Es müssen die Nachwirkungen der meiner Weisheitszahn-Operation sein, denn wenn ich meinen Kopf noch ganz beisammen hätte, würde ich das Thema Radhelm vermutlich meiden wie ein Veganer die Metzgerei. Aber diese Studie über die begrenzte Wirkung einer Radhelmpflicht, die im British Medical Journal veröffentlich wurde und auf die ich via Lars Fischer und Spektrum.de aufmerksam wurde, kann ich nicht gänzlich unkommentiert stehen lassen.
Worum geht’s? In sechs der zehn Provinzen Kandas wurde zwischen 1994 und 2003 eine Helmpflicht für Radfahrer eingeführt. Diese Studie hat nun, anhand der Daten des National Trauma Registry zwischen 1994 und 2008 untersucht, ob in den Provinzen mit Helmpflicht eine deutliche Verringerung der Fahrradunfälle mit Kopfverletzungen, verglichen mit den Provinzen ohne Helmpflicht, zu beoachten ist. Und in desem Zeitraum gingen die Kopfverletzungen in den Provinzen mit Helmpflicht in der Tat deutlich zurück: Um 54 Prozent bei Kindern und Jugendlichen, und um 26 Prozent bei Erwachsenen. Trotzdem kommen die VerfasserInnen zum Schluss, dass die Helmpflicht nicht viel bringt – da auch in den Provinzen ohne Helmpflicht ein Rückgang zu beobachten ist, zumindest bei den Kindern: Dort sank im Untersuchungszeitraum die Zahl der Kopfverletzungen bei Kindern und Jugendlichen um 33,1 Prozent (bei Erwachsenen gab es keinen Rückgang).
Also nochmal langsam zum mitlesen: Bei Kindern und Jugendlichen in Provinzen mit Helmpflicht ging die Zahl der Unfälle mit Kopfverletzungen um mehr als die Hälfte zurück, in Provinzen ohne Helmpflicht dagegen nur (dazu gleich mehr) um etwa ein Drittel. Bei Erwachsenen ging die Helmpflicht mit einer Reduktion von gut einem Viertel einher, während in den Provinzen ohne Helmpflicht kein Rückgang zu beobachten war. Klingt eigentlich nach der Aussage: Helmpflicht nützt.
Doch weil die VerfasserInnen einen deutlicheren Rückgang erwartet hätten, und zudem ja auch ohne Helmpflicht weniger Köpfe eingedellt wurden, kommen sie zum Schluss, “the incremental contribution of provincial helmet legislation to reduce hospital admissions for head injuries seems to have been minimal” – also: der Zusatznutzen sei minimal. Aber ehe die Helmgegner nun jubeln und Siegestänze aufführen: Die Studie bestreitet nicht die Schutzwirkung der harten Hüte, im Gegenteil: Sie empfiehlt ausdrücklich das Tragen derselben. Sie sieht nur keinen Sinn darin, das Tragen derselben gesetzlich vorzuschreiben.
Doch bei all dem hat dese Studie einen ganz gewaltigen Haken, der in einem einzigen Satz zum Ausdruck kommt: “The national trauma registry does not include information on helmet use” – auf Deutsch, es gibt gar keine Daten dazu, ob die Verunglückten einen Helm getragen haben oder nicht. Und damit steht schon mal fest, dass diese Studie nichts (ich schreib’s noch einmal ganz groß und fett:
Nichts!
) über die Schutzwirkung von Helmen aussagt, sondern lediglich eine Einschätzung dazu gibt, ob es sich lohnt, das Tragen gesetzlich vorzuschreiben. Und da liegt halt der Haken: Wer keinen Helm tragen will, der trägt ihn vermutlich auch nicht, wenn es zur Pflicht wird. Oder er/sie setzt ihn nur lose auf, ohne den lästigen Kinnriemen zu schließen, was den Helm beim Unfall absolut wirklungslos macht. Aber wer einsieht, dass so ein Kopf durchaus von ein paar Zentimetern Puffermaterial profitieren kann, wenn er auf den Asphalt aufschlägt, braucht vermutlich kein Gesetz, um dies dann auch zu tun. Denn nur, weil es in vier von zehn Provinzen Kanadas keine gesetzliche Auflage gibt, einen Helm zu tragen, heißt das ja nicht, dass dann auch keine getragen werden. Ich trage meinen Fahrradhelm ja auch, ohne dass ich gesetzlich dazu gezwungen bin – und ebenso tun es die Hunderte von Radfahrern, die mir täglich begegnen.
Die nachfolgende Tabelle, die ich hier gefunden habe, zeichnet in klareres Bild darüber, wie hilfreich Fahrradhelme sind:
(Datenbasis: Insurance Institute for Highway Safety)
Nachtrag: Die Tabelle wird klarer wenn man weiß, dass etwa die Hälfte aller amerikanischen RadfahrerInnen Helm trägt, siehe hier.
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