“Geschlechtergerechte Sprache ist ja immer ein Aufregerthema”, hatte Martin Bäker als einleitenden Satz zu seinem Beitrag Gibt es ein “generisches Maskulinum”? geschrieben – und ich gebe zu, ich finde das Thema meistens einen Aufreger. Aufregend genug, dass ich trotz eines verbeulten linken Arms (Ellbogen -> Betonplatte -> Knacks -> Aua!) doch mal, wie hier schon angedroht, in die Tasten greifen muss. Aber die Aufregung besteht meinerseits nicht darin, dass ich das das generische Maskulinum hier verteidigen will – im Gegenteil: Ich halte es für absolut (also ohne Ansehen irgendwelcher Ziele und Zwecke) vermeidenswert; jede Formulierung, die dieses “generische Maskulinum” überflüssig macht, ist zu begrüßen.
Was micht aufregt, sind vielmehr die Studien, die dazu angestellt werden. Ich beziehe mich jetzt mal nur auf das Paper, das auch Martins Beitrag zu Grunde liegt: Generically intended, but specifically interpreted: Why beauticians, musicians and mechanics are al men. Die Idee, mal zu untersuchen, ob sich die generische von der spezifischen Bedeutung des grammatischen Maskulinums trennen lässt, ist extrem spannend. Denn irgendwie sind beide Interpretationen in einer Art “Superposition” in diesem Maskulinum enthalten: Erst durch genaues Nachschauen kann ich feststellen, welches im konkreten Fall anwendbar ist, und durch den Akt des Nachschauens löst sich diese Superposition – in der grammatischen Idealwelt – in eine eindeutige Anwendungsform auf. Etwa so wie bei der (nur als Metapher zu verstehenden) hypothetischen Katze Ernst Schrödingers, die in ihrer speziellen Situation gleichzeitig sowohl tot als auch lebendig sein – und dadurch, dass die Kiste geöffnet und nachgeschaut wird, kollabiert diese “Superposition” zu einem spezifischen Zustand, entweder tot oder lebendig.
Das generische Maskulinum nimmt übrigens gleich mehrere solcher Superpositionen ein: Es kann eine “entweder-oder”-Bedeutung haben (wir wissen nicht, ob es sich bei der/den bezeichneten Person/en um einen oder mehrere Frau/en oder Mann/Männer handelt) als auch Ein “Sowohl-als-auch” ausdrücken: Die beschriebene Gruppe besteht aus Frauen und Männern. Ist an sich schon trickreich, da diese Verknüpfungen, wie ich noch vage aus dem Mathematikunterricht (Boolesche Algebra) in Erinnerung habe, als Gegensätzlich verstanden werden: Konjunktion (und) beziehungsweise Disjunktion (oder)*.
*Letzteres übrigens in der Form der ausschließenden Disjunktion: Das generische Maskulinum soll ja nicht dazu dienen, den biologischen Spezialfall des Zwitters oder andere Genderdefinitionen zu umschreiben, sondern ein grammatisches Problem lösen, bei nicht eindeutig bekanntem natürlichem Geschlecht dennoch ein eindeutiges grammatisches Geschlecht zuzuordnen.
Aber das generische Maskulinum muss gleichzeitig auch das spezifische Maskulinum sein können – beide Formen werden exakt gleich gebildet (im Gegensatz etwa zur Anredeform und der 3. Person Plural: Beide werden sehr ähnlich gebildet, doch die höfliche Anredeform “Sie” wird korrekter Weise groß geschrieben – die 3. Person Plural hingegen “sie” und somit klein geschrieben). Auch dies ist eine “Superposition” – es kann bei genauerem Hinschauen nicht beides zugleich sein.
Das Problem bei der Forschung ist nun, dass sie einen Weg finden muss, diese “Superpositionen” zu erlauben und gleichzeitig das Ergebnis “festnageln” zu können. Vielleicht wird das Dilemma klarer, wenn ich das Beispiel, das auch Martin aus der zitierten Arbeit ausgewählt hatte, mal entsprechend präsentiere:
Satz 1: “Die Sozialarbeiter gingen durch den Bahnhof.” (The social workers were walking through the station.)
Satz 2: “Weil schönes Wetter angekündigt war, trugen einige der Frauen keine Mäntel.” (Since sunny weather was forecast several of the women weren’t wearing a coat.)
Satz 1 kann als solcher erst mal spezifisch sein, also die Sozialarbeiter sowohl im grammatischen als auch natürlichen Geschlecht männlich sein (= keine Frauen dabei). Oder er kann generisch gemeint sein, also ein Teil der Sozialarbeiter ist männlich, ein Teil weiblich (das generische Maskulinum als “sowohl-als auch”). Oder er kann generisch im Sinn von “entweder-oder” gemeint sein: Wir wissen nicht, wie sich die Gruppe zusammensetzt – es können alles Frauen sein, alles Männer, oder ein Teil Männer. Wir wissen es nicht.
