Heute vor 100 Jahren sank die “Titanic” im eisigen Wasser des Nordatlantik. Und über kein anderes Schiffsunglück wurde vermutlich mehr und unermüdlicher berichtet als über diese Katastrophe, die auch als Symbol menschlicher Hybris gilt – als ob die White-Star-Reederei mit ihrem scheinbar unsinkbaren Schiff und ihrem (angeblichen, aber nie bestätigten) Ehrgeiz, auf der Jungfernfahrt das Blaue Band zu erringen, das Schicksal herausgefordert hätte.
Ich vermute mal, dass schon in den vergangenen Tagen auf allen Kanälen (im wörtlichen wie im übertragenen Sinn) über das Titanic-Jubiläum berichtet wurde, und viel Neues kann ich dem natürlich nicht hinzu fügen. Aber ich wollte doch zumindest ein paar Gedanken und Beobachtungen zu dem Thema hier aufschreiben.
So fand ich zum Beispiel die Erklärung ganz interessant, dass es eben nicht die Arroganz und Ignoranz der Schiffsbetreiber und -Besatzung war, die das Schicksal des Luxusdampfers besiegelten, sondern das Wetter, und zu einem gewissen Maß sogar der Mond. Die Wetter-These vertritt der Titanic-Historiker Tim Maltin in seinem Buch A Very Deceiving Night, und sie hat’s sogar ins Smithsonian Magazine geschafft (welches natürlich keine peer-reviewte Publikation ist). Aber in Ermangelung anderer Verschwörungstheorien (erstaunlich, dass die sich noch nicht dick um das in 3784 Metern liegende Wrack gewunden haben) muss man sich halt mit dem Wetter auseinandersetzen. Die Idee ist aber gar nicht unplausibel: Das Unglück geschah etwa in der Zone, wo die warmen Wasser des Golfstroms an den kalten Labradorstrom stoßen. Die dabei aufeinander stoßenden Luftmassen hätten eine Luftspiegelung – einen falschen Horizont, der den Eisberg verdeckte – bewirken können. Die Darstellung des Smithsonian sieht jedenfalls ganz glaubhaft aus, und angeblich sollen andere Schiffe in der Umgebung sogar Meldungen über Luftspiegelungen gemacht haben.
Hinzu kommt, dass der Mond in dem vorausgegangenen Winter der Erde besonders nahe gewesen sein soll. Der “forensische Astronom” Donald Olson von der Texas State University kam zu dem Ergebnis, dass der Mond am 4. Januar sein erdnächstes ApoPerigäum in 1400 Jahren hatte; die daraus resultierenden besonders starken Gezeitenkräfte hätten überdurchschnittlich viele Eisberge aus dem Arktis-Eis losbrechen können und daher verstärkt in der Schiffahrtslinie auftauchen können. Sowohl die Wetter- als auch die Mondthese könnten zumindest den Vorwurf entkräften, der Kapitän Edward Smith habe die Titanic praktisch mutwillig auf den Eisberg gesetzt.
Ein anderer Mythos, der bis heute nicht eindeutig geklärt ist, dreht sich im die Schiffskapelle: Die Musiker um Wallace Hartley sollen auf dem sinkenden Schiff bis zum eisigen Ende gespielt haben. Dass keiner der Titanic-Musiker überlebt hat, ist sicher. Ob die Musiker aber wirklich bis zum Ende gespielt haben, und vor allem was sie gespielt haben, wird eher eine Glaubensfrage bleiben müssen. Denn erstens ist es, wenn man sich den von National Geographic und dem Filmregisseur James Cameron (ja, der) rekonstruierten Ablauf des Untergangs anschaut, dann dürfte es in den letzten Minuten vor dem endgültigen Abtauchen des Wracks ziemlich schwer gewesen sein, irgend etwas Kontrolliertes zu tun.
Aber wie dem auch sei, zwei glaubhafte Ohrenzeugen – der Funkoffizier Harold Bride und einer der überlebenden Passagiere, Archibald Gracie – haben die Band bis zum Untergang (oder jedenfalls kurz zuvor) spielen gehört. Was es war, darüber besteht jedoch keine Einigkeit. Die bevorzugte Variante ist, dass der tief religiöse Hartley seine Musiker die christliche Hymne Näher mein Gott zu Dir spielen ließ; dies soll er angeblich gegenüber Freunden als das Wunschlied identifiziert haben, das er in solch einem Fall spielen würde. Doch laut Wikipedia (eine bessere Quelle habe ich momentan nicht verfügbar) hatte Gracie zwar Musik gehört, war sich aber sicher, dass es nicht diese Bestattungshymne war:
I assuredly should have noticed it and regarded it as a tactless warning of immediate death to us all and one likely to create panic.
Ich hätte das ganz bestimmt bemerkt und als eine taktlose Warnung vor einem unmittelbar bevrstehenden Tod für uns alle angesehen und als etwas, das sehr wahrscheinlich eine Panik verursacht hätte.
schriebt er in seinen Erinnerungen an diesen Tag, die allerdings erst viele Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurden (Gracie selbst starb acht Monate nach dem Unglück).
Aber sicher ist, dass die Titanic wohl das erste große Schiffsunglück war, bei dem die Rettungsboote nach dem Motto “Frauen und Kinder zuerst” belegt wurden. Diese auch als Birkenhead-Regel bekannte Idee war erstmals 60 Jahre vor dem Titanic-Unglück beim Untergang des britischen Truppentransporters Birkenhead im Jahr 1852 formuliert worden; an Bord dieses Transporters waren auch 25 Frauen und 31 Kinder, neben etwa 480 Soldaten und 130 Mann Schiffsbesatzung – alle Frauen und Kinder überlebten, doch die meisten Männer kamen ums Leben. Auch auf der Titanic waren die Überlebenschancen der Frauen und Kinder höher – aber dass dies eher daran lag, dass genug Zeit für die Evakuierung war, habe ich hier schon mal beschrieben. Darüber, ob diese Regel in dieser Form sinnvoll war und eventuell heute noch ist, kann man allerdings diskutieren – wenn man das Wohl der Frauen und Kinder im Sinn hatte, dann wäre es sinnvoller gewesen, ganze Familien in die Boote zu lassen, denn im Jahr 1912 war es um Witwen und Waisen nicht besonders gut bestellt.
Bei Evakuierungen von Flugzeugen würde diese Birkenhead-Regel übrigens extrem kontraproduktiv wirken, selbst wenn sie noch so edel und ritterlich klingt: Eine schnelle Evakuierung ist in jedem Fall sinnvoller als eine, wo erst mal vorsortiert wird, was zwingend den Prozess verzögern müsste.
Abbildungen:
Der Untergang der Titanic, von Willi Stöwer, via Wikimedia Commons
Foto des (vermutlichen) Eisbergs, der mit der Titanic kollidiert war; von Stephan Rehorek (gest. 1935), via Wikimedia Commons
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