Martin Bäker und ich führen in seinem Beitrag Riesenhunde und “missing links”: Wissenschaftsjournalismus vor 70 Jahren eine quasi-private Diskussion darüber, wie sich die Verantwortung bei wissenschaftlichen Presseartikeln zwischen Sender (= Wissenschaft) und Empfänger (= Medien) verteilt. Eigentlich schade, denn die Diskussion an sich ist sehr spannend. Ich werde jetzt nicht den ganzen Argumentationsstrang rekapitulieren; der ist noch kurz genug, dass man sich da schnell einlesen kann. Aber die Frage, wieviel Expertentum bei Journalisten, die über Wissenschaft schreiben, vorausgesetzt werden kann oder muss, ist schon mal ein paar Gedanken wert. Selbst wenn sie sich hier nun vor allem auf anekdotische Betrachtungen stützen.
Die Erwartung seitens der Wissenschaftler scheint zu sein, dass Journalisten, die über Wissenschaft schreiben (ich wähle ausdrücklich nicht den Begriff “Wissenschaftsjournalisten”), über ein hohes Maß an Fachwissen verfügen müssen. Im Prinzip stimmt das wohl – aber vermutlich nur für ein, vielleicht auch mal zwei Fächer.
Ich beispielsweise bin Geograph, und um mein Diplom in diesem Fach zu erlangen, habe ich mich in Nebenfächern wie Volkswirtschaftslehre, Soziologie, Landesplanung und Verkehrsingenieurwesen umgeschaut und daneben auch Grundkenntnisse in Bodenkunde, Klimakunde und ein bisschen Geophysik erwerben müssen. Das ist zwar eine breite Palette, doch für Fragen der Physik, Chemie, Genetik etc. bin ich damit nur unzureichend gerüstet.
Aber was ich im Studium gelernt habe ist, mich in ein komplexes akademisches Thema einzuarbeiten; in meiner Journalistenausbildung habe ich gelernt, die (hoffentlich) richtigen Fragen zu stellen, also zu recherchieren, und daraus die (hoffentlich) korrekten Zusammenhänge zu erkennen*. Und aus meinen bald drei Jahrzehnten in diesem Business weiß ich, dass viele Kolleginnen und Kollegen eine vergleichbaren Werdegang haben, wenn auch mit anderen Fächern – der eine ist Physiker, die andere Geologin, als weitere Beispiele fallen mir Mediziner, Biologinnen und Ingenieure ein. Gemeinsam ist uns die Begeisterung für Wissenschaft und (hier wieder ein “hoffentlich”) eine solide journalistische Grundausbildung.
*Und trotzdem bin ich jedesmal dankbar, wenn ich wichtige Informationen klar aufbereitet vorfinden kann. Wer wäre das übrigens nicht? Selbst Professoren, die Seminararbeiten beurteilen müssen, freuen sich gewiss darüber, wenn sie nicht jeden Absatz dreimal lesen müssen, ehe er seinen Inhalt preisgibt.
Reicht das? Je nachdem. In einer idealen Wissenschaftsredaktion sollten sich die Kompetenzen der Journalisten natürlich so ergänzen, dass ein möglichst breites Feld abgedeckt wird; aber selbst in den Redaktionen der großen Magazine, die sich jeweils rund ein Dutzend Mitarbeiter für die Themenbereiche Wissenschaft und Technik leisten können, wird es zum einen starke Überschneidungen, zum anderen aber auch große Lücken geben. Und selbst wenn die Redaktion ideal besetzt wäre, kann nicht jeder Journalist immer im Einsatz sein (Urlaub, Krankheit, auf Recherche zu einem anderen Thema etc.) Kleinere Publikationen (wobei unter “kleiner” auch die eine oder andere national verbreitete Postille fallen wird) können sich eh’ nur zwei oder drei, vielleicht eine Handvoll Redakteure im Wissenschaftsressort leisten. Die Erwartung, dass immer nur eine Expertin/ein Experte das Thema auf den Tisch bekommt, wird sehr oft enttäuscht werden.
Ob das so sein sollte, ist eine legitime Frage, und natürlich muss meine Antwort lauten: So sollte es nicht sein; aber Wunschdenken ändert an den Realitäten leider nichts: Redaktionsetats und Planstellen-Ausstattungen tendieren heute eher zu schrumpfenden Werten als zum Wachstum.
Damit es keine Missverständnisse hier gibt: Die meisten Wissenschaftsjournalisten verstehen ihr Handwerk, und sind auch ganz gut darin, sich außerhalb ihrer angestammten Schwimmtiefe über Wasser zu halten; aber viele Redaktionen können sich nicht den Luxus leisten, für jedes Wissenschafts-Gebiet eine ausgebildete Fachkraft bereit zu stellen. Und selbst die besten Fachkräfte haben Felder, auf denen sie nur dünnes Hintergrundwissen besitzen – wie die Wissenschaftler ja auch. Auch ein Nobelpreisträger in Physik könnte vermutlich auf dem Gebiet der Molekulargenetik nicht viel mehr mitreden als jeder “durchschnittliche” Akademiker. Niemand kann auf allen Gebieten alles wissen…
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