Vielleicht ist es der Umstand, dass bald wieder ein Jahr vorbei ist, der mich “altmodisch” fühlen lässt. Vielleicht bin ich wirklich schon, im sozialen Sinn, alt. Vielleicht ist es auch nur mein kutureller Hintergrund, der mir eine andere Grundvorstellung von sozialen Beziehungen mitgegeben hat. Was immer es ist: Als ich das Paper über Social selection and peer influence in an online social network las, das in den aktuellen Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen ist, kam ich über die Aversion nicht hinweg, dass darin die Auswahl unserer Freundschaften am Beispiel der Social Media, namentlich Facebook, analysiert wurde.
Nicht, dass ich die Prämisse der Studie oder die Resultate der zu Grunde liegenden Analyse bezweifeln möchte: Die Annahme, dass sich die statistisch auffallenden Ähnlichkeiten hinsichtlich des Geschmacks bei Büchern, Filme und Musik innerhalb von Freundeskreisen dadurch erklären lassen, dass sich derart Gleichgesinnte zu Freunden zusammen finden (im Gegensatz zur Alternativ-These, dass sich Freunde gegenseitig in ihren Musik-, Literatur- und cineastischen Präferenzen beeinflussen und dadurch “homogeniseren”) klingt plausibel und deckt sich mit anekdotischen Beobachtungen. Und ich bin mir sicher, dass die Auswertung der Daten diese Annahme hinreichend belegt (auffälliger Weise sind lediglich Präferenzen bei Jazz und klassischer Musik “ansteckend”).
Aber sind Facebook-“Freunde” wirklich Freunde? Dies ist keine rhetorische Frage. Für mich jedenfalls beantwortet sie sich erst mal mit “nein”. Womit ich nicht sage, dass keiner meiner Facebook-Kontakte ein echter Freund oder eine echte Freundin wäre – im Gegenteil: Mit vielen meiner langjährigen Freunde bin ich auch via Facebook verknüpft. Aber noch viel mehr meiner Facebook-Kontakte sind Personen, denen ich im echten Leben nie begegnet bin, die ich auf der Straße oder selbst am Telefon nicht erkennen könnte, und mit denen ich vielleicht eine einzige mir bekannte Gemeinsamkeit habe.
Aber so überheblich, damit die Validität der eingangs zitierten Studie zu bestreiten, weil sie ja keine “echten” Freundschaften analysiert, will ich auch nicht sein. Vielleicht sind ja Freundschaften heute ohne Social-Media unmöglich zu knüpfen und zu erhalten? Vielleicht sind für Generationen, die – im Gegensatz zu mir und meinen Altersgenossen – mit E-Mail und Internet groß geworden sind, solche Web2.0-Freundschaften ebenso intim, real und persönlich wie für mich die durch physische und psychische Nähe gewachsenen Verbindungen?
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