Dass wir alle ein bisschen Neandertaler – zumindest im Hinblick auf die Information, die in unserer DNA steckt – sind, ließ sich im Jahr 2010 erstmals nachweisen (A Draft Sequence of the Neandertal Genome, Science No. 7, Mai 2010) . Ein neues Paper, das nun in nature erschienen ist, geht diesen genetischen “Antiquitäten” im Ergbut moderner Menschen noch ein bisschen weiter auf die Spur: The genomic landscape of Neanderthal ancestry in present-day humans. Mit anderen Worten: Es geht nicht nur der Frage nach, ob sich unsere Homo-sapiens-Vorfahren gelegentlich mit den bereits viel länger in Europa und Asien ansässigen Homo neanderthalensis gepaart und vermischt hatten, sondern was wir Nachfahren dabei geerbt haben.

Der nature-Artikel verrät beispielsweise, dass ein Zusammenhang zwischen genetisch veranlagten Krankheiten wie Lupus, biliäre Zirrhose oder auch Diabetes mellitus Typ 2 b besteht; wie genau sich dieses Neandertaler-Erbgut hier auswirkt, ist leider (noch) nicht erklärt, ich würde aber allein aus der Erwähnung dieses Zusammenhangs schließen, dass die Existenz neandertalerischer Allele auch die Anfälligkeit für diese Krankheiten erhöht.

Eine andere Beobachtung – und die will ich hier jetzt einfach mal ganz polemisch ausschlachten, so lange mir härtere Beweise nicht in die Quere kommen können – ist, dass wir die Anpassung unserer Haut an die Lebensbedingungen in nördlichen Breiten dem genetischen Stückchen Neandertaler in uns verdanken:

… Neanderthal alleles that affect skin and hair may have helped modern humans to adapt to non-African environments.

Genauer steht’s da nicht, aber da wir a) unsere hellere Haut als eine der wesentlichen Anpassungen an das Leben ausserhalb Afrikas betrachten und b) selbst heute noch viele Menschen der Meinung sind, diese hellere Hautfarbe sei das Zeichen, oder zumindest der sichtbare Ausdruck, einer biologischen Überlegenheit, kann ich mir diese offensichtliche Ironie nicht verkeifen: Diese hellere Haut ist wahrscheinlich keine Errungenschaft, die sich moderne Europäer “erarbeitet” haben, sondern ein Überbleibsel, das sie dem “primitiven”* Neandertaler verdanken. Da sollten einige Rassisten schwer dran zu knabbern haben …

* Dass ich diese Auffassung, Neandertaler seien “primitiv” gewesen, nicht teile, habe ich hier bereits ziemlich deutlich erklärt.

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Kommentare (11)

  1. #1 threepoints...
    30. Januar 2014

    Das der Neandertaler primitiv war, müsste man dann auch genauer beschreiben. Was denn nämlich primitiver gewesen. Ansonsten ist davon auszugehen, dass sie “anders” gewesen waren – die Eigenschaft “primitiv” aber eher unangebracht, da man das volle Potenzial gar nicht kennt.
    Man fand irgendwelche Höhlen, in denen Knochen und ein paar andere Dinge herumlagen und kennt nun ungefähr seine “Künste”? Das ist so, als ob man in deine Wohnung ginge und anhand dessen Inhalt deinen IQ ablesen wollte. Man mag da sowas erkennen können, was man etwa den “gefühlten IQ” nennen könnte – aber da kann man schnell falsch liegen.

    Eine meine Vermutung ist, dass der Neandertaler ebenso intelligent hätte sein können, wenn seine Population nur annähernd so groß gewesen wäre, wie beim sapiens. Dem war aber nicht so. Und der Sapiens hat durch seine Anzahl sich letztlich durchgesetzt. Unter Umständen ist Quantität nämlich einfach durchsetzungsfähiger.

    Das mit der eher wenig erschöpfende Information über die Hautfarbe ist blöd. Wo hat denn der Neandertaler die helle(re) Haut der?
    Das traditionelle Überlegenheitsargument der hellen Haut müsste man mal genauer durchleuchten, als nur zu argumentieren, weil rassistisch, deswegen Nonsens. Wenn helle Haut entfernt eine Art Neotenie oder pädomorphes Merkmal sei, tun sich neue Fragen auf.

  2. #2 Alderamin
    31. Januar 2014

    Die helle Haut hat nichts mit Überlegenheit zu tun, sondern ist eine Anpassung an die Lichtverhältnisse in höheren Breiten. In den Tropen ist die Haut dunkel zum Schutz vor der UV-Strahlung, was abr gleichzeitig die Vitamin-D-Produktion verringert – kein Problem, wo viel Sonne scheint. Im Norden hingegen kann dies zu Vitaminmangel führen. Helle Haut produziert mehr Vitamin D, ist also in höheren Breiten im Vorteil. Deswegen hat sich der Neandertaler, der viel länger in Europa lebte, als es uns moderne Menschen gibt, entsprechend angepasst.

