Wieder mal eine leicht verspätete Reaktion meinerseits auf ein aktuelles Ereignis – diesmal auf das Blutbad, das ein durchgeknallter (kein Wortspiel beabsichtigt!) junger Mann am vergangenen Freitag in einem Kino in Aurora (Colorado) angerichtet hatte. Aber diesmal ist die Ursache meines Zögerns die pure Resigniation – die Einsicht, dass auch dieser Waffenmissbrauch nichts an der Waffenverliebtheit Amerikas ändern wird. Und prompt war eine der ersten Reaktionen eines US-Politikers (in diesem Fall des texanischen Kongressabgeordneten Louie Gohmert, dass das Problem nicht zu viele, sondern zu wenige Waffen seien:
“With all those people in the theater, was there nobody that was carrying a gun that could have stopped this guy more quickly?”
Was aus meiner Sicht zum tödlichen Waffenbesitz zu sagen/schreiben wäre, habe ich nach dem Massaker von Tuscon (Arizona) vor mehr als einem Jahr schon geschrieben. Der Einfachheit halber stelle ich den kompletten Beitrag hier noch einmal ein; meine LeserInnen mögen in Gedanken einfach nur “Tucson” durch “Aurora, Colorado” ersetzen:
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Die tödliche Logik des Waffenbesitzes
Über die möglichen politischen Konsequenzen des Attentats von Tuscon (Arizona), bei dem die demokratische US-Abgeordnete Gabrielle Gifford durch einen Kopfschuss schwer verletzt und sechs Personen (darunter ein neunjähriges Mädchen) getötet wurden, hatte Ali bereits auf seinem Blog Zoon Politikon nachgedacht. Ich will hier das Thema aus einem etwas anderen Winkel noch aufgreifen und mich zur (Un-)Möglichkeit äußern, dass der Anschlag vielleicht zu einer strengeren Waffengesetzgebung in den USA führen könnte. Diese Diskussion, die nach jedem Schusswaffenmassaker – Littleton (Columbine) und Blacksburg (Virginia Tech) fallen mir spontan ein – angestrengt wird, hat auch sofort nach den Schüssen von Tucson begonnen. Um meine Meinung gleich vorweg zu sagen: Weder Columbine noch Virginia Tech haben zu einer Verschärfung der Waffengesetzgebung geführt, und auch nach Tuscon wird sich hier nichts ändern.
Da ist ja zuerst mal die amerikanische Verfassung, die dem Waffenbesitz einen hohen Rang einräumt und ihn als zweiten Verfassungszusatz (Second Amendment) in der Bill of Rights garantiert:
A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed.
Da eine gut geordnete Miliz notwendig für die Sicherheit eines freien Staates ist, soll das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beschnitten werden.
Dass da auch die Worte “well regulated” stehen, also selbst die Verfasser dieses Grundrechtsartikels schon irgend eine Ordnung und Kontrolle im Sinn gehabt haben müssen, ist – wie ich nach 20 Jahren in diesem Land weiß – eine naive Sichtweise; die herrschende Rechtsauslegung basiert auf der als übergeordnet eingestuften Vorschrift “shall not be infringed”. Ergo: Keine, oder wenn, dann nur minimale Waffenkontrolle (Arizona ist ein Staat mit extrem lockerer Waffengesetzgebung; jeder darf praktisch überall eine Waffe bei sich tragen).
Nun zeigt die Logik – und die Statistik – zwar, dass die Zahl der Waffendelikte direkt mit der Zahl der verfügbaren Waffen gekoppelt sein muss. Die nachstehende Grafik bestätigt diesen Zusammenhang:
Aber selbst solche Zahlen ändern nichts an der “tödlichen Logik” (Lethal Logik ist auch der Titel eines Buches von Dennis Henigan vom Brady Center to Prevent Gun Violence), die Amerikas Waffendiskussion mit plakativen Parolen auf Schlagzeilenniveau reduziert hat:
“Guns don’t kill people; people kill people.”
Nicht Waffen töten Menschen, sondern Menschen töten Menschen.
“When guns are outlawed, only outlaws will have guns.”
Wenn Waffenbesitz zum Verbrechen wird, werden nur Verbrecher Waffen besitzen.
Und natürlich, nicht mehr zu toppen, jene pathetische Rede des damaligen Vorsitzenden der National Rifle Association, Charlton Heston, aus dem Jahr 2000, in dem er Politikern wie Al Gore (damals Vizepräsident), die für mehr Waffenkontrolle eintraten, entgegenschleuderte: “Ihr könnt meine Waffe haben – wenn ihr sie meinen kalten, toten Händen entringt.”
Und so wird sich für jeden Amerikaner, der nun nach Tuscon strengere Waffenkontrollen fordert, einer finden, der gerade deswegen die Waffenkontrolle lockern will. Und darum wird auch am Ende vielleicht ein Gesetzesentwurf herauskommen, der die Zahl der Patronen begrenzt, die in einem Magazin enthalten sein dürfen, was etwa so wirksam sein dürfte wie der Vorschlag, tödliche Alkoholfahrten durch eine Verkleinerung der Benzintanks zu verhindern.
Eine Million Todesopfer in den USA
Aber folgende Zahlen, die ich auf der Website der Brady Campaign gefunden habe, sprechen eigentlich eine viel deutlichere Sprache als alle Stammtischparolen und Politiker-Plattitüden:
- In einem durchschnittlichen Jahr werden etwa 100.000 Menschen in den USA durch Schusswaffen verletzt oder getötet
- Die Rate der Gewaltverbrechen liegt in den USA um das 6,9-Fache höher als in den 22 vergleichbaren Industrienationen zusammengerechnet.
- 80 Prozent aller Tötungsdelikte mit Schusswaffen, die in den 23 höchstindustrialisierten Ländern verübt werden, geschehen in den USA
- Der volkswirtschaftliche Schaden durch Schusswaffen wird auf runde 100 Milliarden Dollar jährlich geschätzt
Seit den Attentaten auf Martin Luther King jr. und Robert F. Kennedy im Jahr 1968 sind mehr als eine Million Menschen in den USA durch Schusswaffen ums Leben gekommen – das ist, als ob jemand die gesamte Stadt Köln ausradiert hätte …
Nachtrag am 13.1.2011: Wer nun immer noch meint, dass der Zusammenhang zwischen Waffenbesitz und Waffengewalt hier noch nicht ausreichend belegt und dokumentiert sei, dem empfehle ich einen Blick auf diese Seite, wo David Hemenway, Professor und Direktor des Harvard Injury Control Center an der Harvard School of Public Health, mal eine ganze Reihe von wissenschaftlich belegten Fakten (nebst Quellennachweisen) zusammengestellt hat.
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