Witze sind, soweit es die Sprach- und Sozialforschung betrifft, eine ziemlich ernste Sache: Sie tragen maßgeblich zur Bindung innerhalb der In-Group bei (Stichwort In-Joke, also der Witz, den nur die Mitglieder der Gruppe verstehen), und sie transportieren, rein sprachwissenschaftlich gesehen, eine konsistent formulierte Nachricht stabil über viele Generationen hinweg – im Gegensatz zu Anekdoten und anderen oral tradierten Erzählungen erfordert die Bildung der Pointe (ohne die der “Witz” nicht existieren kann) eine stringente Beachtung des Erzählablaufs. Das kann jeder wohl am eigenen Beispiel nachvollziehen – wer hätte nicht schon einmal einen Witz durch langatmiges oder falsches Erzählen “gekillt”? Und dass Witze ein Element der oralen Tradition sind, dürfte auch leicht nachvollziehbar sein: Die meisten Witze, selbst die im Repertoire professioneller Humoristen, sind Weitererzählungen.
Hinzu kommt, dass Humor generell und Sprachwitz im Besonderen zwar eine unversale menschliche Eigenschaft ist – aber es gibt auch ganz eindeutige Kulturgrenzen. Und damit ist nicht in erster Linie der – zum Beispiel von Briten gerne gegenüber Deutschen erhobene – Vorwurf der kulturellen Humorlosigkeit gemeint, sondern die Tatsache, dass es in jeder Sprache, jeder Kultur das Phänomen der unübersetzbaren Witze gibt – also quasi nationale oder kulturelle “in-jokes”, die nicht über die Sprach- oder Kulturgrenzen hinweg transportiert werden können.
Marker in der “DNA” der Sprache
Dies könnte, wie eine Gruppe von Linguisten und Anthropologen des kanadischen Collège de Germinal in Poissons (Quebec) nun herausgefunden hat, auf eine Kladistik des Humors hinweisen: Witze, die in zwei oder mehreren verwandten Kulturen verstanden werden, sind mit großer Wahrscheinlichkeit älter und entstanden vor der kulturellen Differenzierung, als jene, die nur in einer einzelnen Kultur funktionieren und daher keine Gemeinsamkeit mit Nachbarkulturen erkennen lassen. Und so, wie gemeinsame genetische Merkmale auf einen gemeinsamen Vorfahren hindeuten können, so können auch gemeinsame Witze auf eine gemeinsame Ur-Kultur hinweisen, in deren sprachlicher DNA sie gewissermaßen die Marker sind.
Der Ansatz der Kanadier war im Prinzip einfach, aber in der Umsetzung komplex: Gibt es im globalen Anekdotenschatz eine Untergruppe von Witzen, die in allen Kulturen gleichermaßen funktionieren? Oder jedenfalls nach dem gleichen Grundmuster – Elemente wie beispielsweise soziale Titel (Träger der Macht beispielsweise können Könige, Priester oder auch Vorstandsvorsiztende sein, ohne dem Witz die Pointe zu nehmen), oder Transportmittel (was mit der Kutsche funktionierte, kann auch mt dem Auto noch witzig sein) oder Jagdwaffen (Pfeil und Bogen oder Jagdgewehr) sind durchaus im Rahmen ihres regionalen und historischen Kontexts modifizierbar.
“Vor einigen Jahren wäre diese Aufgabe noch unlösbar gewesen”, gibt Allison Prill, Anthropologin und eine der federführenden Autorinnen der Studie zu. “Aber durch Google Books und Übersetzungsprogramme wie Babelfish ist es inzwischen relativ einfach – die Betonung liegt hier auf relativ – geworden, die Literatur und vor allem auch die Tagespresse, in der Witze zum regelmäßigen Leseangebot zählen, mit einem Algorithmus zu analysieren.” Da sie stets den gleichen Zweck verfolgen – sie gehen in möglichst kurzen Sätzen auf eine Pointe zu, um es mal ganz global zu formulieren – haben Witze, unabhängig von der Sprache, eine einheitliche Grundstruktur. Diese aus der Masse des schriftlich Publizierten herauszufiltern, ist dann vor allem eine Frage der Rechenkapazität. Das kanadische Team hat seit 2007 an diesem Projekt gearbeitet.
Die ältesten Themen: Sex und Jagd
Eine der Prämissen, mit denen die Forscher arbeiteten, war die Einschränkung des Materials auf die Themen Sex und Jagd. “Witze spielen immer mit dem, was die Menschen beschäftigt”, erklären die Forscher diese Einschränkung. “Jagd und Sex gehören zu den ältesten uns bekanntesten Beschäftigungen, und sie sind bis heute sehr populäre Themen von Witzen.” Für die Publikation in den
beschränkten sie sich dann gänzlich auf das Thema Jägerwitz, da “eine Veröffentlichung in Fachjournalen die Thematik ‘Sex’ eher ungeeignet erscheinen ließ.”
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