Wahrscheinlich ist das auch wieder nur so ‘n Medienhype:

Mal im Ernst: Es stimmt zwar, dass Lebensmittel – genauer gesagt, wenn mit diesen Lebensmitteln etwas nicht stimmt – eine überproportionale Reaktion in den Publikumsmedien auslösen. (Ob das bei Blogs wirklich anders ist, bezweifele ich – aber belegen kann ich’s momentan nicht.) Aber als langjähriger Journalist für ebensolche Massenmedien, darunter sogar – ja, ich gesteh’s – die BILD-Zeitung, will ich meine alten Kolleginnen und Kollegen doch mal gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, das sei doch alles nur “Medienhype”, der impliziert, dass ein Problem künstlich aufgebaut und -gebauscht wird, weil damit irgendwelche mehr oder weniger finsteren Ziele und Agenden verfolgt werden sollen.

Wer von “den Medien” redet, übersieht dabei, vermute ich mal, nur allzu leicht, dass sie von Menschen für Menschen gemacht werden. Sicher, Chefredakteurinnen und -Redakteure müssen auch die Auflage im Sinn und im Blick haben; aber zumindest aus meiner eigenen Erfahrung als Tischredakteur bei der WELT kann ich versichern: Ich habe Geschichten nie danach ausgewählt, ob sie “Auflage machen” oder nicht. Allein schon mal deshalb, weil sich das Kaufverhalten der Leserinnen und Leser nicht ganz so einfach vorhersagen lässt. Aber vor allem auch, weil JournalistInnen primär an Themen interessiert sind. An Themen, von denen sie glauben, dass sie auch andere interessieren werden. Wir nennen das gerne “Gespür” und tun so, als sei dies eine besondere Begabung. Aber letzlich ist es doch nichts weiter als die Annahme, dass man selbst gar nicht so besonders, so anders ist als die Mitmenschen: Wenn es mich interessiert/freut/empört, dann interessiert/freut/empört es auch viele andere. Lebensmittel gehen uns nun mal schneller – Wortspiel ist beabsichtigt – unter die Haut.

Solche Themen werden nicht von Journalisten “gemacht”, sondern allenfalls aufgegriffen. Und sie werden eigentlich auch nicht “gehypt” – sie sind aufregend. Pferdefleisch in der Rindfleisch-Lasagne ist ein Skandal. Selbst wenn es, was ja leider nicht der Fall zu sein scheint, gesundheitlich unbedenklich wäre. Weil es das Vertrauen des Konsumenten untergräbt, wenn nicht sogar vorsätzlich missbraucht. Aber das ist eine andere Diskussion, und die hat Christoph Larssen nebenan bei ErklärFix angestoßen.

Ohne Medien wäre Contergan vielleicht noch viel länger auf dem Markt geblieben. Und erinnert sich noch jemand an den Hühnerhalter Anton Pohlmann? Dioxine sind in Lebensmitteln aufgetaucht, in Schlachthäusern wird nicht immer sauber gearbeitet, und östereichische Weine wurden mit Glykol gepanscht. Würden wir uns besser fühlen, wenn wir nie davon erfahren hätten? Oder ist es besser, wenn Missstände aufgedeckt und – hoffentlich – beseitigt werden?

“False Positives” sind dabei nie zu vermeiden. Niemand ist unfehlbar (wie es scheint, nicht mal mehr der Papst), JournalistInnen schon gar nicht. Aber so wie eine Ausweitung der Datenbasis gegen “false positives” nützlich sein kann, so ist auch ein probates Mittel gegen die “false positives” der Lebensmittelskandale … einfach mehr lesen.

flattr this!

Kommentare (6)

  1. #1 Joe
    15. Februar 2013

    Ist “Geschichten danach auswähen, ob sie Auflage machen” und “Themen, von denen sie glauben, dass sie auch andere interessieren werden” nicht das Gleiche?
    Interesse spielt sich, wie hier ja auch schön angedeutet, auf der emotionalen Ebene ab. “Mein Essen – Hilfe, was passiert da?”
    Der Gegensatz dazu wäre ja, Themen zu bringen, die die Leute eigentlich nicht interessieren (vielleicht, weil sie sie gar nicht verstehen), die aber für ihr Leben viel, viel wichtiger sein können. Nur damit macht man wirklich keine Auflage.
    Deswegen ist die Kritik am Medienhype teilweise sehr berechtigt. Es wird das gebracht, was den Leser emotional anspricht, aber nicht das, was wichtig ist.