Okay, nun schauen wir uns Satz 2 an: Der verrät uns die Gegenwart von Frauen, und wenn man mal von der Möglichkeit absieht, dass die Subjekte der beiden Sätze nichts miteinander zu tun haben (wobei sich der zweite Satz dann auf die mit großer Wahrscheinlichkeit auf einem bevölkerten Bahnhof anzutreffenden Frauen bezöge, völlig unabhängig von der sozial arbeitenden Gruppe), kann das Maskulinum des ersten Satz schon mal definitv nicht spezifisch sein. Der Haken ist nur, dass die Formulierung des zweiten Satz auch die generische Deutung ausschließt – weil er verrät, dass wir die Zusammensetzung der Gruppe kennen. Die Konstruktion “einige der Frauen” setzt, logisch gesehen, die “Frauen” des 2. Satzes mit den “Sozialarbeitern” des 1. Satzes gleich. (Vielleicht wird dies an einem anderen Beispiel klarer: “Die Mannschaft des FC Knickfuß betritt das Spielfeld. Einige der Spieler tragen noch sichtbar die Verletzungen vn ihrem letzten Match” – jedem ist klar, dass mit “Spieler” die “Mannschaft des FC Knickfuß” gemeint ist.) Wenn aber die Sozialarbeiter alle Frauen sind, und wir – wie wir im 2. Satz verraten haben – das auch wissen, dann ist ein generisches Maskulinum nicht angebracht: “Sozialarbeiterinnen” wäre dann die grammatisch korrekte Form.
Mit anderen Worten: Mit dieser Zweisatz-Konstruktion lässt sich das generische Maskulinum gar nicht untersuchen, weil sie streng genommen gar kein generisches Maskulinum enthält (= weil die Bedingungen für die Anwendung der generischen Form nicht erfüllt). Dass dennoch Resultate erzielt wurden, die in der erwarteten Größenordnung liegen, wäre vielleicht eher der Verwirrung der Testpersonen zuzuschreiben.
Aber Moment mal: Haben die ForscherInnen um Pascal Gygax diese Interpretation nicht ausdrücklich ausgeschlossen? Klar, was mein Sprachgefühl mir sagt (es sagt mir, dass meine obige Darstellung korrekt ist), hat rein wissenschaftlich gesehen nur anekdotischen Wert. Und so schlau sind die ForscherInnen natürlich auch, also haben sie in einer separaten Pilot-Testreihe untersucht, ob ihre Testpersonen anhand dieser Satzpaare – das oben zitierte Beispiel ist nur eines von insgesamt 36, die jeweils in deutscher, englischer und französische Sprache getestet wurden – akzeptieren könnten, dass die erste Gruppe sowohl aus Männern als auch Frauen besteht. Und in der Tat fanden 89,9 Prozent, dass das generische Maskulinum des ersten Satzes auch in Hinblick auf das, was der zweite Satz verrät, sowohl männliche als auch weibliche Gruppenelemente enthalten könne:
The results of the pilot revealed a low rate of deviations from the intended perception of the group as being gender-mixed.
Also was jetzt? Wenn neun von zehn Testpersonen finden, dass eine generisch maskulin markierte Gruppe aus Elementen beider Geschlechter bestehen kann, dann ist doch die generische Natur dieses Maskulinums mit großer Gewissheit erst mal bestätigt, oder? Wenn aber der Nachweis der Unwirksamkeit des generischen Maskulinums vom Nachweis seiner Wirksamkeit abhängt (nur wenn die Resultate der Pilotstudie gültig sind, sind auch die Resultate der Hauptstudie abgesichert), dann habe ich … ein Paradox. Dann habe ich wieder die Katze, die gleichzeitig lebt und tot ist.
Aber ignorieren wir mal dieses Paradox und nehmen die Zahlen, die diese Studie ermittelt hat, einfach mal als gültig an (ich betrachte jetzt mal nur die deutschen Werte). Die erste Folgerung der Forscher hier war, dass die stereotypische Geschlechterzuordnung der Gruppe aus Satz 1 (Piloten, Golfspieler und Chirurgen beispielsweise werden überwiegend als männliche Domänen betrachtet, während Krankenpfleger oder Kosmetiker primär als weibliche Berufsbilder gelten) bei ihren Resultaten keine große Rolle für deutschsprachige ProbandInnen spielte, sondern die grammatische Vorgabe entscheidend war. Als Gegenbeispiel wurde dazu die englisch sprechende Gruppe genannt, in der die Akzeptanz des zweiten Satzes als logische Fortsetzung des ersten in hohem Maße (85 bzw 88 %) davon abhing, dass die Gruppenbezeichnung (Männer bzw. Frauen) des zweiten Satzes mit dem Stereotyp der Gruppenbezeichnung (Sozialarbeiter, Anwälte, Spione etc.) des ersten Satzes übereinstimmt. Bei den deutschen Probanden hingegen hatten 69 Prozent bei männlichem Stereotyp und “Männern” im Fortsetzungssatz zugestimmt, 65 Prozent bei weiblichem Stereotyp und “Männern”, 40 Prozent bei weiblichem Stereotyp und “Frauen”, sowie 35 Prozent bei weiblichem Stereotyp und “Männern”.
