Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass ich mir dieses Jubiläum im Kalender markiert hatte – aber erwähnenswert ist es schon: Am 29. Januar 1964 kam in den USA der Film Dr. Strangelove or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb in die Kinos (der deutsche Titel ist da etwas knapper: Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben). Ich würde auch lügen, wenn ich behaupte, ein profunder Kenner dieses Films** zu sein, obwohl ich ihn zweimal gesehen habe – in meinem Gedächtnis überlagert sich die Erinnerung an den eigentlichen Film einfach zu stark mit all dem Gerede über den Film, all den cleveren Anspielungen, Interpretationen und Querverweisen, für die der Film in unserem soziointellektuellen Diskurs seit den 68-er Jahren herhalten muss…
Das erste dieser dabei enstehenden Missverständnisse ist, dass es dabei um durchgeknallte Wissenschaftler und/oder die Komplizenschaft der Wissenschaftler im Wahnsinn des Wettrüstens und der Mutually Assured Destruction (deren Akronym nicht unpassend MAD ist) geht. Aber obwohl der von Peter Sellers gespielte Dr. Merkwürdigliebe (der einen Karriereweg nicht unähnlich dem des Wernher von Braun gegangen war) zum Titelhelden gemacht wurde, ist er nicht die Hauptfigur – im Film geht es eigentlich eher um durchgeknallte Militärs und Politiker; die Rolle des Dr. Strangelove ähnelt meiner Ansicht nach eher dem des griechischen Chorus, der die Handlung begleitet und erläutert.
Doch hier geht es, wie meine etwas schräge Überschrift schon verrät, nicht um den Film selbst, sondern darum, dass er längst nicht so grotesk, so absurd überzeichnet war, wie man es sich eigentlich wünschen sollte und wie er, nach Meinung der Mächtigen seinerzeit, auch war. Der Artikel Almost Everything in “Dr. Strangelove” was True von Eric Schlosser auf der Online-Seite des New Yorker zeigt uns, dass viele der scheinbar hirnrissigen Prämissen des Films einer hirnrissigen historischen Realität entsprangen. So hatten die Militärs ihrem Ex-Kollegen und damaligen Präsidenten Dwight D. Eisenhower das Recht abgerungen, auch ohne Anweisung aus dem Weißen Haus den Einsatz von Kernwaffen zu befehlen. Als sie unter Eisenhowers Nachfolger John F. Kennedy schließlich gezwungen wurden, Sicherheitscodes zu benutzen, um den unbefugten Einsatz dieser Doomsday-Waffen auszuschließen, wählten die AirForce-Generäle angeblich die bewusst dämliche Kombination, wie beispielsweise 00000000.
(Nein, das ist nicht aus Dr. Strangelove, sondern aus Spaceballs – aber so dämlich wie die Raketenabschusskombination ist es allemal.)
Wenn ich Schlossers Artikel richtig verstehe, dann hat der Film – oder genauer gesagt, das ihm zugrunde liegende Buch Red Alert – die Politiker des Kalten Krieges tatsächlich darüber nachdenklich gemacht, ob sie die Entscheidung über einen Atomkrieg allein den Generälen überlassen wollen. Und sie kamen zu dem Schluss: besser nicht. Wenn das stimmt, dann hätte Stanley Kubrick eigentlich postum einen Friedensnobelpreis verdient …
** Dass ich dennoch eine gewisse persönliche Affinität zu diesem Film entwickelt habe, hat zwei Gründe: Erstens hatte ich einmal die Gelegenheit, Edward Teller zu interviewen, der neben von Braun und Hermann Kahn angeblich eine der Inspirationen zur Figur des Dr. Strangelove war und sich jedenfalls später immer wieder Vergleiche mit dieser Kunstfigur gefallen lassen musste. Der zweite Grund ist noch persönlicher und noch ein gutes Stück weiter vom Film entfernt – aber ich fand ihn für mich selbst dennoch bemerkenswert: Ich habe dank meiner MIT-Verbindungen die Tochter von Sterling Hayden kennengelernt, der in der Rolle des durchgeknallten Generals Jack D. Ripper den militärischen Irrsin schlechthin verkörpert:
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