Wenn ein – wie es scheint – nur mäßig begabter Autor eine negative Rezension seines Buches im Internet findet und daraufhin von einer kriminellen, Autoren vernichtenden Internetmafia schwadroniert (die passende Diskussion dazu gibt’s hier bei Florian Freistetter), dann fällt das sicher eher in die Kategorie “Verfolgungs(oder sonstiger)Wahn”. Aber die Vermutung, dass nicht alle Online-Rezensionen – nicht nur von Büchern, auch von allerlei anderen kommerziell vertriebenen Waren und Dienstleistungen – der ehrlichen Meinung ehrlicher Käufer/Benutzer geschuldet sind, ist keineswegs nur durch eine Neurose erklärbar. Etwa jede dritte “Kundenbewertung” ist gefälscht, typischer Weise gegen Bezahlung oder gegen sonstige Vergünstigungen. Die (heutige) Freitagausgabe der New York Times beispielsweise brachte auf ihrer Titelseite eine Story über einen Onlineversender von Schutzhüllen für Amazons Kindle, der seinen Kunden gegen eine gute Besprechung den Kaufpreis erließ. Auch die BusinessWeek hatte sich schon vor einigen Monaten mit diesem Thema befasst.
Und was hat das mit Wissenschaft zu tun? Kundenmeinungen sind eine der wichtigsten Messgrößen im Internet-Handel; Seiten wie Yelp.com oder auch tripadvisor, aber auch Versender wie Amazon, stützen ihre Glaubwürdigkeit (und damit auch ihre Existenzberechtigung) auf die Authentizität der Kundenkritiken. Andererseits ist es für den Betreiber eines heruntergekommenes Hotel, beispielsweise, viel günstiger, sich für ein paar Dollar gleich Dutzende positiver Besprechungen einzukaufen (und damit auch gleich seine Position in der Google-Suche zu verbessern), als für Hunderttausende oder gar Millionen von Dollar in die Renovierung zu stecken.
Hier ist die Hilfe der Informationstechnik und Mathematik gefragt: Bing Liu, Computerwissenschaftler an der University of Illinois in Chicago beispielsweise (er wird in beiden Artikeln erwähnt) macht sich mit den Instrumenten des Data Mining auf die Suche nach gefälschten Kundenkritiken; auf der Webseite zu seinem Projekt über Fake Reviews hat er auch gleich ein paar drastische Fallbeispiele zusammengestellt. Und Myle Ott, Doktorand an der Cornell University, hat mit Kollegen für die Proceedings of the 49th Annual Meeting of the Association for Computational Linguistics eine Studie über
erstellt, für die 400 falsche Hotel-Besprechungen via Mechanical Turk erstellt und dann mit 400 authentischen Besprechungen via tripadvisor verglichen wurden. Menschliche Intuition war dabei als Filter der Unehrlichkeit deutlich unzuverlässiger als die automatisierten Ansätze.
Aber auch das ist natürlich ein Wettrüsten: Nachdem in dem Cornell-Paper – und dann in der Folge auch in den Medien – verraten wurde, dass Hinweise auf Ehepartner im Besprechungstext ein typisches Indiz für gefälschte Bewertungen sind (echte Hotelgäste konzentrieren sich bei ihren Anmerkungen eher auf die Eigenschaften und Mängel der Räumlichkeiten und des Service, weniger darauf, mit wem sie warum in diesem Hotel abgestiegen waren), kann man davon ausgehen, dass dies in den Vorgaben für bezahlte Web-Reviewer künftig ausdrücklich untersagt werden wird.
In den USA ist solch eine Form der Meinungsmanipulation übrigens nicht nur ein Kavaliersdelikt (die rechtslage in Deutschland kenne ich nicht): Wenn zwischen dem Anbieter und der promotenden Person eine Geschäftsbeziehung besteht, dann muss diese gekennzeichnet werden. Laut der New York Times wurde ein Anbieter, der Unterrichts-Videos für Musikinstrumente vertreibt, mit einer Geldstrafe von 250.000 Dollar belegt, weil er Mitarbeiter für die lobende Besprechung seiner Produkte im Internet angeheuert hatte.
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