Aber der Pfosten lässt sich auch noch anders verruckeln: Sicher, richtige Arbeit verdient einen richtigen Lohn. Aber vielleicht sind diese “Produkte” ja gar nicht das Ergebnis von “richtiger” Arbeit? Schließlich gibt es auch Leute, die so was als Hobby machen. Der Barista, der mir morgens den Doppio zapft, spielt abends Theater, und der Taxifahrer schreibt in seiner Freizeit an seinem ersten Roman. Und wenn die das können, ohne davon leben zu müssen, dann kann’s doch keine “Arbeit” sein, oder?
Nun, das kommt darauf an, wie man “Arbeit” und wie man “Leben” definiert: Ich kenne fast nur Künstler dieser Art, und abgesehen von Zweien oder Dreien kann keiner von dieser Kunst leben; fast alle – und hier kann ich mich als freiberuflichen Journalisten sogar sogar selbst mit einschließen – müssen ihre kreative Neigung damit subventionieren, dass sie einen “money job” als Babysitter, Taxifahrer, Übersetzer oder (wenn sie Glück hatten) als Hochschullehrer ausüben. Und den/die eine/n oder andere/n meiner Feunde habt Ihr mit großer Wahrscheinlichkeit sogar schon im Theater, im Fernsehen oder im Kino gesehen, als Studiomusiker auf CDs gehört oder ihre Bilder und/oder Skulpturen in Galerien und Museen gesehen. Ja, Ihr. Ja, auch in Deutschland. Und ja, sie erwarten, dass sie für ihre Kunst bezahlt werden. Und nein, davon können sie trotzdem nicht leben. Aber wenn ihr sie fragt, werden sie Euch sehr deutlich erklären, dass sie nicht etwa Taxifahrer oder Hochschullehrer sind, die nebenbei in ihrer Freizeit kreativ arbeiten – sie sind Schauspieler, sind Musiker, sind bildende Künstler, die aus materiellen Gründen gezwungen sind, ihre Arbeitskraft anderweitig zu verdingen.
Gerade weil sie dies tun und uns an ihrem kreativen Schaffen teilhaben lassen, obwohl sie allein davon nicht leben können, sollten wir ihnen zumindest das zahlen, was ihnen dafür zusteht. Mehr verlangen die nämlich auch nicht. Und ganz nebenbei: Dieses Argument “wenn Ihr gut genug wärt, dann könntet Ihr auch davon leben” wird ja gerne von den sich stolz brüstenden, weil doch die “wahre” Kunst bestärkenden Gegnern von Kunstsubventionen bemüht. Was sie dabei gerne übersehen: Auch die Kunst, die sie genießen, ist eigentlich immer subventioniert – wenn nicht vom Staat oder privaten Fördereinrichtungen, dann von den Künstlern und ihren Feunden und Verwandten, die sie unterstützen.
Das Hobby-vs.-Beruf-Argument lässt sich vielleicht auch so ad absurdum führen: Es gibt Leute, die in ihrer Freizeit Autos bauen. Und nicht mal schlechte. Daraus abzuleiten, dass “professionell” hergestellte Autos kein geldwertes Produkt sind, wäre absurd. Aber genauso absurd ist es zu sagen, dass kreative Arbeit keine Arbeit ist.
OK, wir sind uns also erst mal einig (sage ich jetzt einfach so), dass allein die erbrachte Leistung über den Wert entscheidet – und nicht etwa die Frage, ob der Leistungserbringer davon ausschließlich lebt oder nicht. Was übrigens auch in jedem anderen Wirtschaftsbereich gilt: Die Tatsache, dass die Aldi-Familie zu den reichsten Menschen der Welt gehört, also die paar Euros, die ich in einem ihrer Läden ausgeben könnte, gar nicht mehr braucht, legitimiert mich ja auch nicht zum Ladendiebstahl. Und nur weil mein Vermieter nicht hauptberuflich als Immobilienunternehmer tätig ist, heißt das nicht, dass ich ihm die Miete schuldig bleiben kann.
Okay, habe ich den Torpfosten, dass “Etwas” eben sehr wohl etwas von Wert ist, festklopfen können? Gut, dann schau’n mer mal, was inzwischen mit dem anderen Pfosten passiert ist: Ah, stimmt, da ist plötzlich die Rede davon, dass man für dieses – nun als Ware von Wert zwar anerkannte – Etwas bezahlen müsse, obwohl man es gar nicht haben wolle. Das ist natürlich was ganz anderes. Aber wer verlangt das eigentlich? Ich nicht. Auch nicht die Leute, die ich kenne. Ihr wollt die Musik meines Freundes Dan Kaufman und seiner Band Barbez nicht hören? Gerne, das könnt Ihr ganz kostenlos. Oder die Gedichte und Stücke meiner Freundin Fiona Templeton nicht lesen? Auch das kostet Euch keinen Pfennig. Wer den FOCUS oder den STERN nicht lesen, will, muss dafür keinen einzigen Euro aufwenden. Falls jemand die neuen Bücher von Florian Freistetter nicht lesen will, wird dieser ganz sicher so großzügig sein, dafür kein Geld zu verlangen.
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