Wenn jemand “lebendes Fossil” sagt (und damit nicht den einen oder anderen meiner Lehrer zu Gymnasiumzeiten meint), dann kriege ich immer ein paar imaginäre Pusteln – weil der Begriff an sich halt so paradox ist, da Fossilien per Definition nicht leben können. Und weil der Begriff, implizit jedenfalls, gleichzeitig unterstellt, dass die Evolution bei diesen “lebenden Fossilien” – Haie werden hier gerne genannt, oder Quastenflosser (dazu gleich mehr) – zum Stillstand gekommen ist. Dass sich also diese Lebewesen tatsächlich seit ein paar hundert Millionen Jahren nicht weiter entwickelt haben. Und das wäre dann doch erst mal zu beweisen.

Für den Quastenflosser Latimeria chalumnae ist zumindest nachweisbar, dass die Evolution nicht stehen geblieben ist: Das Paper The African coelacanth genome provides insights into tetrapod evolution, das nebst einem redaktionellen Beitrag zum gleichen Thema in der aktuellen Ausgabe von nature erschienen ist (und zu dem Open Access gewährt wird), bestätigt erst mal, dass sich die Quastenflosser-DNA durchaus weiter entwickelt hat – aber, und das ist das Überraschende, mit einer deutlich langsameren Rate als beispielsweise beim Menschen.

Aber das ist, wenn ich das Paper richtig verstanden habe (was ich, ganz ehrlich, spätestens nach dieser Episode nicht mehr uneingeschränkt von mir behaupten würde), nicht die Hauptnachricht: Entscheidender ist, dass nicht die Quastenflosser als die Vorfahren der heute lebenden Vierbeiner gelten sollten, sondern die Lungenfische. Zugegeben, das hat mich nun nicht wirklich überrascht, da Lungenfische tatsächlich Zugang zum Festland suchen, während Quastenflosser hunderte Meter tief in den Ozeanen leben – wenn ich da auf einen Landvierbeiner-Ahnen hätte tippen sollen, wäre der Lungenfisch auch ohne DNA-Analyse mein Kandidat gewesen. Aber Wissen ist immer besser als Raten …

Aber ob lebendes Fossil oder nicht: Ich finde die Quastenflosser vor allem deswegen faszinierend, weil sie den Übergang von Fischen zu Vierbeinern veranschaulichen, und welcher Journalist stünde nicht auf eine schöne, anschauliche Missing-Link-Geschichte?

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Kommentare (6)

  1. #1 MartinB
    18. April 2013

    Das mit den Lungenfischen ist allerdings nicht wirklich neu – die letzten Kladogramme, die ich gesehen habe, hatten alle die Lungenfische dichter an den tetrapoden als die Quastenflosser, siehe auch hier:
    https://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2012/11/04/der-erste-vierfuser/

  2. #2 CM
    18. April 2013

    Hm, mein Wissen um Entwicklungsbiologie hat in den letzten Jahren stark gelitten: Aber war da nicht mal die Vermutung, dass die Lungenfische deshalb näher an den Tetrapoden sind, weil der “genet. Aufwand” (im Sinne von notwendigen Mutationsschritten) für die Lungenentwicklung weit größer ist als die Modifikation der Homöoboxgene für den Fortbewegungsapparat? Weiß jemand von Euch dazu mehr?

    (Ich habe, wie gesagt schlicht keine Ahnung mehr – und von dem Wissen, dass Du, Martin, Dir angeeignet hast einen Mordsrespekt – aber das schließt Neugierde ja nicht aus 😉 )

    Gruß,
    Christan

  3. #3 peer
    19. April 2013

    “(…)dass sich die Quastenflosser-DNA durchaus weiter entwickelt hat ”
    mit anderen Worten: Der Quastenflosser ist auch nicht mehr der, der er mal war!
    SCNR 🙂

  4. #5 RainerM
    21. April 2013

    PZ Myers hat sich des Themas angenommen, basierend auf einem Artikel in BioEssays vom Februar, der leider hinter ‘ner Paywall steckt. Er zitiert aber umfangreich…

  5. #6 Bettina Wurche
    22. April 2013

    Die Diskussion um den Begriff “lebendes Fossil” hatte ich auch gerade erst wieder. Ich bekomme da beim Zuhören auch immer Pickeln im Gehörgang. Schließlich wissen wir nichts über Physiologie und Verhaltensbiologie der meisten Fossilien.
    Allerdings gab es vor langer Zeit auch im Süßwasser Quastenflosser, die heuteige Verbreitung in der Tiefsee ist nur ein Reliktvokrommen:
    Ich habe aus meinem Studium auch noch im Hinterkopf, dass die Lungenfische näher an den heutigen Tetrapoden dran sind, ich erinnere mich vage an eine starke anatomische Ähnlichkeit der Vorderextremitäten. Also, neu ist die Erkenntnis nicht. Das war nur die Bestätigung alter Gedanken und Resultate mit neuen Methoden. (wie so oft).