Wenn in einer Meldung – oder auch in einer Uni-Pressemitteilung – Formulierungen auftauchen wie “Männer sind besser im …” oder “Frauen sind besser mit …”, schau’ ich gerne mal genauer hin (insofern haben diese Reizworte ihren Zweck also hundertprozentig erfüllt). Wer hier mitliest, wird dies schon öfter bemerkt haben. Stellt sich doch die Frage, ob hier ein “echter” Geschlechter-Dimorphismus gemeint ist, der biologisch determiniert ist und der eindeutig – naja, so eindeutig, wie Dinge in der Biologie halt sein können – mit dem biologischen Geschlecht (auf Englisch, der besseren Unterscheidung wegen: Sex) korrelieren. Wie die Fähigkeit, Eizellen bzw. Spermien produzieren zu können, beispielsweise. Oder ob es – schon ein bisschen gemildert – eine stochastisch beschreibbare Korrelation ist: Männer sind, im Bevölkerungsdurchschnitt, größer und schwerer als Frauen, beispielsweise. Aber das heißt nicht, dass jeder Mann größer und schwerer ist als jede Frau, dass also diese Gruppenmerkmale als Unterscheidungskriterium für Individuen geeignet wäre (es ist eben nicht davon auszugehen, dass die größere und schwerere von zwei Personen zwingend männlichen Geschlechts sein muss). Oder ob es sich um eine soziale, in jedem Fall aber nicht biologisch oder gar genetisch fixierte Konvention handelt: Dass Frauen Röcke tragen und Männer Hosen ist in Mitteleuropa durchaus üblich, in asiatischen Ländern aber schon keineswegs so selbstverständlich. Und eine biologische oder sonstwie determinierte Begründung gibt es dafür schon gar nicht.

Zurück zur im ersten Satz verlinkten Pressemitteilung der Vanderbilt- University, Sex matters: Guys recognize cars and women recognize birds best. Ist dies eine biologische Tatsache, eine geschlechterspezifische Eigenschaft? Da lassen wir doch die Forscherin, um deren Arbeit es geht, am besten selbst zu Wort kommen:

Und ja, ab Minute 1:50 erklärt Isabel Gauthier, dass es bei der Fähigkeit zur Objektwahrnehmung sicher eine genetische Komponente gibt, dass aber bestimmte Spezialisierungen – zum Beispiel, dass Männer besser darin sind, Auto-, Flugzeug- oder Motorradtypen zu erkennen – eine Folge von Präferenzen sein dürften. Im Paper The Vanderbilt Expertise Test reveals domain-general and domain-specific sex effects in object recognition, das Anlass der Pressemitteilung war, liest sich das so:

… the fact that women show an advantage for living categories while men show an advantage for cars appears to suggest that stereotypical interests may play a role in these effects.

Männer sind also nicht deshalb besser darin, Autotypen voneinander zu unterscheiden, weil sie Männer sind (= ein y-Chromosom besitzen), sondern weil das Interesse für Autos ein eher männlich-stereotypisches Verhalten ist. Der gleiche Versuch mit, sagen wir mal, mit einer Gruppe von Tuareg in Nordafrika, hätte vielleicht ergeben, dass Männer besser darin sind, Kamele zu unterscheiden …

Die Pointe bei der ganzen Geschichte ist, dass der in diesem Paper entwickelte Vanderbilt Expertise Test gar nicht zur Ermittlung solcher Gender-Unterschiede konzipiert war. Es ging vielmehr darum, ein besseres Messinstrument für die Fähigkeiten der Objekt- und Gesichtserkennung zu entwickeln. Bisherige Verfahren hatten die bei Menschen generell gut entwickelte (und vermutlich genetisch veranlagte) Fähigkeit, Gesichter zu unterscheiden, meist mit der Fähigkeit zur Erkennung und Unterscheidung nicht belebter Objekte verglichen. Eine bevorzugte Testkategorie hierfür sind Autos: sie haben, in gewisser Weise, auch “Gesichter”, es gibt viele verschiedene Varianten von ihnen, und sie sind – was bei solchen Tests ein ganz fundamentales Element ist – leicht zu kategorisieren. Das Problem war, dass es offenbar keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit zur Gesichtererkennung und dem Abschneiden bei Objekterkennungs-Tests gab; das Vanderbilt-Team konnte nachweisen, dass dies eine Schwäche der Tests ist – es ist besser, wenn nicht nur eine, sondern eine Anzahl von Kategorien getestet werden. Im Vanderbilt-Test werden acht Kategorien verwendet: Autos, Flugzeuge, Motorräder, Blätter, Eulen, Watvögel, Pilze und Schmetterlinge.