    Die eingewanderten Sapiens hätten sicherlich mit der Zeit auch selbst eine helle Haut entwickelt, aber wenn das Allel nun schon mal vom Neandertaler verfügbar war, dann hat das den Prozess natürlich ungemein beschleunigt.

    Im Neandertal-Museum in Mettmann wird darüber gerätselt, ob der Neandertaler sprechen konnte; die Tendenz scheint eher zum Nein zu gehen. Vielleicht war dies der wesentliche Vorteil der Zuwanderer. Sie konnten sich besser verständigen und damit ihre geistigen Kräfte gewissermaßen bündeln – sich absprechen und gemeinsam handeln. Das wird in vielerlei Hinsicht von Vorteil gewesen sein (Jagd, Weitergabe von Wissen, Behandlung von Kranken, Schutz vor Feinden). Am Ende setzte sich der flexiblere Menschentyp durch und nahm dem anderen die Ressourcen, verdrängte oder absorbierte ihn. Man weiß es nicht genau.

  3. #3 Theres
    31. Januar 2014

    @Alderamin
    Eher, weil Homo S. zierlicher war und weniger zu essen brauchte und/ oder neue Krankheiten mitbrachte. Kontakt müssen die zwei Arten ja gehabt haben.. Ach ja, ein Klimawandel kam garantiert auch hinzu, sonst wären die Homo.S. ja nicht eingewandert. Von der “Sprachfront” habe ich leider länger nichts Neues gehört.

    So wie es aussieht, und wenn stimmt, was das zweite Team, das die Neanderthaler DNA untersucht hat (sie wurden genau gleichzeitig fertig), waren die Jungs der M1 Generation nicht unbedingt zeugungsfähig, also zwei Arten. https://www.spektrum.de/alias/genetik/was-wir-vom-neandertaler-erbten/1221945
    Dazu wird wohl auch noch mehr kommen, in den nächsten Wochen.

    Das Ergebnis mit der Haut wird die Rassisten garantiert nur zum Weghören bringen. Bis jetzt hat sie Wissenschaft ja auch nicht interessiert ….

  4. #4 Jürgen Schönstein
    31. Januar 2014

    @Alderamin

    Die helle Haut hat nichts mit Überlegenheit zu tun

    Klar doch. Aber das hat bisher noch keinen Rassisten davon abgehalten, das zu glauben…

  5. #5 Spritkopf
    31. Januar 2014

    @Alderamin

    Im Neandertal-Museum in Mettmann wird darüber gerätselt, ob der Neandertaler sprechen konnte; die Tendenz scheint eher zum Nein zu gehen.

    Hat man in der Neandertaler-DNA nicht Gensequenzen gefunden, die mit dem Sprachzentrum in Verbindung gebracht werden? Ich meine, mich an einen entsprechenden Artikel (möglicherweise im Zusammenhang mit Svante Pääbos Forschungsergebnissen) erinnern zu können, der die Fähigkeit zum Sprechen bei den Neandertalern für wahrscheinlich hielt. Weiß nur nicht mehr, wo.

  6. #6 Alderamin
    31. Januar 2014

    @Theres

    Eher, weil Homo S. zierlicher war und weniger zu essen brauchte und/ oder neue Krankheiten mitbrachte.

    Das glaube ich nicht, denn erstens ist der Neandertaler ja kräftig geworden, weil es im eiszeitlichen Europa von Vorteil war (man fand massenweise Neandertaler mit allerlei Knochenbrüchen, ihr Leben war schon ziemlich hart). Und zweitens hat der erfolgreiche H. Sapiens, wenn er den Neandertaler verdrängt hat, wohl auch mehr Kinder gehabt, deren Mäulchen zu stopfen waren. Wenn nur er sprechen konnte, dann war das meiner Ansicht nach der entscheidende Vorteil – hätte er das nicht gekonnt, hätte er gegen den bestens an die eiszeitlichen Verhältnisse angepassten Neandertaler rein physisch keine Chance gehabt. Und der Neandertaler hatte im Schnitt ein größeres Gehirn als wir, er war sicher nicht dumm.

    So wie es aussieht, und wenn stimmt, was das zweite Team, das die Neanderthaler DNA untersucht hat (sie wurden genau gleichzeitig fertig), waren die Jungs der M1 Generation nicht unbedingt zeugungsfähig, also zwei Arten.

