In meinem Eintrag zum 10. Jahrestag der Anschläge vom 11. September hatte ich mir ein paar Gedanken darüber gemacht, warum eigentlich die Bereitschaft vieler so groß ist, an selbst die widersprüchlichsten und absurdesten Verschwörungstheorien zu glauben, während sie gleichzeitig selbst die plausibelsten, verschwörungsfreien Erklärungen kategorisch ablehnen. Meine – rein spekulative, weil auf subjektiven Beobachtungen und Überlegungen beruhende – These war:
Eine echte Antwort (auf die angeblich “offenen Fragen”) ist sowieso nicht das Ziel, auch wenn die “Suche nach er Wahrheit” stets als Motivation vorgegeben wird. Denn es geht ja gar nicht mehr darum, die “wahre” Ursache zu entlarven – sondern nur darum, die Wahrheit so lange wie möglich nicht wahrnehmen zu müssen.
Damit lag ich, wie ich nun einem Paper mit dem Titel Dead and Alive: Beliefs in Contradictory Conspiracy Theories (nö, nur dem Abstract mal wieder – das Paper selbst ist bisher, trotz gegenteiliger Versprechungen des Verlags, hinter einer Paywall verborgen) in Social Psychological & Personality Science entnehmen kann, zwar ein gutes Stück daneben – aber auch nicht total im Abseits.
Was an meiner Annahme richtig war ist die Vermutung, dass nicht die Suche nach der “Wahrheit” oder einer überzeugenderen Erklärung – will heißen: die angeblich unbeantworteten Fragen – der Grund sind, warum sich VT-Anhänger an solchen geistigen Rube-Goldberg-Konstruktionen festklammern. Doch dies ist, wie das Paper anhand von zwei Beispielen analysiert hat, einem grundsätzlichen Misstrauen in Regierungen (oder andere Mächtige) geschuldet: Weil diese ihrer Ansicht nach grundsätzlich die Wahrheit verbiegen, ist der Glaube an eine Verschwörung gewissermaßen die geistige Grundhaltung der VT-Anhänger. Die VT selbst sind dabei so sekundär, dass selbst völlig widersprüchliche Annahmen gleichzeitig akzeptiert werden.
Die konkreten Beispiele waren der Tod von Prinzessin Diana und die Tötung von Osama Bin Laden. Zum Tod der Prinzessin wurden 137 College-Studentinnen und -Studenten befragt, und dabei ergab sich, dass die beiden an sich widersprüchlichen Annahmen, dass sie a) ihren eigenen Tod nur vorgetäuscht habe und b) der britische Geheimdienst hinter ihrer Ermordung steckt, positiv korrelieren. Also je mehr die Studenten davon überzeugt waren, dass Diana noch lebt, desto überzeugter waren sie auch, dass sie im Auftrag der britischen Regierung ermordet wurde. Im Fall Bin Laden, zu dem 102 Studentinnen/Studenten befragt wurden, ergibt sich ein ähnliches Bild: Die Befragten, die zustimmten, das Osama Bin Laden zum Zeitpunkt des medienwirksamen Einsatzes in Pakistan schon längst tot war, glaubten auch, dass er noch lebt. Diese widersprüchliche “Superposition” von Tod und Leben hat mich zum Schrödinger-Vergleich in meiner Überschrift inspiriert – aber weiter will ich dem Physiker hier damit nicht unrecht tun.
Mit anderen Worten: Es sind nicht die angeblich “offenen Fragen” und Ungereimtheiten, die zur Bildung der Verschwörungstheorie führen, sondern umgekehrt. Weil man Regierungen grundsätzlich nicht glauben darf, kann es nur sein, dass letztlich hinter allem eine Verschwörung stecken muss.
Michael J. Wood, Karen M. Douglas, Robbie M. Sutton: Dead and Alive: Beliefs in Contradictory Conspiracy Theories; Social Psychological & Personality Science, Published online before print January 25, 2012, doi: 10.1177/1948550611434786
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