Studien, die den Erwartungen widersprechen, sollte man immer mit großer Vorsicht bewerten. Aber noch vorsichtiger sollte der Umgang mit Studien sein, die vor allem die eigenen Erwartungen bestätigen – weil die Versuchung, sie Beifall klatschend in Bausch und Bogen zu akzeptieren, einfach zu stark ist. Und darum habe ich mir vorgenommen, das Paper Politicization of Science in the Public Sphere: A Study of Public Trust in the United States 1974 to 2010 von Gordon Gauchat, das in der aktuellen Ausgabe der American Sociological Revue erscheinen wird, besonders skeptisch zu betrachten. Denn sie bestätigt ganz unumwunden, dass die Wissenschaftsfeindlichkeit unter Amerikas Konservativen in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen hat, was sich in der politisch forcierten Ablehnung von Umweltschutz generell und Klimaschutz im Besonderen ebenso niederschlägt wie im beständigen Bemühen, Kreationismus und/oder Intelligentes Design als eine gleichwertige Alternative zur Evolutionslehre zu etablieren.
Erst mal, quasi als Beleg der eben aufgestellten Behauptung, eine Grafik aus dem Paper, die den Anteil jener Befragten in der Langzeitstudie General Social Survey darstellt, die für sich – sortiert nach politischer Einstellung – eine positive Einstellung zur Wissenschaft reklamierten:
Und die Verschiebung, vor allem bei den Konservativen, ist deutlich: 1974 drückten 48 Prozent der Konservativen deutliches Vertrauen in die Wissenschaft aus – mehr als jede andere politische Grupperung. Doch über die Jahre fiel dieser Anteil dramatisch; 2010 lag er unter 40 Prozent; während die als “Liberal” identifizierte Gruppe (die am ehesten mit der Demokratischen Partei assoziiert werden kann) sich am deutlichsten zur Wissenschaft bekennt.
Na gut, könnte man sagen, vielleicht ist das Bildungsniveau der Konservativen einfach über die Jahre gefallen, was ja einen zunehmenden Skeptizismus gegenüber der Wissenschaft fördern würde – aber die Zahlen, die Gauchat ermittelt hat, sprechen eher für das Gegenteil: Es sind vor allem die gebildeten Konservativen, die das Vertrauen in die Wissenschaft verloren haben. Dies deckt sich mit den Beobachtungen vor allem aus den Bush-Jahren (Stichworte: Klimawandel, Umweltschutz, Stammzellenforschung). Und dieser Trend scheint sich unter dem Einfluss der Tea Party noch zu verstärken.
Gauchat bietet dafür auch plausible Erklärungen an. So habe sich beispielsweise die Stoßrichtung der Forschung im Laufe der Jahrzehnte deutich gewandelt: Während bis in die 70-er Jahre hinein Wissenschaft als ein Instrument des ungebremsten technologischen Fortschritts galt, was ihr die Anerkennung der Wirtschaft und der damit assoziierten Politiker einbrachte, bewirkte das erwachende Umweltbewusstsein in den 70-er Jahren eine allmähliche Trendumkehr: Statt mit dem Antrieb des Wachstums beschäftigte sie sich zusehends mit den Folgen des Wachstums; wissenschaftlicher Sachverstand wurde nicht mehr (nur) für technologische Neuerungen eingesetzt, sondern auch dafür, den Einsatz solcher Neuerungen – Stichwort: Kernkraft – zu verhindern. Das alleine würde schon eine Trendumkehr im rechten Lager erklären.
Doch hinzu kommt, dass sich der Konservatismus auch wieder stärker der Religiosität zuwandte. Während Barry Goldwater, der republikanische Spitzenkandidat in den 60-er Jahren und eine der prominenten Figuren im konservativen Comeback nach den Kennedy-Johnson-Jahren, noch eine klare Trennung von Religion und Politik forderte, setzten sich seit den Reagan-Jahren die religiösen Kräfte immer deutlicher durch und scheinen heute die Partei zu dominieren. Sicher, Religion ist nicht automatisch gleichbedeutend mit Wissenschaftsfeindlichkeit: selbst der Vatikan betreibt eine sehr angesehene Sternwarte, und katholische Universitäten sind nicht autmatisch nur auf Theologie und Geisteswissenschaften begrenzt, sondern können – wie beispielsweise die Loyola University in Chicago – ein volles naturwissenschaftliches “Sortiment” anbieten. Aber die spezielle, schriftgläubige Auslegung von Religion, die in den USA den Mainstream der Kirchen prägt, sieht sich selbst sehr häufig als ein Gegensatz zur Wissenschaft – besonders natürlich, wenn es um Evolution und Kosmologie geht.
Und dies kann, wie Gauchat meint, sogar ausdrücklich dazu führen, dass Wissenschaftsfeindlichkeit zu einem Kristallisationskern der Rechten wird:
“Over the last several decades, there’s been an effort among those who define themselves as conservatives to clearly identify what it means to be a conservative. For whatever reason, this appears to involve opposing science and universities and what is perceived as the ‘liberal culture.’ So, self-identified conservatives seem to lump these groups together and rally around the notion that what makes ‘us’ conservatives is that we don’t agree with ‘them.'”
