tatsächlich auch auf Menschen zutreffen könnte …
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