So ziemlich das Letzte, was mir bei solch abgedroschenen Klischees wie der Aufforderung, über den Tellerand zu blicken, oder über meinen Schatten zu springen, in den Sinn kommt, ist der Begriff “Originalität”. Da bin ich wohl zu streng mit mir und anderen: Ein Paper, das in der Februar-Ausgabe von Psychological Science erscheinen wird (ist leider noch nicht online verfügbar, auch wenn die entsprechende Pressemitteilung gestern schon rausging), hat mal untersucht, ob es irgend einen kreativen Vorteil hat, wenn man solche Metaphern wie “Think outside the box” oder “put two and two together” (etwa: Eins und Eins zusammenzählen) nicht nur bildlich nimmt, sondern in die Tat umsetzt. Und das Ergebnis war, dass die Testpersonen, die von Angela Leung, Psychologieprofessorin an der Singapore Management University, und ihren Mitarbeitern daraufhin getestet wurden, ob sie in der Box (die in diesem Fall eine Pappschachtel mit eineinhalb Metern Kantenlänge) oder außerhalb derselben die besseren Einfälle haben, tatsächlich kreativer waren – im Sinn von mehr, variationsreichere und originellere Lösungsvorschläge zu gestellten Aufgaben fanden. Dies bestätigte sich auch bei Aufgaben, in denen sie (ohne natürlich zu wissen, was hier eigentlich getestet werden sollte) abwechseln beide Hände (die Redewendung dazu ist “on one hand – on the other hand”, also einerseits – andererseits) benutzen oder die Hälften von zwei Scheiben zusammensetzen (“putting two and two together” – Eins und Eins zusammenzählen).
Ist an den Klischees also doch etwas dran? Würde ich also, wenn ich über den Rand meines Tellers hinweg schaue (was etwa der englischen “outside-the-box”-Metapher entspräche), tatsächlich die besseren Ideen finden? Sieht man mal davon ab, dass ich mir noch nie klar war, in welcher Haltung ich über diesen Tellerrand hinweg schauen soll – also entweder mit dem Kopf an der Tischkante und dem Rand als “künstlichem Horizont”, oder mit dem Teller senkrecht und die Sicht versperrend vor meinem Gesicht; beides keine sehr ansprechenden Vorstellungen: Das englische Klischee hat natürlich nicht das geringste mit einer Kiste oder einer Pappschachtel zu tun, sondern spielt auf einen bei Management-Tests zum Problemlösungsdenken mal sehr beliebten grafischen “Kasten” an: Der wird von neun Punkten gebildet, die es mit maximal vier Linien zu verbinden gilt, ohne dabei den Stift abzusetzen oder die gleiche Linie doppelt zu bestreichen (genau, das Neun-Punkte-Problem, dessen Lösung darin besteht, über diese Drei-mal-Drei-Matrix hinaus zu zeichnen).
Wenn ich die Intention der Arbeit aus dem Material, das ich bisher gesehen habe, korrekt interpretiere, dann wird hier aber auch nicht wirklich behauptet, dass die korrekte Umsetzung des Klischees den kreativen Schubs gibt – sondern dass das Zusammenwirkung irgend einer physischen Aktivität mit dem Denkprozess zu kreativeren Einfällen führt. Also ein Spaziergang (ein solcher soll Michael Faraday zur Entdeckung der elektrischen Induktion und des Dynamos inspiriert haben), oder ein Kopfstand, oder – bei Heimarbeitern besonders beliebt – Geschirrspülen hätten vermutlich die gleiche kreativitätsfördernde Wirkung (ach, und ich hatte immer geglaubt, ich tu’ das aus Gründen der Prokrastination). Und richtig, beim Spülen schau’ ich tatsächlich manchmal auch über den Tellerrand hinaus, seh’ aber dann doch nur das Spülbecken …
Foto: Thomas Fischer/Steffen Wolf, via Wikimedia Commons
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