    Es gibt eine Rassekatzenart, die sich “Savannah” nennt, da werden Hauskatzen mit Servalen verpaart, definitiv zwei verschiedene Arten von Katzen. Die Männchen der ersten Generation sind auch unfruchtbar, aber die Weibchen nicht. Indem man Hauskatzen-Kater mit einkreuzt hat man eine Katzenart von Hundegröße gezüchtet, die aus dem Stand über 2 m hoch springen kann und das Wasser liebt. Will heißen: wenn die Neandertaler-Sapiens-Jungs unfruchtbar waren, dann kann das Gen für die helle Haut immer noch über ihre Schwestern in den Sapiens-Pool gelangt sein.

    Würde mich interessieren, ob wir auch die großen Nasen und tiefen Augenhöhlen von den Neandertalern geerbt haben. Die Ostasiaten haben zwar helle Haut, die laut Spiegel-Online-Artikel auch vom Neandertaler stammen soll, aber mit ihren Mandelaugen, der flacheren Augenhöhle, kleinen Nase und dem rundem Gesicht auch wieder eigene ethnische Merkmale (weshalb man umgekehrt als Europäer in China sofort auffällt und ständig fotografiert wird). Als ihre Vorfahren Ostasien besiedelten, lebte dort möglichlicherweise noch der Homo Erectus. Ob diese Merkmale vom Erectus stammen? Dessen Genom ist, soviel ich weiß, noch nicht entschlüsselt worden. Oder waren sie eine Anpassung des Sapiens an irgendwelche besonderen klimatischen Verhältnisse? Oder nur genetische Drift?

    Spannende Zeiten. Wo bleibt endlich das geklonte Mammut? 😉

  7. #7 Alderamin
    31. Januar 2014

    @Spritkopf

    Hat man in der Neandertaler-DNA nicht Gensequenzen gefunden, die mit dem Sprachzentrum in Verbindung gebracht werden?

    Mag sein, aber wenn sie rein physisch hätten sprechen können, heißt das noch nicht unbedingt, dass sie eine hochentwickelte Sprache hatten. In einem Video über die Vergangenheit neulich bei Astrodicticum wurde behauptet, auch der moderne Mensch habe erst vor 60000 Jahren (wenn ich mich recht entsinne) zu sprechen begonnen. Wobei das alles nur Vermutung sein kann, wie soll man das nachweisen? Bestenfalls die plötzlich einsetzende raschere Entwicklung neuer Werkzeuge könnte ein Hinweis darauf sein, dass man anfing, per Sprache effektiver Wissen zu vermitteln.

    Ich denke, diese Frage wird nie abschließend geklärt werden können.

  8. #8 Kassenwart
    31. Januar 2014

    Inzwischen ist es nicht mehr sicher oder der “Neanderthaler” überhaupt eine eigene Art war oder nicht vielmehr einfach eine Unterart des Homo sapiens, welche halt ein paar phänotypische Änderungen zeigt. So gesehen wäre er dann auch nicht ausgestorben, sondern aus zwei (oder mehr?) Unterarten hätte sich die heutigen H. sapiens gebildet.

  9. #9 Gregor
    5. Februar 2014

    @Kassenwart
    Das frage ich mich auch immer. Die klassische Definition einer Art stellt ja darauf ab, dass sie keine zeugungsfähigen Nachkommen haben können.
    Wenn also der Homo sapiens und der Neandertaler gemeinsame Nachkommen haben – uns – dann wären sie keine verschiedenen Arten.

  10. #10 Alderamin
    5. Februar 2014

    @Gregor

    Wenn also der Homo sapiens und der Neandertaler gemeinsame Nachkommen haben – uns – dann wären sie keine verschiedenen Arten.

    Und was ist mit Nachkommen, bei denen ein Geschlecht zeugungsfähig ist, und sich wieder mit dem anderen Geschlecht einer der Urarten paaren kann? Siehe Savannah-Katzen oben, #6.

    Serval und Hauskatze sind auf jeden Fall verschiedene Arten und lassen sich verpaaren. Die Kätzinnen der Hybriden lassen sich mit Hauskatzen-Katern fruchtbar verpaaren (und so entstand die Savannah-Rassekatze). Man hat dann am Ende Serval-Gene in der Nachkommenschaft, obwohl es eine andere Art war.

    Wenn ähnliches bei Neandertaler und Sapiens der Fall war, dann können sie verschiedene Arten gewesen sein und dennoch Gene an uns vererbt haben.

  11. […] – er lebt, genetisch gesehen, immer noch ein bisschen in uns allen fort und hat uns, wie ich hier schon einmal beschrieben habe, sogar einige sehr typisch “europäische” Aussehensmerkmale (und auch einige sehr […]