Nehmen wir mal an, wir säßen in einem Auto, das auf einen Abgrund zurast. Ein Passagier schreit: Tritt auf die Bremse! Ein anderer will, dass wir das Steuer nach Rechts herumreißen, ein Dritter meint: Links! Da keine Einigkeit über die zu ergreifende Maßnahme zu erzielen ist, fahren wir erst mal weiter – und in den Abgrund. Logsch? Natürlich nicht. Ich denke mal, die “normale” Reaktion wäre, sowohl die Bremse als auch das Lenkrad zu benutzen – vor allem, wenn der Abstand zur Kante groß genug ist, dass beide Manöver durchführbar sind. Nur wenn’s um den Umwelt- und Klimaschutz geht, klappt dieses normale Denken wohl nicht. Da wird dann erst mal aus Prinzip darüber diskutiert, ob der Abgrund überhaupt so tief sei wie angenommen; wer denn eigentlich die Schuld daran habe, dass das Auto auf diese Kante zufährt (und dementsprechend dann auch die Aufgabe hätte, den Absturz zu verhindern); die “Lenker” werfen den “Bremsern” vor, ihnen ein Schleudertrauma zuzumuten, während die “Bremser” den “Lenkern” wiederum vorhalten, dass sie den Radius des Manövers nicht genau genug berechnen könnten. Und die Fahrer beschweren sich zwar, dass es keine Einigung gibt, aber selbst was tun wollen sie auch nicht … Manchmal finde ich die Debatten, die ich hier seit gut vier Jahren mit verfolge (und selbst auch gelegentlich anzustiften versuche), extrem frustrierend.
Die aktuellen Ausgabe von Science hat mich wieder an diesen Frust erinnert – obwohl (oder gerade weil) ich den Artikel über Simultaneously Mitigating Near-Term Climate Change and Improving Human Health and Food Security sehr zutreffend und sinnvoll fand. Im Kern geht es darum, einige sofort umsetzbare Maßnahmen zur Verringerung von Methan- und Rußpartikel-Emissionen zu etablieren, die zwar auf lange Sicht nicht den gleichen Klimaschutzeffekt haben wie eine CO2-Reduktion à la Kyoto-Protokoll, aber 1. schneller realisierbar sind, 2. ihre größten Wirkungen an den Orten der Maßnahme selbst zeigen und 3. ganz nebenbei auch die Lebensqualität derer, die diese Maßnahmen umsetzen, durch verbesserte Gesundheit und Ernährung erheblich steigern. Und, das sollte man hinzufügen, 4. eigentlich in keinem Widerspruch zu langfristigen CO2-Zielen stehen. Wenn man sich nicht in einer Grundsatzdiskussion verfängt, wie ich sie in meiner Eingangs-Parabel vom Auto am Abgrund zu schildern versucht habe.
Ich habe es mir mal leicht gemacht und die Liste der 14 Maßnahmen, die das AutorInnen-Team unter der Federführung des Nasa-Klimaforschers Drew Shindell zusammengestellt hat (und die hier in den auch ohne Abo verfügbaren Zusatzmaterialien zum Science-Paper zu finden sind), einfach als Grafik kopiert und hier reingestellt:
Im Einzelnen mögen diese Maßnahmen nicht wie ein “großer Wurf” wirken, aber in der Kombination kommen die Science-AutorInnen immerhin zu einer Reduktion des Temperaturanstiegs bis 2050 um ein halbes Grad Celsius. Und selbst wenn die Temperaturkontrolle geringer wäre: Allein schon die Verringerung vorzeitiger Todesfälle durch Umweltverschmutzung um 0,7 bis 4,7 Millionen jährlich und die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion um 30 bis 135 Millionen Tonnen jährlich wären es wert.
Das Schöne am Umweltschutz ist ja, auch wenn es einigen “Klimaskeptikern” nicht einsichtig werden will, dass er nicht nur eingleisig wirkt: Geringerer Kraftstoffverbrauch von Fahrzeugen reduziert ja beispielsweise nicht nur die Kohlendioxid-Emissionen, sondern auch die Stickoxid-und Feinstaub-Belastungen der Atemluft – und spart vielleicht sogar noch ein paaar Euro an Spritkosten ein. Weniger Strombedarf schont nicht nur das Klima, sondern auch die Landschaft (durch verringerten Kohle-Abbau, beispielsweise, oder das eine oder andere entbehrliche Kraftwerk) und die private Haushaltskasse. Und so weiter und so weiter. Aber wer darauf besteht, dass er erst ganz genau wissen will, ob denn bremsen und ausweichen die Fahrt in den Abgrund verhindern können, ehe er irgend etwas zu tun bereit ist, der darf sich nicht wundern, wenn er dann über die Klippe rast …
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