Wer viel auf den Straßen unterwegs ist (und da meine zwei Wohnorte, New York und Cambridge, mehr als 340 Kilometer voneinander entfernt liegen, gehöre ich seit einiger Zeit leider auch dazu), hat ihn bestimmt schon mehrfach erlebt: den Stau aus dem Nichts. Plötzlich gerät der Verkehr ins Stocken und manchmal sogar zum Stillstand – um sich dann, nach einiger Zeit, scheinbar in eben jenes Nichts aufzulösen, aus dem er gekommen ist. Über diesen “Geisterstau” – der meiner subjektiven Erfahrung nach alles andere als selten ist – hatte ich hier schon mal etwas geschrieben; die Ursache ist im Prinzip ganz simpel: Bei zu dichtem Verkehr (was natürlich in Abhängigkeit vom Tempo zu definieren ist) kann es passieren, dass sich ein kleiner “Schluckauf” – zum Beispiel weil ein Fahrer als Folge eines Spurwechselns den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug verringern muss – wie eine sich stauchende Welle nach hinten im Verkehrsstrang fortsetzt und dabei in jedem nachfolgenden Fahrzeug eine etwas stärkere Abbremsung erforderlich macht, bis schließlich eine Vollbremsung = Stillstand erforderlich ist.
Das kann man sich ja eigentlich ganz simpel ausmalen, denn es gibt nunmal so etwas wie Reaktionszeiten: Ich bremse ja erst dann, wenn ich die Bremslichter am Fahrzeug vor mir aufleuchten sehe, und selbst wenn ich und alle FahrerInnen nach mir mit, sagen wir mal, einer Hunderstel Sekunde reagieren, heißt das, dass hundert Fahrzeuge später bereits eine ganze Sekunde an Reaktionszeit aufgefangen werden muss – bei einem Tempo von 120 Kilometern pro Stunde legt ein Auto in dieser Zeit bereits etwa 33 Meter zurück, das sind so etwa acht Fahrzeuglängen (je nach Modell, versteht sich). Womit die zweite Ursache des Geisterstaus bereits entlarvt ist: Zu wenig Abstand.
Aber das Abstandhalten zum Vorausfahrenden ist, wie der MIT-Computerwissenschaftler Berthold Horn durchgerechnet hat, nicht die alleine Ursache: Selbst wenn, wie dank moderner Autotechnik schon machbar, der Abstand zum vorausfahrenden Auto per Computer unter Berücksichtigung der Geschwindigkeit angepasst und damit die unvermeidliche menschliche Schlafmützigkeit vermieden wird, kann es in so einem chaotischen System, wie es der Verkehr nunmal ist, zu unerwarteten Staus kommen. Horn hat das hier simuliert:
Etwa ab der 30. Sekunde kommt es tatsächlich zum ersten Stau (man beachte die Bremslichter in der Grafik) – und das, obwohl alle “Fahrzeuge” hier mit einem adaptiven Verhalten simuliert sind, das modernen Abstandsautomaten entspricht. (Diese Gif-Datei staret etwa alle zwei Minuten neu.)
Doch wer geduldig weiter hinschaut, wird feststellen, dass ab etwa einer Minute diese Staus sich wieder langsam auflösen: Horn simuliert ab hier einen “bilateralen” Algoritmus, den er mit seinen Kolleginnen und Kollegen an der MIT-Fakultät für Computerwissenschaften und Künstliche Intelligenz entwichelt hat. Und der tut im Prinzip nichts anderes als nach hinten schauen – denn um solche Staus zu vermeiden, genügt es nicht, nur den Abstand nach vorne zu kontrollieren – man muss auch, im wörtlichen Sinn, die Rücksicht bewahren und den Abstand zum nachfolgenden Fahrzeug entsprechend modifizeren. (Auch das ist ja ganz plausibel: Wenn niemand hinter mir wäre, konnte es auch keinen Stau geben.) Wer mit den parametern ein bisschen herumspielen will, kann dies hier auf Horns Webseite tun.
Bei einem komplett automatisierten Verkehr wäre das gewiss praktikabel. Wenn Menschen die Kontrolle behalten müssen, wird’s aber schwierig – denn unsere Aufmerksamkeit muss sich nun mal primär in Fahrtrichtung konzentrieren. Sicher gehören auch die Rückspiegel dazu, aber jede(r), der/die schon einmal verrsucht hat, den Abstand zu einem Drängler wiederherzustellen oder wenigstens ein wenig zu vergrößern, weiß wohl, wie riskant dieses Fahren “nach hinten” ist.
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