Vielleicht bin ich naiv, aber ich finde diese Resultate genau so, wie man sie erwarten sollte: Erstens könnte man argumentieren, dass sich die Deutschen nicht primär von Stereotypen leiten lassen. Oder, um aus dem Paper zu zitieren:
… when no mark of gender is provided by role names or their accompanying definite articles, the representation of gender is based on stereotypicality.
Was ja nichts anderes heißt als: In der angeblich so “geschlechtsneutralen” Sprache Englisch spielt das Geschlechtsstereotyp eines Berufes die enscheidende Rolle. Dann sind Machaniker und Golfspieler immer Männer, und Krankenpfleger oder Geburtshelfer immer Frauen – und entsprechend groß ist die Überraschung, wenn dann doch eine Frau (im Profi-Golfturnier, beispielsweise) oder ein Mann als Krankenpfleger auftaucht. Genau das Gegenteil, was eine angeblich geschlechtsneutrale Sprache in den Köpfen bewirken soll.
Und zweitens finde ich, dass die – grob betrachtet – Zweidrittel-Eindrittel-Verteilung der Antworten genau den zu erwartenden Wahrscheinlichkeiten entspricht. Darf ich mal vorrechnen? Das Maskulinum hat in der deutschen Grammatik zwei Funktionen – es kann spezifisch sein und es kann generisch sein; das Femininum ist auschließlich spezifisch – es gibt kein generisches Femininum. Es gibt drei grammatische Möglichkeiten, das Geschlecht* einer Person zu beschreiben: Männlich, weiblich und unbestimmt/unbekannt = generisch. Das Substantiv in seiner weiblichen Form deckt nur eine dieser drei Möglichkeiten ab, das Maskulinum hingegen zwei.
Wenn also das generische Maskulinum nicht funktioniert – oder, wie Anatol Stefanowitsch in einem Blogeintrag zu diesem Thema resümierte, nicht existiert – dann müsste ein Satz wie “Die Sozialarbeiter gehen durch den Bahnhof” zwingend bedeuten, dass diese Gruppe männlich ist. In diesem Fall könnte dann ein Folgesatz “Die Frauen trugen keine Mäntel” nicht als logische Fortsetzung angesehen werden. Dann ist aber ein Zustimmungswert von über 60 Prozent dazu, dass dies doch eine logische Fortsetzung wäre, nicht erklärbar – der müsste dann eher bei Null Prozent liegen. (Dies schreiben übrigens auch Gygax et al. in ihrem Paper – aber sie bewegen sich dabei wieder in der oben beschriebenen Paradoxschleife.)
Eine ganz andere Frage ist zudem, ob die Annahme berechtigt ist, dass dieses generische Maskulinum zu einer Wahrnehmungsverschiebung führt, die Frauen automatisch benachteiligt. Dass Sprache unser Denken beeinflusst, wird ja seit der Sapir-Whorf-These immer wieder und immer heftig diskutiert. Generell halte ich das auch für glaubhaft: Wenn Arbeitskollegen, die in einem anderen Land als Deutschland geboren wurden, als “Gastarbeiter” bezeichnet werden, dann schließt das die – integrationshindernde – Erwartung mit ein, dass dieser “Gast” auch wieder abreisen werde. Wer Ausländer als “Kanaken” bezeichnet, wird sie kaum als gleichberechtigte Mitbürger akzeptieren. Und wenn immer nur von Feuerwehrmännern die Rede ist, werden sich wenige Frauen vorstellen können und wollen, dies als Berufsbild anzustreben.