  2. #2 Basilius
    15. Februar 2013

    Sehr schön geschrieben Jürgen. Ganz meine Meinung.
    Nur unsere Medien haben derzeit einen Hebel gegen betrügerische Machenschaften im Lebensmittelbereich ein besseres Bewusstsein bei den Menschen zu schaffen.
    Ich bin immer wieder entsetzt, wie wenig den Deutschen anscheinend ihr Essen wert ist. Aber was ich noch unverständlicher finde ist, daß solcherlei Enthüllungen über Lebensmittelbetrügereien anscheinend allenfalls zu einer kurzfristigen Verhaltensänderung führt und nach wenigen Monaten der Status Quo wieder erreicht ist.
    Eine Anmerkung noch: Auch wenn in den Medien immer gerne vom österreichischen Glykol-Wein die Rede war/ist, so gilt hier dennoch, daß derartig gepanschter Wein aus Österreich seinen Weg auch in Flaschen mit angeblich deutscher Herkunft fand und, daß es sich bei der Panschzugabe sehr Schlagzeilenunfreundlich in Wirklichkeit um Diethylenglykol handelte, Was ein klein wenig was anderes ist.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Glykolwein-Skandal

  3. #3 Spoing
    15. Februar 2013

    Ich sehe es da noch leicht anders.
    Für mich ist die Falschdeklaration eines Lebensmittels ein riesiger Skandal! Ob da nun Pferd/Ratte oder Schwein drin ist, ist nebensächlich. Aber versuch das mal jemanden zu erklären. Wenn es Schwein wäre würde es kein “Sau” interessieren. Hier wird einfach das leichtfertige Spielen der Gesundheit der Menschen für wenig wichtig erachtet stattdessen ist es die emotionale Bindung vieler Sicherlich ist das Prinzipienreiterei, denn der Effekt ist ja der Selbe. Bzw. auch der von mir erwünschte. Aber nur weil es sich in diesem Beispiel deckt muss es ja nicht immer so sein.
    Wenn mal wieder ein Mörder (Oder sonst wer) mangels beweisen frei gesprochen wird kann man das bei der Bild zum Beispiel immer gut sehen. Da würden manche dann lieber den Rechtsstaat aufgeben als einen (wahrscheinlich) Schuldigen davon kommen zu lassen.

    Btw: Mit dem Meteor heute gab es da auch wieder so einen Satz bei der Tagesschau, welcher mich aufgeregt hat: “Ein Kernkraftwerk wurde nicht getroffen”

  4. #4 Jürgen Schönstein
    15. Februar 2013

    @Joe #1
    Es ist nicht dasselbe, ob Journalisten Themen nach eigenem Interesse auswaehlen und dabei (implizit) davon ausgehen, dass dies dann auch Andere interessieren wird – oder ob sie Themen “hypen”, die sie selbst vermutlich gar nicht wirklich interessieren (weil sie ja wissen, dass da nix dran ist) aber von denen sie sicher sind, dass sie Auflage ziehen. Letzteres ist das Bild, das vor allem von BILD gerne gezeichnet wird. Doch selbst dort arbeiten Menschen, keine Algorithmen – der einzige Weg, wie man als Journalist zur Ueberzeugung gelangt, dass ein Thema interessant ist, besteht darin sich – und vielleicht, in der Redaktionskonferenz, auch die KollegInnen – zu fragen: Finden wir das interessant?

    Und der Vorschlag, Medien sollten doch bitteschoen die Oeffentlichkeit zwingen, Dinge zu lesen, die sie nicht wissen wollen (auf das laeuft Dein Vorschlag ja hinaus) – wie genau soll das funktionieren? Es kostet, auch wenn viele das nicht erkennen wollen, ziemlich viel Geld, eine Seitung, eine Zeitschrift, einen Sender etc. zu gestalten und zu betreiben. Wenn sich niem,and fuer die Inhalte interessiert, keiner die Zeitung, die Zeitschrift kauft, niemand den Sender einschaltet, dann wird dieses Medium sehr schnell verschwinden (die verschwinden sogar noch, wenn viele kaufen oder einschalten, wenn’s letztlich nicht genug sind, die Kosten zu decken).

  5. […] – habe ich hier ja schon erklärt: Nur weil es ein breites Interesse in den Medien findet, sollte man die Sache nicht als “Hype” abtun. Aber ich stelle beim Lesen der Kommentare fest, dass sich die folgenden zwei Argumente […]

  6. #6 DH
    16. Februar 2013

    Vielleicht sind Lebensmittel ein schlechtes Beispiel für einen Hype , weil es sich in der Tat um wichtige Themen handelt und vor allem , weil durchaus seriöse Infos zu bekommen sind , wie gefährlich, was zu tun usw. – und das dann wohl eher bei tatsächlich gefährlichen Geschichten , Pferdefleisch , naja, jeden Tag Dreck fressen wir , aber das bißchen Pferd…

    Hypes weg zu dikutieren ist aber bestenfalls naiv oder besser geagt , völlig danaben.

    Es ist unübersehbar , daß es diese gibt , Irgendeiner schreit “dalang” und schon hetzt die Medienmeute hechelnd hinterher , ein Paradebeispiel das alle zwei Jahre wiederkehrende Fußball-“Sommermärchen” (das in der Realität nie existierte).

    Oder das Gewäsch über facebookundtwitter im Zusammenhang mit den arabischen Revolutionen.

    Oder die bewußte Einseitigkeit.

    Oder… oder.. oder..

    Bitte nicht die Augen verschließen vor einer sich selber gleichschaltenden , hofberichterstattenden Medien – Herde.