Dies ist mal wieder so ein Beitrag, der durch den Frust vieler Studenten, mit denen ich täglich arbeite, angeregt wurde und sich dann in diversen Plaudereien mit Wissenschaftlern/KollegInnen weiter entwickelt hat. Und nun, spät abends, will er sich unbedingt in eine schriftliche Form kristallisieren. Ist also eher eine introvertierte Betrachtung als eine fundierte Analyse.
Rhetoriker würden meine Überschrift als eine Hyperbel bezeichnen – denn natürlich sind Erfolge auch in der Wissenschaft sehr willkommen und vor allem beim Ersuchen um Forschungsgelder sehr nützliche Argumente. Doch ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es der Wissenschaft insgesamt, und den WissenschaftlerInnen im Einzelfall einfacht nicht gerecht wird, den “Erfolg” – den ich von jetzt an besser in Anführungzeichen setzen werde – als Messlatte für den Wert ihrer Arbeit zu nehmen. Weil dies suggeriert, dass es eine richtige Antwort auf alles gibt, die man nur finden muss. Dass jeder, der diese richtige Anwort nicht findet, “falsch” liegt und damit einen Misserfolg gelandet hat.
Vielleicht sollte ich erklären, dass ich derzeit gleich mehrere Klassen betreue, in denen Studenten Forschung betreiben – ein konkretes, von Regierungseinrichtungen finanziertes Forschungsprojekt in einem Fall, selbst gewählte kleine Projekte in den anderen Fällen. Und nur allzu oft stoßen sie dabei an methodische oder konzeptionelle Hindernisse, oder müssen am Ende eines clever ausgedachten Experiments feststellen, dass ihre Daten nicht das gewünschte Ergebnis bringen. Und sind dann extrem frustriert. Die Erwartung, dass Erfolg – im Sinn des “richtigen” Ergebnisses – der einzig lohnende Output ihrer Mühen sein muss, ist zwar nachvollziehbar – aber unangebracht. Denn Wissenschaft ist, wie wir alle hier wissen, primär ein Prozess der Eliminierung von “Fehlern”. Und das führt langfristig (und manchmal auch kurzfristig) zu solideren und profunderen Ergebnissen. Ist ein bisschen wie bei Sherlock Holmes: Es ist zuverlässiger, seine richtigen Antworten dadurch zu finden, dass man die falschen/unplausiblen eliminiert (“How often have I said to you that when you have eliminated the impossible, whatever remains, however improbable, must be the truth?” Aus: The Sign of the Four.)
Um es mal ganz krass auszudrücken: Manchmal sind es vielleicht die “richtigen” Antworten, die der wissenschaftlichen Forschung Antrieb geben – aber viel effektiver als Treibstoff sind die offenen Fragen, das unerklärbare “Rauschen” in den Daten, die Widersprüche im Konzept. Das ist es, was Forschung am ticken hält – die “richtige” Antwort, der “Erfolg”, ist sehr oft ein Endpunkt. Lösung gefunden, q.e.d. – Ende. Und vermutlich gibt es für jeden simplen “Heureka”-Moment in der Wissenschaft eine Vielzahl von Geschichten, indenen der Misserfolg, die Panne, der Fehler letztlich den Weg zur Erkenntnis öffnete. Die Geschichte der Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung wäre ein Beispiel dafür; selbst die “Entdeckung” Amerikas ist letztlich – wenn man dem Glauben kann, was uns im Geschichtsunterricht erzählt wurde – das Ergebnis eines Irrtums. Die vergeblichen Versuche, die – scheinbar plausible – Existenz des Äthers zu beweisen, waren hilfreich, um der Relativitätstheorie auf die Spur zu kommen.
Doch selbst diese Geschichten sind, da sie letztlich auf den Triumph der Erkenntnis abstellen und den Irrtum, den Fehler nur als Prolog sehen, eher irreführend. Denn sie richten das Augenmerk doch wieder nur auf die “Sieger”. Newton sagte einst sinngemäß, dass er “auf den Schultern von Riesen” stehe (gemeint waren Kepler und Galileo). Doch die Pyramide, auf der Wissenschaftler stehen, besteht nicht nur aus Riesen, im Gegenteil: Sie erhält ihre Stablität durch die Beiträge all der “Zwerge”, deren Arbeit vielleicht nicht mehr war als die Bestätigung, dass ein bestimmter Weg zu keinem Resultat führen wird. Daher: Es lebe der Misserfolg.
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