Ich gestehe, dass ich eine Schwäche für Neandertaler habe. Sie sind, wenn man so will, die “Underdogs” der Menschheitsgeschichte – obwohl sie vermutlich nicht unbeteiligt an unserem Homo-sapiens-Genom sind, gelten sie noch immer als primitive “Fehlversuche” der menschlichen Evolution. Grobschlächtig, dumpf, affenartig – das ist in weiten Teilen immer noch die geltende Vorstellung, die wir von diesen frühen Menschen hegen, die vor etwa 30.000 Jahren von der Bildfläche verschwanden.
Ob sich das Bild ändern wird, wenn nun – wie dieser Artikel in der aktuellen Ausgabe der Proceedings of the National Academy of Science über Evidence supporting an intentional Neandertal burial at La Chapelle-aux-Saints belegen kann – ziemlich schlüssige Hinweise darauf gefunden wurden, dass Neandertaler ihre Toten bestattet haben und damit offenbar eine Fähigkeit zu symbolischem Denken und handeln besaßen, die ihnen bisher von uns “modernen” Menschen eher bestritten wurden?
Es wären ja nicht die ersten Signale, dass es sich bei diesen Ur-Europäern eben nicht nur um brutale Dumpfbacken handelte, sondern um sehr soziale Wesen, die sich um ihre Mitmenschen (jawohl: Menschen) kümmerten, vielleicht sogar schon Musik kannten (die genaue Urheberschaft der Knochenflöten aus der Divje-Babe-Höhle in Slowenien ist zwar zumindest umstritten, aber sicher ist, dass diese Fragmente etwa 43.000 Jahre alt sind, also aus einer Zeit stammen, als Neandertaler noch in Europa verbreitet waren). Ich erinnere mich nicht mehr genau, wann ich – in einer älteren Ausgabe von National Geographic, vermute ich – zum ersten Mal las, dass sich Neandertaler um ihre Verletzten kümmerten und Gebrechliche durchfütterten, aber ich erinnere mich, dass mir dies ziemlich plausibel erschien. Und ich erinnere mich an ein Telefonat mit dem Neandertal-Experten Eric Trinkaus (der auch den oben verlinkten PNAS-Artikel redigiert hat), der diese These auch schon seit längerem vertritt.
Denn eigentlich gibt es wnig konkrete Gründe, den Neandertalern die Fähigkeit zu solchem Verhalten abzusprechen, das wir ja auch uns selbst und unseren direkten Cro-Magnon-Vorfahren zuschreiben. Klar, von “modernen” Menschen gibt es zahlreiche Grabstätten, wir kennen die Höhlenmalerein von Lascaux, Altamira und Chavet, kennen Artefakte und alte Mythen.
Sagen wir’s mal so: Die forensischen Beweise dafür, dass Neandertaler keine dumpf brütenden Trolglodyten waren, ist zwar dünn – aber für ein Plädoyer reicht’s dennoch. Mein Plädoyer, um genau zu sein. Fangen wir damit an, dass der Neandertaler in unserer Wahrnehmung von Anfang an gegen Vorurteile kämpfen musste: Schon das älteste Bild, das der Illustrator Frantisek Kupka 1908 anhand der ersten Funde in der Höhle von La Chapelle-aux-Saints zeigt, eigentlich ohne guten wissenschaftlichen Grund, ein Mischwesen zwischen Menschen und Affen:
Ich plädiere darauf, dass uns dieses primitive Bild sehr gut in die eigene Vorstellungswelt gepasst hat. Die Parallelen zum Image der Dinosaurier sind nicht zu übersehen: Ich erinnere mich noch sehr gut an die als Lehrmeinung akzeptierten Überzeugungen, dass diese riesigen Lebewesen dumpfe Sumpfbrüter waren, zu schwer, um an Land ihr eigenes Gewicht zu tragen, mit Hirnen, deren kognitive Fähigkeiten etwa dem unseres Rückenmark entsprachen. Die Idee, dass sie hoch entwickelte, eventuell sogar intelligente und vor allem agile, sogar warmblütige Wesen waren, die nicht etwa eine Sackgasse der Evolution waren, ein Irrtum der Natur, steht in einem zu krassen WIderspruch zu unserer Idee vom Menschen als “Krone der Schöpfung”. Dass Dinos ihren Untergang nicht mit der eigenen Unfähigkeit wohl verdient hatten, sondern durch katastrophale Umwelteinflüsse weitestgehend ausgelöscht wurden, macht uns Säugetiere letzlich zu biologischen Opportunisten. Und ebenso fällt es uns leichter zu glauben, dass Neandertaler einfach nicht mit der Zeit gehen konnten und in ihrer grobschlächtigen Art nicht mit den fortschrittlichen, anatomisch modernen Homo sapiens konkurrieren konnten, als zuzugeben, dass sie vielleicht gar nicht die schlechteren Menschen gewesen wären.
So lange das Gegenteil nicht bewiesen ist, könnten wir doch auch davon ausgehen, dass Neandertaler die Hippies des Mittelpaläolothikum waren – eher sanfte, sensible Wesen, die ihre Tage mit Musik und Spielen verbrachten, die aber materiellen Besitz nicht sehr hoch schätzten und letztlich von den cleveren und skrupellosen Cro-Magnons um ihre Existenz gebracht wurden. Und sei es nur, um uns endlich mal von der irrigen Vorstellung abzubringen, dass wir das Beste seien, was dieser Erde passieren konnte …
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