Nein, keine Metapher: Es geht in der Tat um die Nahrungsversorgung von Geiern. Und um Bestattungsriten. Und nein, bei aller vermeintlicher Unappetitlichkeit ist es ein wirklich ernsthaftes Thema, auf das ich hier in der New York Times gestossen bin. Es geht um die Bestattungsriten der Parsen, einer indischen Glaubensgemeinschaft, die dem (altpersischen) Zoroastrismus anhängt, und um die Tatsache, dass Indiens Geier, einst zahlreich bis an die Grenze der Überbevölkerung, durch den Einsatz des Schmerzmittels Diclofenac (das sehr weit verbreitet ist und beispielsweise unter dem namen Voltaren vermarktet wird) an den Rand der Ausrottung gebracht wurden. Das Mittel, das in der Veterinärmedizin, vor allem bei Rinderhaltung, eingesetzt wurde, verursacht Nierenversagen bei den Geiern, falls sie behandelte Tierkadaver fressen.
Aber was hat das Eine mit dem Anderen zu tun? Die traditionelle “Beisetzungsmethode” der Parsen ist, die Körper ihrer Toten an Geier zu verfüttern. Nur so, glauben sie, könnten die Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft (die ihnen heilig sind) vor der Verunreinigung mit Kadavern geschützt werden. Zum Zwecke dieser – nach unsere Maßstäben eher barbarisch anmutenden – Leichenentsorgung hatten die Parsen auf dem gut 20 Hektar großen Gelände Malabar Hill in Mumbai ihre nach oben offenen, für die Geier zugänglichen Dakhmah (Türme des Schweigens) errichtet. Doch diese Türme befinden sich in einer der (heute) besten Lagen dieser Megametropole; umliegende Hochhäuser bescherten den Anwohnern einen sehr ungewollten Blick auf das eher schaurige Ritual. Mit dem Rückgang der Geier wurde dieser Beisetzungsprozess so sehr gestört, dass sich die überwiegende Zahl der heute lebenden knapp 70.000 Parsen fuer eine Feuerbestattung entscheiden würde – obwohl diese ihren heiligsten Prinzipien widerspräche.
Und nun kommt die Synthese dieser Probleme: In Kooperation mit der Regierung, die sich um den Erhalt der Geier sorgt, haben die Parsen in Mumbay beschlossen, gemeinsam große Volieren zu errichten. Das bisher größte Problem bei der Einrichtung solcher Vogelreservate war, dass es extrem teuer ist, die Geier zu füttern: “Die meisten Geiervolieren müssen enorme Summen ausgeben, um Fleisch einzukaufen”, erklaert Dinshaw Rus Mehta, Vorsitzender der Parsen in Mumbay, gegenüber der New York Times. “Aber hier gibt’s das umsonst, denn die Geier werden menschliche Kadaver fressen – uns.” Die Kosten für die Anlage soll daher bei umgerechnet etwa vier Millionen Euro liegen, die über eine Zeitspanne von 15 Jahren anfallen würden. Dass diese Entscheidung nicht von allen Parsen befürwortet wird, steht auf einem anderen Blatt: Sie fürchten, dass die Regierung – die sich um die Geier kümmern soll – dies als Vorwand nehmen könnte, das begehrenswerte Gelände in Mumbay zu enteignen.
Doch die weitaus größere Sorge gilt den Geiern: Diclofenac ist zwar zum Schutz der Vögel inzwischen für den Einsatz in der Tiermedizin verboten, aber in der Humanmedizin weit verbreitet. All die 800 Kadaver, die bisher jährlich noch der Geierbestattung anvertraut werden, müssen mit einem ärztlichen Attest versehen sein, dass vor sie mindestens drei Tage vor ihrem Tod kein Diclofenac-Präparat erhalten hatten. Testen lässt sich das aber nicht sehr leicht. Sobald es also zu ersten Vergiftungserscheinungen kommt, soll das Bestattungsprogramm wieder eingestellt werden.
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