Sonntagabend, 28. Oktober: Liebes Tagebuch, ich habe heute eine Menge Verandamöbel, Topfpflanzen und sonstigen Kram von Veranden und Balkonen in Keller und Treppenhäuser gebracht, Fenster und Türen auf Dichtigkeit und Verschlussfestigkeit getestet, und das Auto so weit von Bäumen entfernt geparkt wie es in meiner Wohngegend möglich ist. Schulen und Unis haben bereits allen Unterricht für Montag abgesagt; öffentliche Transportmittel werden zwar vorerst noch fahren, bitten aber die Passagiere, wenn möglich zu Hause zu bleiben. Der Sturm kann kommen – aber wehe, die Warnungen waren überzogen! Dann sollte man den Sturmwarndienst auf Schadenersatz verklagen!

Die Sturmvorbereitungen sind echt, und ich habe es hier in Cambridge damit sogar noch leicht gehabt: Der Hurrikan Sandy hat ein enorm zerstörerisches – laut dem National Hurricane Center sogar tödliches – Potenzial; FreundInnen in New York City wurden bereits aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. U-Bahntunnel und ufernahe Straßen werden vermutlich unter Wasser stehen – was einfach eine Frage der Küstengeometrie ist:

Die Insel Long Island wirkt wie ein Trichter, der die Sturmwellen – die noch durch die Vollmond-Springflut erhöht wird – gleich von zwei Seiten auf Manhattan zuleiten kann.

P.S.: Wer zuschauen will, wie der Sturm über New York fegt, kann sich hier in die Webcam einklinken, die in der Fackel der Freiheitsstatue untergebracht ist (und dabei quasi spüren, wie selbst so ein massiver Stahl- und Kupferkoloss im Wind wackelt):

Bisher ist draußen noch alles ruhig – es regnet nicht mal.

P.P.S: Inzwischen sind es 12 Stunden später, und es stürmt ziemlich heftig – so heftig, dass das Haus, in dem ich wohne (drei Stockwerke, also nichts besonders Hohes) gelegentlich wackelt.

Also alles nur mal wieder ein aufgeblasener Medienrummel? Vielleicht. Aber die Warnungen sind trotzdem besser ernst zu nehmen – die Verantwortung für unser Verhalten im Sturm liegt dennoch immer bei uns. Die Idee, die Wetterfachleute für Irrtümer in ihren Vorhersagen haftbar zu machen, ist absurd. Denn das Problem bleibt, dass selbst so ein bestens beobachteter und analysierter Riesensturm wie “Sandy” sich noch weitgehend unberechenbar verhalten kann. Zonen, die sich eben noch außerhalb der Gefahrenzone wähnten, können in wenigen Stunden höchst bedroht sein. Der Hurrikan Irene, beispielsweise, der vor gut einem Jahr New York City schon plattmachen sollte, verschonte die Stadt – und schwemmte dafür, weiter im Inland, mit massiven Niederschlägen ganze Dörfer in den Catskills und Adirondacks fort.

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Kommentare (3)

  1. #1 Wolf
    29. Oktober 2012

    Wenn der Hurricane nicht so schlimm wird, wie von den Metereologen, wie stehen dann die Chancen, dass die eingeknastet werden?
    Und wei hoch stehen die Chancen, dass die Metereologen vor Gericht landen, wenn der Sturm schlimmer wird als erwartet?

  2. #2 subhuman
    Berlin
    29. Oktober 2012

    Da fällt mir ein hübsches Gedicht ein. Es ist nicht von mir, sondern von Jakob van Hoddis, und weil der Mensch längst tot ist, ist das Gedicht auch ein wenig älter. Es heißt “Weltende”:

    Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
    In allen Lüften hallt es wie Geschrei,
    Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
    Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

    Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
    An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken,
    Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
    Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

  3. […] miterlebt hat, ist der Scienceblogger Jürgen Schönstein. Er lehrt am MIT und berichtet von der “(Un)ruhe vor dem Sturm” und seinem wackelnden Haus. Zum Zusammenhang von Sturm und Klimawandel betont er: “Ein Sturm […]