Aber sind Frauen in Gesellschaften, deren Sprache – wie beispielsweise das Englische – keine grammatische Markierung von Substantiven kennt (die also zumindest in dieser Hinsicht “geschlechtsneutral” sind), wirklich besser gestellt als in Gesellschaften, die – wie im Deutschen – neben casus und numerus auch noch genus in ihrer korrekten Grammatik beachten müssen? Ich habe einfach mal ein paar Zahlen herausgesucht:
In Deutschland sind knapp 33 Prozent aller Bundestagsabgeordneten weiblich – in den USA hingegen sind nur jeweils 17 Prozent der Sentoren und Kongressabgeordneten weiblich. In Großbritannien ist die Situation zwar ein wenig besser als in Amerika, aber auch dort werden nur 22,3 Prozent der Unterhaussitze von Frauen eingenommen. (Quelle) Die US-Streitkräfte erlauben zwar schon seit vielen Jahrzehnten den Dienst von Frauen in Uniform, und immerhin 14,4 Prozent der US-Militärangehörigen sind weiblich. In der deutschen Bundeswehr dürfen Frauen zwar schon seit Mitte der 70-er Jahre in bestimmten Funktionen (Gesundheitswesen und Musik) dienen, aber in vollem Umfang werden sie erst seit 2001 akzeptiert – und immerhin schon 8 Prozent der Bundeswehrsoldaten sind weiblich; im sprachlich “geschlechtsneutralen” Großbritannien liegt die Soldatinnenquote mit 9,1 Prozent nur knapp über der deutschen.
Dies ist natürlich nur ein grober Vergleich. Aber die Ergebnisse überraschen mich nicht: Die Annahme, das Englische sei aufgrund seiner fehlenden Markierung eines grammatischen Geschlechts irgendwie neutraler und daher einer Gleichstellung von Mann und Frau förderlicher, ist – leider – absurd. Dies weiss ich nicht nur aus meinem englischsprachigen Alltag, oder aus solchen “Besonderheiten” wie beispielsweise den Gentleman’s-Clubs wie etwa dem New Yorker Yale Club, der bis Ende der 60-er Jahre keine Frauen als Mitglieder duldete und selbst die Gattinnen der Mitglieder nur durch einen Nebeneingang eintreten ließ. Über den Mangel an weiblichem Nachwuchs in Wissenschaft und Technik habe ich hier ja schon mehrfach geschrieben. Und die Tatsache, dass Ehepaare hier ganz offiziell allein mit dem Namen des Mannes – “Mr. & Mrs. Jack Smith”, beispielsweise – angeschrieben werden, die Frau also nicht einmal eine eigene Namenspräsenz zugestanden bekommt, finde ich jedesmal entsetzlich, wenn ich so etwas lesen muss (und das ist ziemlich häufig). Ausserdem ist es ein Irrtum zu glauben, dass das Englische eine “geschlechtsneutrale Sprache”: Selbstverständlich wird Geschlecht im Englischen markiert, aber eben nicht als grammatische Varation der Substantive, sondern über die Personalpronomen “he” und “she”, die dann die “Superposition” eines generischen Begriffes wieder geschlechtsspezifisch kollabieren lassen – oder, wie die Gygax-Studie belegt, über die Macht der Stereotype. Und warum ausgerechnet das erstrebenswerter sein soll, ist mir immer noch nicht klar.
Nein, ich glaube nicht, dass die Abschaffung des generischen Maskulinums irgend einen nennenswerten Beitrag zur Gleichstellung der Frau leisten wird – allein schon deshalb nicht, weil es den Einfluss der stereotpischen Geschlechterrrollen noch zu verstärken scheint. Aber ich bin dennoch, wie ich eingangs schon erklärt hatte, absolut dafür, es so weit wie nur irgend möglich zu vermeiden. Weil es meistens unnötig ist. Und weil das bisschen Mühe, das mit der Vermeidung dieses Generikums verbunden ist, auch ein Zeichen des Respekts ist – für Frauen, die dann nicht mehr nur als “unter ferner liefen” unter die männliche Form subsumiert werden (“Liebe Kollegen”, auch wenn’s massenhaft Kolleginnen gibt), und für die LeserInnen und/oder ZuhörerInnen, die sich dann ein bisschen weniger die Köpfe zerbrechen müssen darüber, was oder wen ich nun genau gemeint habe könnte. Weil, kurz gesagt, Klarheit eine wichtige Eigenschaft guter Sprache ist, die meiner Ansicht nach sogar höher einzuschätzen ist als grammatische oder ortografische Korrektheit. Und weil ich nun schon seit Stunden an diesem Text gefummelt habe, es inzwischen zwei Uhr morgens ist, in viereinhalb Stunden mein Wecker klingelt und mein verbeulter Arm nun wirklich nicht mehr weitermachen will, überlasse ich hier darum Anatol Stefanowitsch das letzte Wort, dem ich sowieso nichts mehr hinzuzufügen hätte:
Es ist auch umständlich und überflüssig, die Flagge eines Staatsgastes vor dem Reichstagsgebäude zu hissen, Menschen nett zu begrüßen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen oder mit Messer und Gabel zu essen. Trotzdem gelten diese Gesten als Zeichen von Respekt, Interesse und gutem Benehmen. Genauso könnte es umständlich und überflüssig sein, statt eines „generischen Maskulinums” eine der anderen Alternativen zu verwenden — ein Zeichen für das Ziel einer allgemeinen Gleichberechtigung wäre es trotzdem.
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