Wenn’s um die Frage von leben und leben lassen geht, gehört meiner Ansicht nach auch “sterben lassen” durchaus dazu: Warum soll eine erwachsene Person, die unheilbar krank und von unmenschlichen Schmerzen gequält ist, nicht selbst entscheiden dürfen, ab wann ihr Leben nicht mehr lebenswert ist? Und warum sollte diese Entscheidung, so sie denn einmal gefallen ist, nicht mit An- und medizinischem Beistand umgesetzt werden? Trotzdem bin ich erst einmal ziemlich zusammengezuckt, als ich heute in der New York Times diese Schlagzeile las:
Belgian Senate Votes to Allow Euthanasia for Terminally Ill Children.
Und auch nach einiger Anstrengung, dies doch objektiv zu betrachten, finde ich diesen Gedanken weiterhin erschreckend. Nicht nur wegen der unausweichlichen historischen Assoziationen, die solch eine Vorstellung weckt – so falsch und unangemessen dieser Vergleich der Vergangenheit mit der belgischen Gegenwartsrealität auch sein könnte. Und natürlich gerate ich da in einen internen Argumentationskonflik zwischen der Seite in mir, die ein möglichst großes Selbstbestimmungsrecht für Kinder fordert (das ist wirklich meine Überzeugung, die ich auch hier schon mal zum Ausdruck gebracht habe), und der Seite, die sich bewusst ist, dass Kinder für solche Entscheidungen über Leben und Tod einfach noch nicht gewappnet sind (selbst die meisten Erwachsenen sind das nicht). Doch letztlich bin ich für mich zu folgender Position gekommen:
Ich halte Sterbehilfe bei Erwachsenen für akzeptabel, sofern diese(r) Erwachsene die Entscheidung für sich selbst – sei es im vollen Bewusstsein, oder sei es in Form einer Verfügung für den Fall der späteren Entscheidungsunfähigkeit – getroffen hat. Dass Belgien Sterbehilfe selbst bei schweren psychischen Leiden erlaubt, halte ich da zwar schon für höchst fraglich (weil “psychische Leiden” und der notwendige “klare Verstand” wohl nicht zwingend als kongruent anzusehen sind), aber generell sollte ein erwachsener Mensch frei entscheiden dürfen, wie er/sie leben will – und dazu gehört eben auch, wie er/sie sterben will. Doch ich bin klar gegen eine Sterbehilfe für Kinder (womit ich nicht meine, dass man Kinder im Koma unbedingt und uneingeschränkt mit allen Mitteln der Medizintechnik künstlich am Leben erhalten soll – aber das ist eine ganz andere Frage). Weil Kinder die Tragweite einer solchen Entscheidung wirklich nicht selbst abschätzen koennen; weil – wie ich als Vater aus eigener Erfahrung weiss – die Krankheit eines Kindes einen überproportionalen Stress für die Eltern bewirkt (ich kann mit meinen eigenen Krankheiten und Schmerzen um ein Vielfaches besser umgehen als mit den Krankheiten und Schmerzen meines Sohnes – selbst wenn es sich da nur um eine Magenverstimmung oder ein aufgeschlagenes Knie handeln sollte); weil nicht absehbar ist, wie die Eltern – die diese Entscheidung laut dem belgischen Gesetzesentwurf mit verantworten müssen – hinterher mit den irreversiblen Tatsachen umgehen können, die sie in dieser Stresssituation geschaffen haben; vor allem aber, weil Kinder eigentlich immer eine Chance haben – Medizin steht nicht still, und was heute unheilbar ist, kann in weniger als einem Jahrzehnt zumindest bis zum Niveau der chronischen Krankheit behandelbar sein (Aids wäre ein Beispiel dafür).
Wie stehen meine Leserinnen und Leser zu dieser Frage?
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