In den vergangenen Jahrzehnten gab es ein Bestreben unter jenen, die sich selbst als Konservative bezeichnen, klar zu definieren, was es heißt, ein Konservativer zu sein. Aus welchem Grund auch immer scheint dies die Ablehnung von Wissenschaft und Universitäten und all das, was als ‘liberale Kultur’ gilt, einzuschließen. Folglich scharen sich selbsternannte Konservative in solchen Gruppen zusammen und stellen sich hinter die Idee, dass ‘wir’ Konservative dadurch sind, dass wir mit ‘ihnen’ nicht übereinstimmen. (Aus einerder American Sociological Association)
Alles plausibel. Und doch fürchte ich, dass das paper zu viele Schwachstellen hat, um den Beweis dieser an sich jederzeit empirisch belegbaren These (jedes beliebige Wahlkampfvideo der sich derzeit um die Kandidatur im US-Präsidentschaftsrennen bewerbenden Politiker zeigt diese anti-wissenschaftliche Haltung, selbst wenn sie nur aus Politkalkül vertreten wird) antreten zu können. Da sind zum einen die Daten selbst – eine selbsternannte Kategorisierung der Befragten. Aber ob ein Konservativer der 70-er Jahre mit einem Konservativen des Jahres 2012 einfach zu vergleichen ist (für Demokraten und Libertäre gilt ein Gleiches), muss angesichts der grundsätzlich veränderten Wirtschafts- und Weltpolitik – die gewissermaßen die Eckpfosten der politischen Gundeinstellung bilden – ernsthaft bezweifelt werden.
Dann sehe ich eine weitere Schwäche der Studie darin, dass sie zwar drei plausible Hypothesen anbietet, wie sich die gesellschaftliche Einstellung zur Wissenschaft entwickeln kann – davon aber zwei vorschnell von der Hand weist. Die drei Hypothesen sind:
– die cultural ascendency thesis, die sich am ehesten mit “kultureller Auftriebsthese” ersetzen ließe. Gemeint ist, dass durch den allgemeinen Nutzen des technischen Fortschritts und eine generella Ensicht in die Notwendigkeit von Forschung und Bildung das gesellschaftliche Ansehen der Wissenschaft generell steigt. Dieser These entgegen gesetzt wirkt die
– alienation thesis, also die Entfremdungsthese, genannt. Durch die zunehmende Spezialisierung der Wissenschaft wird sie für die breite Bevölkerung immer weniger verständlich, was sie zwingt, sich der Autorität von Wissenschaft zu fügen. Gepaart mit einer wachsenden Neigung, Autoritäten zu misstrauen, führt dies zu einer Senkung des Vertrauens in die Wissenschaft. Da in den von Gauchat ausgewerteten Daten kein gesamtgesellschaftlicher Rückgang des Vertrauens in die Wissenschaft feststellbar war, lehnte er beide Thesen ab. Was blieb ist die
– politicization thesis, also die These, dass Wissenschaft zunehmen politisiert wird und sich daher in einzelnen politischen Gruppierungen eine Veränderung des Vertrauens erkennbar abzeichnet. Und Bingo! Genau jene These konnte Gauchat bestätigen.
Der Haken liegt meiner Ansicht nach jedoch darin, dass er a) bei seiner groben Betrachtung der Daten und der relativen Unveränderlichkeit über die Jahrzehnte hinweg die Möglichkeit übersehen hat, dass sowohl die Auftriebs- als auch die Entfremdungsmechanismen gleichzeitig wirken können – aber dass sich ihre Effekte in seiner Betrachtung lediglich neutralisierten. Was b) vor allem daran liegen kann, dass der Begriff “Wissenschaft” nicht hinreichend klar definiert ist. Im General Social Survey wurde die Frage nämlich so formuliert:
I am going to name some institutions in this country. As far as the people running these institutions are concerned, would you say you have a great deal of confidence, only some confidence, or hardly any confidence at all in them [the Scientific Community]?
Ich werde einige Institutionen in diesem Land nennen. Soweit es die Personen betrifft, die diese Institutionen leiten, würden Sie sagen dass sie ein sehr großes Vertrauen, nur ein bisschen Vertrauen, oder kaum Vertrauen in sie (die wissenschaftliche Community) haben?
Mit anderen Worten: Es wurde nicht nach der Wissenschaft an sich gefragt, sondern nach Wissenschaftlern, von denen die Befragten gehört hatten . Also nach Persönlichkeiten, die Teil einer öffentlichen Diskussion sind/waren – wobei letzteres nahezu automatisch einer politischen Diskussion nahe oder gleich kommt. Und wenn ich nur nach politisierter Wissenschaft frage, werde ich auch nur poltisierte Wissenschaft zur Antwort bekommen.
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