Heute morgen wurde ich um kurz nach sechs Uhr – wie zigtausende meiner Mitbewohner – durch einen “Robocall” der Stadt Cambridge geweckt: Aufgrund der Geschehnisse in Watertown (einem Nachbarort) seien wir alle aufgefordert, in unseren Wohnungen zu bleiben; der Betrieb aller öffentlichen Verkehrsmittel sei vorerst eingestellt. Und meine Email blinkte mir eine Nachricht vom MIT entgegen: Bei einer Schießerei auf dem Unigelände war in der vergangenen Nacht ein Campus-Polizist erschossen worden; alle Klassen seien daher für heute abgesagt. Aus den Nachrichten – ja, der gute alte, totgesagte, verspottete und für irrelevant erklärte Journalismus ist in solchen Fällen eben immer noch die beste Quelle – entnehme ich, dass zwei Männer, die offenbar auch für den Bombenanschlag auf den Boston-Marathon am Montag veranwortlich waren, am Donnerstagabend, gegen zehn Uhr, einen 7/11-Lebensmittelladen in Cambridge überfallen hatten. Auf der Flucht nach der Tat waren sie offenbar auf den MIT-Campus geraten; eine halbe Stunde später fielen mehrere Schüsse vor dem Stata-Center, ganz in der Nähe meines Büros, und ein Campus-Polizist kam ums Leben. Danach entspann sich eine wilde Verfolgungsjagd, die in einer Schießerei im Nachbarort Watertown endete. Einer der vermutlichen Bombenleger (die offenbar noch mehr ihrer Drucktopfsprengsätze bei sich hatten) wurde erschossen; nach dem zweiten wird nun von Haus zu Haus gesucht.
Feuergefechte in beschaulichen Vorstädten, Polizeisirenen-Geheul überall; alle Klassen am MIT und Harvard sind für heute abgesagt, keine Busse und Bahnen fahren, und die Bewohner sollen sich in ihren Wohnungen verschanzen – meine kleine Welt hier in Cambridge ist in den Fängen der Gewalt. Und gleichzeitig muss ich noch die Nachricht verdauen, dass der US-Senat nicht mal in der Lage ist, ein leicht errweitertes Waffengesetz zu verabschieden, das sich neun von zehn US-Bürgern wünschen. Wie ich schon früher geschrieben habe: Einfach sinnlos …
P.S.: … und ausgerechnet jetzt geht mir ein Weisheitszahn kaputt. Keine Chance, meine Zahnärztin zu erreichen. Aber damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Ich will mich hier nicht zum Opfer stylen; nur weil etwas in meinem Umfeld passiert, heißt es nicht, dass es mir passiert. Und ich habe auch keine Angst, aus dem Haus zu gehen – aber andererseits akzeptiere ich, dass es die Arbeit der Ermittler viel leichter macht, wenn sich nicht auch noch die Menschenmassen auf den Bürgersteigen drängeln. Aber es ist bizarr, unter faktischem “Hausarrest” zu stehen.
Eine schnelle Übersicht über das, was hier passiert, findet man hier.
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