Wo kriegt man im Zeitalter des Autofocus eigentlich noch Kameras her, die so wunderbar verschwommene Bilder machen, dass man einfach alles reininterpretieren kann, was man will? Die Bild-Zeitung (ja, für die habe ich mal gearbeitet, und weiß, wie sie tickt – ich bin mir sicher, die Redaktion hatte bei dem Thema einen Heidenspaß) hat auf ihrer Webseite das angebliche Video eines angeblichen Ingenieurs in Sibirien, das angeblich ein überlebendes Eiszeit-Mammut beim Durchqueren eines Flusses zeigt:
Ob Loch-Ness-Monster, Sasquatch (auch bekannt als Bigfoot, eine amerikanische Version des Yeti), oder all die UFO-Sichtungen, das Muster ist seit Jahrzehnten das Gleiche: Unscharf-verschwommene Bilder unbekannter Herkunft, meist ohne präzisierenden Kontext und willkürlich geschnitten, dazu ein angeblicher “Experte” – fertig ist die Story. Halt, ein paar Fragezeichen gehören noch dazu, wie in “Unglaubliches Video aufgetaucht: Gibt es noch Mammuts in Sibirien?”
Nun, ich bin mir sicher, dass die Antwort auch den Redakteuren klar war (sie ist “nein”). Allein schon, wenn sie – wie auf Bild.de ja geschehen – eine visuelle Rekonstruktion eines echten Mammuts neben das angebliche Urzeittier stellen und ihnen dann auf den ersten Blick klar wird, dass sowohl das in Nordeuropa beheimatete Steppenmammut (Mammuthus trogontherii; Abb. links) als auch das auf der Bild-Seite eingespiegelte Wollhaarmammut schon eine ganz andere Schädelform (mit dem markanten Stirnhöcker, den wir von den asiatischen Elefanten (Elephas maximus) kennen) besitzen; während die schemenhafte Gestalt im Video eher dem flachen Profil eines afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana) ähnelt.
Was den “Experten für paranormale Phänomene” angeht – dies ist, was man ein Oxymoron nennt. (Bei Michael Cohen bin ich mir nach kurzes Sichtung seiner Webseite nicht mal sicher, ob er das ernst meint – hier findet Poe’s Law seine klassische Anwendung.) Aber wie gesagt, ich bin mir sicher, dass die BILD- beziehungsweise BILD-Online-Redaktion genau wusste, dass dies nicht ernst zu nehmen ist. Denn sie schreibt selbst: “Kritiker glauben jedoch: alles Humbug! Manche halten das Tier für einen entlaufenen Elefanten, andere für einen Bären, der einen Lachs frisst.” Wetten, dass die “Kritiker” alle in der Redaktionskonferenz saßen? Mein Tipp ist übrigens der Bär, denn ein echter Elefant wäre noch für ein viel längeres Video, selbst unter den gegebenen Aufnahmebedingungen, gut gewesen – aber die Illusion durch den lachsfressenden Bären musste nach wenigen Sekunden zwangsläufig zerstört werden.
Abbildung: Mammuthus trogontherii, von Dmitry Bogdanov (dmitrchel@mail.ru) [GFDL oder CC BY 3.0], via Wikimedia Commons
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