Es geht also im eigentlichen Sinn nicht darum, dass sich hier neue Erkenntnisse Männer und Frauen gewonnen wurden, sondern dass ein Verfahren, das sowohl für Männer als auch Frauen relevant ist, ein zu erwartendes Stereotyp aufgespürt hat. Doch was sind wohl die Schlagzeilen, die hier generiert wurden? Klar: Männer erkennen Autos am besten, Frauen Vögel. Seufz …

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Kommentare (6)

  1. #1 michael
    18. September 2012

    @Juergen

    >

    Deine Video Einbettung funktioniert nicht.

  2. #2 michael
    18. September 2012

    Oh, da hab ich wohl nicht lang genug gewartet.

  3. #3 Jürgen Schönstein
    18. September 2012

    @michael
    Boah, bist Du schnell – ich hab’ das Stück doch ein paar Sekunden vorher freigeschaltet 😉 Das Problem war, dass WordPress als Grundeinstellung den visuellen Editor (WYSIWYG) anbietet; ich bin aber eigentlich an den html-Editor gewöhnt. Wenn man aber HTML-Code in den visuellen Editor reinschreibt, dann wird dieser nicht als HTML-Code gelesen, sondern als Text … Ist aber gleich nach dem Anschauen von mir korrigiert worden.

  4. #4 rolak
    18. September 2012

    Und wieder ein schönes Beispiel… Ist ja an sich nichts Neues, daß Studien und ihre Ergebnisse in der Presse völlig verfremdet wiedergegeben werden, ob nun wie hier durch ein Nichtergebnis oder durch Bewerten einer Einzelstudie bei ignorierter Gesamt-Erkenntnislage oder was auch immer. Was mich interessieren würde ist eine generelle Untersuchung über die Differenzen zwischen Ergebnis und Darstellung, gibt es etwas in der Richtung?

    Eine stark gegen die globale Schlagzeile gerichtete Anekdote hätte ich noch: Mich 😉 Abgesehen von einer Grobzuordnung mittels Firmenlogos (auch indirekter, wie der BMW-Wanderniere) kann ich nur eine ziemlich begrenzte Teilmenge Fahrzeuge auseinanderhalten: Autos aus meiner Teenagerzeit (eher 10-17 Jahe), als diese Objekte in der peergroup ein angesagtes Thema waren, dazu noch einzelne Exemplare, wie zB von mir längere Zeit gefahrene.
    Alle meine weiblichen Gut-Bekannten sind da weitaus besser als ich. Allerdings ebenfalls bei der Klassifizierung von irgendwelchen Tierarten. Ein anscheinend für mich typisches Symptom, höchstwahrscheinlich durch ‘Datensammlung’ auf anderen Gebieten ausgeglichen. Alles eine Interessenfrage…

  5. #5 Gassenreh, Jakob
    18. September 2012

    Frauen besitzen mehr graue Substanz (Nervenzellen) in ihrem Gehirn als männer und können so Sequenzen besser aufnehmen und verarbeiten, sie arbeiten auch häufiger mit dem prozeduralen Gedächtnis.
    Damit und durch weitere Unterschiede in den Gehirnen ist eine optimale Ergänzungsmöglichkeit der beiden Geschlechter trotz Konfliktstoff gegeben; Gleichheit kann sich höchstens addieren, Verschiedenheit kann wesentlich mehr erreichen (siehe „Vergewaltigung der menschlichen Identität; über die Irrtümer der Gender-Ideologie“)

  6. #6 techniknörgler
    29. September 2012

    Eia berichtet von einem Wissenschaftler (ich glaube es war an Oxford), der entsprechende Unterschiede bei der Dauer des Blickes auf ein Objekt (Gesicht oder technisches Objekt) bei Neugeborenen am ersten Tag nach der Geburt festgestellt hat. Gesellschaftliches Konstrukt? Oder muss man sich nicht damit Beschäftigen, weil dieser Wissenschaftler mit dem “norwegischen Mario Barth” geredet hat?