Nachtreten ist zwar regelwidrig, aber hier muss ich es doch einmal tun, obwohl ich es, in diesem Fall, eher in der Rolle des Reporters am Spielfeldrand tue – was natürlich extrem unfair ist … Hier hatte ich ja das Thema schon angesprochen: Geht peer review nur mit teuren Fachjournalen, oder wäre sie auch in einer “open science”-Plattform möglich? Anlass meines erneuten Einstiegs ist der folgende Leserbrief in der heutigen Science-Beilage der New York Times (ich habe ihn gleich übersetzt):
“Cracking Open the Scientific Process” (17. Januar) fängt damit an, dass das New England Journal of Medicine” als Teil eines traditionellen peer-review-Prozesses genannt wird, der “keinen Anlass zum feiern” gebe. Es wird argumentiert, dass wissenschaftliche Publikationen offen und fei zugänglich sein sollten. Was der Artikel aber übersieht ist, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen wissenschaftlicher und medizinischer Publikation gibt.
Wenn eine wissenschaftliche Theorie falsch ist, dann mag das Verschwendung von Zeit und Geld sein, aber niemands Gesundheit wird dadurch gefährdet. Im Gegensatz dazu kann es, wenn veröffentlichte Gesundheitsinformationen falsch oder fehlerhaft sind, zu schweren Schäden kommen.
Wir erhalten häufig Manuskripte, in denen Leute Ideen und Theorien ohne angemessene Daten verbreiten, meistens mit dem Ziel des persönlichen Ruhms oder des finanziellen Gewinns. Die peer-reviewte medizinische Literatur mag nicht ohne Fehler sein, aber es gibt keinen besseren Weg als die peer review, um Informationen zu verifizieren, ehe sie in Diagnose und Behandlung angewandt werden. Zumindest in der Medizin sollten wir sorgfältig nachdenken, ehe wir entscheiden, dass mehr und ungefilterte Information die bessere Information sei.
Der Autor dieses Leserbriefes ist Jeffrey M. Drazen, Chefredakteur des New England Journal of Medicine. Mein Problem, das ich mit dieser Argumentation habe, ist ganz einfach: Niemand fordert die Abschaffung der peer review, wie hier unterstellt wird. Drazer hat hier die Torpfosten – bewusst, vermute ich mal – klar verschoben, denn er setzt “Open Science” mit einer unkontrollierten, ungeprüften Beliebigkeitspublikation gleich. Aber darum geht es halt nicht. Es geht darum, dass es nicht akzeptabel sein sollte, wenn die Resultate von mit öffentlichen Geldern (und nur davon reden wir hier) finanzierter Forschung hinter einer – kommerziellen – Paywall versteckt werden.
Das Argument, dass diese kommerzielle Schranke für die Existenz der peer review unverzichtbar sei, leuchtet mir nicht ein: So weit ich weiß, werden die Reviewer für ihre Tätigkeit nicht bezahlt (sollten sie ja auch nicht, um potenzielle Interessenkonflikte zu vermeiden), und auch die Autorinnen und Autoren sehen keinen Cent für diesen ökonomisch wertvollen Inhalt. Wenn also auf dieser Seite – und das ist die maßgebliche Seite – keine Kosten anfallen (genauer gesagt: keine, die durch die Einnahmen aus der Publikation gedeckt werden müssen), dann ließe sich die Sache auch ohne Verlage organisieren. Die Public Library of Science führt das ja schon vor …
Als jemand, der ein Vierteljahrhundert lang seinen Lebensunterhalt mit bezahlten Publikationen verdient hat, hege ich durchaus Sympathien für das Bemühen der Verlage, dieses System aufrecht zu erhalten. Und wenn man gedruckte Journale für wesentlich hält (ich selbst lese lieber Papier als Bildschirm, auch wenn ich selbst ein elektronischer Verfielfältiger hier bin), dann muss man auch anerkennen, dass mit der Herstellung und dem Vertrieb derselben durchaus substanzielle Kosten verbunden sind, die durch einen Verkaufspreis wieder eingenommen werden müssen. keine Frage.
Aber wer das gedruckte Heft haben will, der wird dafür auch gerne bezahlen – selbst wenn sie/er weiß, dass andere die Inhalte schon vor ihr/ihm sehen konnten. Ein Kompromiss könnte sein, dass die Online-Inhalte nur für eine begrenzte Zeit frei verfügbar sind, oder dass sie erst nach Ablauf einer exklusiven Schutzfrist freigegeben werden. Beides sind Modelle, die von Printpublikationen – als Beispiel für letzteres Modell nenne ich hier mal meinen ehemaligen Arbeitgeber FOCUS – längst praktiziert werden.
Kommentare (12)