Am vergangenen Freitag hat sich der Programmierer, Internet-Unternehmer und Open-Access-Aktivist Aaron Swartz (26) in seiner Wohnung in Brooklyn erhängt. Der Tod eines jungen Menschen ist für sich alleine schon immer tragisch und emotional aufwühlend, aber dieser Fall hat mich zutiefst bestürzt. Denn dabei spielen einige Dinge, die mir auch persönlich ein Anliegen sind, eine enorm große Rolle: Open Access, beispielsweise, aber auch der Urheberrechtsschutz; ganz besonders betroffen bin ich aber darüber, dass mein Arbeitgeber, das Massachusetts Institute of Technology, dabei eine nicht gerade rühmliche Rolle spielt. Swartz war wegen “Einbruchs” in die MIT-Computer und das Kopieren von rund vier Millionen Dateien aus der Datenbank JSTOR angeklagt worden; der Prozess, der im April beginnen sollte, hätte ihm Millionen von Dollar in Geldstrafe und, viel schwerwiegender, bis zu 35 Jahre Gefängnis einbringen können.
Swartz, der schon als 14-jähriger ein Software-Wunderkind war und den RSS-Standard mit enwtwickelte (den jeder benutzt, der beispielsweise dieses Blog abonniert), war einer der Initiatoren von , ein Aktivist gegen SOPA – und ein “Untergrundkämpfer”, der eigenhändig hinter einer Paywall eingesperrte Daten befreien wollte. Sein erster Versuch, mit der amtlichen amerikanischen Gerichtsdatenbank Pacer – Swartz hatte einen Gratis-Schnupperzugang dazu genutzt, etwa 20 Prozent der dort verfügbaren Dateien zu kopieren und frei zugänglich zu machen – hatte ihn 2009 zwar ins Visier des FBI gebracht, bleb aber ansonsten ohne Folgen.
Zwischen dem 24. September 2010 und dem 6. Januar 2011, so heißt es in der Anklageschrift, war Swartz mehrfach in einen Computerschrank des MIT “eingebrochen” und hatte einen Laptop in das System eingeklinkt, mit dem er dann (das MIT ist mit Gastzugängen ziemlich großzügig) den Zugang zu JSTOR erlangte.
Dass so etwas tatsächlich als Einbruch gewertet wird und die Campus-Polizei auf den Plan rufen würde, ist mir dabei sogar einsichtig: Auf den Computern des MIT liegen gewiss noch eine Menge anderer Daten herum, die vertraulich sind und vermutlich, in den “richtigen” Händen, Millionen und Milliarden von Dollar wert sein könnten. Dass man die Schränke (naja, es sind echte Räume, mit echten Türen davor) besser sichern könnte, bezweifele ich nicht; dass die MIT-Kultur eine des (naiven?) Vertrauens ist – nahezu alle Gebäude sind hier, zumindest zu normalen Tageszeiten, geöffnet und ohne Kontrollen irgend welcher Art für Jedermann zugänglich – bleibt eine andere Frage.
Was mich jedoch bekümmert ist, dass das MIT seine – eingangs, wie gesagt, durchaus verständliche – Anzeige nicht zurückzog, nachdem erstens JSTOR bereits auf eine Anzeige verzichtet hatte und zweitens klar wurde, dass die Bundesstaatsanwaltschaft an dem jungen Programmierer ein Exempel statuieren wollte. Vor allem, da MIT sogar ganz offiziell Swartz’ Ziele hinsichtlich Open Access teilt. Sich zum Handlanger einer überreagierenden Justiz zu machen, ist schäbig … (MIT-Präsident Rafael Reif, der sein Amt im vergangenen Frühjahr von Susan Hockfield übernommen hat, kündigte eine interne Untersuchung an, um die unrühmliche Rolle der Uni aufzuklären.)
Spielt es eine Rolle, dass Swartz offenbar schon länger mit Depressionen und Selbstmordgedanken kämpfte? Ich weiß es nicht, aber sicher ist, dass diese an Willkür grenzende Strafjustiz ihren Beitrag geleistet hat, ihn über diese Klippe (man verzeihe mir die Metapher – in Wirklichkeit hatte sich Swartz mit einem Strick das Leben genommen) zu stoßen. Was umso bizarrer ist, als ja Open Access sogar offizielle Regierungspolitik ist.
Als Autor = jemand, der davon lebt, dass er für das Schreiben von Texten honoriert wird, unterstütze ich natürlich das Recht eben jener Autoren auf Honorierung. Aber hier geht es um wissenschaftliche Artikel, die einer ganz anderen ökonomischen Realität unterliegen: Ihre Autoren werden für die Veröffentlichung nicht bezahlt, sie erhalten auch keinen Anteil an den Verwertungserlösen. Aber dafür war die Tätigkeit, die zur Veröffentlichung führte, eine oftmals mit öffentlichen Geldern bezahlte. Ich wage zu behaupten, dass die wenigsten Wissenschaftler, die irgendwann irgendwas publiziert haben, davon begeistert sind, dass andere für das Lesen ihrer Arbeit – für die sie ja wohl die größtmögliche Öffentlichkeit anstreben wollten – teuer bezahlen müssen.
Und selbst wenn Swartz’ Aktion, nach irgend einer juristischen Auslegung, als Offizialdelikt nach dem Strafrecht (anstatt als ein zivilrechtlicher Streitfall) interpretiert werden kann: Einen psychisch labilen junge Menschen mit 35 Jahren Haft für eine solche Tat zu bedrohen, ist schändlich.
Kommentare (19)